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Dostojewski: Die Seele Rußlands

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allen Seiten ertönten laute Zurufe, und ein betäubendes
Beifallklatschen brach los. Jetzt klatschte schon fast
der halbe Saal. Die unschuldigsten Gemüter wurden
mit fortgerissen: vor allem Volke, ganz öffentlich,
wurde Rußland beschimpft — sollte man da nicht
brüllen vor Entzücken ?
„Das war ein Wort zur rechten Zeit! Das war eine
Sache! Hurra! Nein, das war keine faule Ästhetik
mehr!“
Der Redner fuhr in seinem begeisterten Vortrage fort:
„Zwanzig Jahre sind seither vergangen. Neue Univer-
sitäten sind eröffnet worden. Die Exerzierkunst ist zur
Legende geworden; Tausende von Offizieren fehlen
am Sollbestand. Die Eisenbahnen haben alles Kapital
aufgezehrt und Rußland wie mit einem Spinngewebe
überzogen, in fünfzehn Jahren wird man fahren können,
wohin man nur will. Brücken verbrennen nur gelegent-
lich einmal, die Städte aber brennen noch immer, wenn
die Brandsaison da ist, eine nach der andern ab. Die
Gerichte fällen salomonische Urteile, die Geschworenen
aber nehmen nur im Kampf ums Dasein Bestechungs-
gelder, um nicht Hungers zu sterben. Die befreiten
Leibeigenen, die früher von den Gutsbesitzern geprü-
gelt wurden, traktieren sich jetzt gegenseitig mit Ruten.
Meere und Ozeane von Branntwein werden getrunken,
um dem Budget zu Hilfe zu kommen, und in Now-
gorod, gegenüber der alten überflüssigen Sophienkathe-
drale, hat man jetzt zur Erinnerung an das tausend-
jährige Bestehen der russischen Lotterwirtschaft einen
kolossalen Bronzeglobus aufgestellt. Europa umwölkt
sich wieder und wird wieder unruhig. Fünfzehn Jahre
 
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