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Verlag Bruno Cassirer
Almanach: auf das Jahr ... — 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.70232#0039
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Max v. Bochn: Mode und Bühne

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einer orientalischen Levite auf, einem Kleidungs-
stück von hemdartigem Schnitt, das von der Mode
mit solcher Beharrlichkeit aufgegriffen wurde, daß
es noch fünfzig Jahre später den Kleiderschnitt be-
stimmte.
Das ist eine Parallelerscheinung zu jener, die in der
Mitte des 18. Jahrhunderts den Umschwung vom Ro-
koko zum Klassizismus herbeiführte. Auch dieser
wurde von der Bühne angeregt und propagiert, denn
lange bevor Säulenhallen und Tempelfassaden auf den
Straßen erschienen, hatten sie im Theater das Auge
bestochen und den Geschmack beeinflußt.
Dieses Verhältnis von Mode und Bühne hat sich mit
der Zeit keineswegs abgeschwächt, sondern zu einem
festen Bunde zwischen beiden geführt. Die Pariser
Bühne stand im letzten Jahrzehnt vor dem Kriege
völlig unter der Herrschaft der großen Schneider. Mme.
Rejane war ganz offenkundig der Mannequin Doucets,
den Ruf der Leoty-Korsette hat Sarah Bernhard ge-
macht usw. Die Theaterzettel der großen Hauptstädte
Paris, Berlin, London nannten gewissenhaft die Namen
der Künstler, welche Hüte und Kleider der Schau-
spielerinnen komponiert hatten. Das geht so weit,
daß man ohne Übertreibung behaupten darf, mit der
Mode verlöre unser heutiges Theater seinen kräftigsten
Magneten, wie die Bühne aber mit der Mode auch
ihre stärkste Reklame einbüßen würde. Sie sind nicht
mehr ohne einander zu denken, ja es ist bei ihrer
Wechselwirkung oft schwer zu sagen, bei welchem
von ihnen die Ursache liegt und bei welchem die
Wirkung. Von manchen Stücken sprechen die Ein-

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