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Almanach 1920

Reformen! Und dabei ist Rußland, selbst in den kläg-
lichsten Epochen seiner kläglichen Vergangenheit, nie
so weit gesunken gewesen . . .“
Die letzten Worte des Redners verloren sich im
Gebrüll der Menge. Man sah nur, wie er nochmals
die Faust in die Höhe reckte und sie mit der Miene
des Siegers wieder fallen ließ. Der allgemeine Jubel
überschritt alle Grenzen: man schrie und klatschte in
die Hände, und etliche der Damen riefen dem Redner
zu: „Genug! Sie haben das Beste schon gesagt!“ Alles
war wie vom Rausch umfangen. Der Redner ließ seine
Blicke über die Menge hin schweifen und zerschmolz
gleichsam in seinem eignen Triumph. Ich sah ganz
flüchtig, wie Gouverneur von Lembke in beispielloser
Aufregung irgend jemanden irgend etwas zeigte. Julia
Michajlowna, ganz leichenblaß, flüsterte voll Hast dem
Fürsten, der rasch auf sie zugeeilt war, etwas zu. In
diesem Augenblick jedoch brach ein halbes Dutzend
amtlich aussehender Leute aus den Kulissen hervor,
packte den Redner und zerrte ihn hinter die Kulissen.
Ich weiß heute noch nicht, wie es ihm gelang, sich von
ihnen loszureißen, jedenfalls aber kam er von ihnen los,
stürzte wieder bis an den Bühnenrand vor und schrie,
die Faust schwingend, von neuem aus voller Kehle:
„Aber noch nie ist Rußland so weit gesunken ge-
wesen . .
Doch da hatten sie ihn schon wieder am Kragen
und schleppten ihn diesmal wirklich fort . . .
„Die Dämonen“
XV, Kap. 4.
 
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