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Der Islam.
eigene Seelenthätigkeit zu reifer Einsicht. Die Sinne machen ihm
die Eigenschaften der Dinge kund, er unterscheidet und vergleicht
sie, er gelangt so zur Physik. Die Eigenschaften der Dinge
wechseln, aber ihr Wesen bleibt; in mannichfaltigen Formen
zeigen die Körper doch ein und dieselbe Natur, sie alle sind aus-
gedehnt, die Ausdehnung ist die allgemeine und bleibende Eigen-
schaft, die Substanz der Dinge, die Materie; indem sie verschie-
dene Formen aunimmt, entstehen verschiedene Körper. Aber dieser
Wechsel, sagt sich der Naturmensch, muß seine Ursache haben;
die Formen der Dinge bilden dieselben, sie sind also Kräfte die
im Innern der Materie wohnen, und selber unsichtbar noch da-
durch zur Wahrnehmung kommen daß sie die Materie zu mannich-
saltiger Wirksamkeit befähigen. Alle Dinge stehen im Zusammen-
hang, die Welt ist nur Eine, das führt daraus daß auch alle
wirkenden Formen und Kräfte von einer Kraft ausgehen, deren
Werk alles ist, die alles ordnet und wohlmacht. Sie kann nicht
selber ein Körper sein, sie ist Geist, Gott. Unsere Sinne, unsere
Einbildungskraft zeigen uns die Kräfte und die Gottheit nicht,
aber der Geist in uns denkt das Uebersinnliche und ist selber un-
sichtbar. Er ist unser wahres Wesen, mit der Materie verbunden,
aber bestimmt sich zur Gemeinschaft der Geister zu erheben. Die
sinnliche Welt folgt der geistigen wie ihr Schatten, in der Natur
schauen wir Gott in seiner Abspiegelung; wir sind verschieden und
abgesondert durch die Körper, aber der Gedanke, die Vernunft ist
dasselbe in uns allen; in unserm einfachen geistigen Wesen sind
wir mit der Wahrheit eins, haben wir die Gemeinschaft mit Gott
und darin die Glückseligkeit. — Nachdem der Naturmensch diese
Einsicht stufenweise gewonnen, kommt er mit einem Einsiedler zu-
sammen, der durch die Religion dieselbe Erkenntuiß hat; er folgert
daraus daß die Religion nichts anderes lehre als was die Ver-
nunft auch finden könne, daß sie also zur Erziehung der Schwächen:
und Unselbständigen diene und in Bildern sich darstelle für die
welche die reine Wahrheit nicht fassen können. Er will nun sein
Wissen den Menschen mittheileu, findet sie aber wenig geneigt dafür
und zieht sich wieder in die Einsamkeit zurück um seinen Betrach-
tungen und der Anschauung des Ewigen in entzückter Erhebung
über das Sinnliche zu leben.
Ein anderer Schüler von Jbu Badscha, Ilm Roschd
(Averrhoes) war Arzt und Staatsmann zugleich; er legte seine
Gedanken vornehmlich in den Erklärungen nieder welche er zu
Der Islam.
eigene Seelenthätigkeit zu reifer Einsicht. Die Sinne machen ihm
die Eigenschaften der Dinge kund, er unterscheidet und vergleicht
sie, er gelangt so zur Physik. Die Eigenschaften der Dinge
wechseln, aber ihr Wesen bleibt; in mannichfaltigen Formen
zeigen die Körper doch ein und dieselbe Natur, sie alle sind aus-
gedehnt, die Ausdehnung ist die allgemeine und bleibende Eigen-
schaft, die Substanz der Dinge, die Materie; indem sie verschie-
dene Formen aunimmt, entstehen verschiedene Körper. Aber dieser
Wechsel, sagt sich der Naturmensch, muß seine Ursache haben;
die Formen der Dinge bilden dieselben, sie sind also Kräfte die
im Innern der Materie wohnen, und selber unsichtbar noch da-
durch zur Wahrnehmung kommen daß sie die Materie zu mannich-
saltiger Wirksamkeit befähigen. Alle Dinge stehen im Zusammen-
hang, die Welt ist nur Eine, das führt daraus daß auch alle
wirkenden Formen und Kräfte von einer Kraft ausgehen, deren
Werk alles ist, die alles ordnet und wohlmacht. Sie kann nicht
selber ein Körper sein, sie ist Geist, Gott. Unsere Sinne, unsere
Einbildungskraft zeigen uns die Kräfte und die Gottheit nicht,
aber der Geist in uns denkt das Uebersinnliche und ist selber un-
sichtbar. Er ist unser wahres Wesen, mit der Materie verbunden,
aber bestimmt sich zur Gemeinschaft der Geister zu erheben. Die
sinnliche Welt folgt der geistigen wie ihr Schatten, in der Natur
schauen wir Gott in seiner Abspiegelung; wir sind verschieden und
abgesondert durch die Körper, aber der Gedanke, die Vernunft ist
dasselbe in uns allen; in unserm einfachen geistigen Wesen sind
wir mit der Wahrheit eins, haben wir die Gemeinschaft mit Gott
und darin die Glückseligkeit. — Nachdem der Naturmensch diese
Einsicht stufenweise gewonnen, kommt er mit einem Einsiedler zu-
sammen, der durch die Religion dieselbe Erkenntuiß hat; er folgert
daraus daß die Religion nichts anderes lehre als was die Ver-
nunft auch finden könne, daß sie also zur Erziehung der Schwächen:
und Unselbständigen diene und in Bildern sich darstelle für die
welche die reine Wahrheit nicht fassen können. Er will nun sein
Wissen den Menschen mittheileu, findet sie aber wenig geneigt dafür
und zieht sich wieder in die Einsamkeit zurück um seinen Betrach-
tungen und der Anschauung des Ewigen in entzückter Erhebung
über das Sinnliche zu leben.
Ein anderer Schüler von Jbu Badscha, Ilm Roschd
(Averrhoes) war Arzt und Staatsmann zugleich; er legte seine
Gedanken vornehmlich in den Erklärungen nieder welche er zu