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Almanach 1920
Schriftsteller den Zeichner herbei. Hier wählte der
Verfasser den Illustrator, während gewöhnlich der Illu-
strator den Autor wählt, wenn nicht der Verleger eine
Zwangsehe zwischen ihnen herstellt.
Dem Kinde, wie jedem Leser, der für den Bildein-
druck empfänglicher ist als für den Eindruck des ge-
schriebenen Wortes, vermag der Illustrator, wie in
Fibel, Märchenbuch und „biblia pauperum“ fördernde
Anregung zu bieten, unter Umständen sogar die Wort-
wirkung erst zu wecken.
Die Dichtung kann aus eigenen Mitteln, selbst wenn
sie an sich stark, rein und vollwertig ist, ihre natürliche
Kraft nicht üben, auch falls der Leser „geneigt“ und
aufnahmefähig ist, in all den vielen Fällen, wo der
Abstand zwischen dem Text und dem Leser den Kon-
takt erschwert. Die Entfremdung durch die Zeit, sei
es in bezug auf den Inhalt, sei es in bezug auf die
Wortform, wird freilich von der Bildungsphilisterei
vor den „klassischen“ Dichtungen oft verleugnet. Seien
wir ehrlich: weder Dante, noch Cervantes, noch die
Bibel üben auf uns unmittelbar und ohne weiteres die-
jenige Wirkung aus, die wir ahnen, erwarten, herbei-
wünschen, uns einreden und erheucheln. Hier setzt
der Brückenbau ein und ist willkommen — mit Bear-
beitung, Interpretation und mit Illustrierung, wobei
die Urform nicht selten unmerklich gewandelt wird.
Unsere Vorstellung von dem Bibelinhalt stammt mehr,
als wir wissen, aus Bildern, die sich zwischen uns und
das heilige Original geschoben haben. In unserer Seele
lebt Don Quixote, aber nicht erschaffen durch das
Wort des alteh Spaniers: der hagere und fanatische
Almanach 1920
Schriftsteller den Zeichner herbei. Hier wählte der
Verfasser den Illustrator, während gewöhnlich der Illu-
strator den Autor wählt, wenn nicht der Verleger eine
Zwangsehe zwischen ihnen herstellt.
Dem Kinde, wie jedem Leser, der für den Bildein-
druck empfänglicher ist als für den Eindruck des ge-
schriebenen Wortes, vermag der Illustrator, wie in
Fibel, Märchenbuch und „biblia pauperum“ fördernde
Anregung zu bieten, unter Umständen sogar die Wort-
wirkung erst zu wecken.
Die Dichtung kann aus eigenen Mitteln, selbst wenn
sie an sich stark, rein und vollwertig ist, ihre natürliche
Kraft nicht üben, auch falls der Leser „geneigt“ und
aufnahmefähig ist, in all den vielen Fällen, wo der
Abstand zwischen dem Text und dem Leser den Kon-
takt erschwert. Die Entfremdung durch die Zeit, sei
es in bezug auf den Inhalt, sei es in bezug auf die
Wortform, wird freilich von der Bildungsphilisterei
vor den „klassischen“ Dichtungen oft verleugnet. Seien
wir ehrlich: weder Dante, noch Cervantes, noch die
Bibel üben auf uns unmittelbar und ohne weiteres die-
jenige Wirkung aus, die wir ahnen, erwarten, herbei-
wünschen, uns einreden und erheucheln. Hier setzt
der Brückenbau ein und ist willkommen — mit Bear-
beitung, Interpretation und mit Illustrierung, wobei
die Urform nicht selten unmerklich gewandelt wird.
Unsere Vorstellung von dem Bibelinhalt stammt mehr,
als wir wissen, aus Bildern, die sich zwischen uns und
das heilige Original geschoben haben. In unserer Seele
lebt Don Quixote, aber nicht erschaffen durch das
Wort des alteh Spaniers: der hagere und fanatische