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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 5.1866

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https://doi.org/10.11588/diglit.7151#0023
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Chriſtliche

Kunſtblätter

Organ des chriſtlichen nnſtvereins der Erzdiöceſe reiburg.

(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)

Nro. 54.

Domine dilex dcorem domus tuae. Ps. 25, 8.

Juni 1866.

J. Das Cherubini'ſche und das Mozart'ſche Requiem.
Eine vergleichende Betrachtung von Otto Gu mprecht
Cherubini's C- moll-Requiem nimmt unter den Schöpfun-
gen des Tondichters, welche kirchliche Stoffe behandeln (und
ihnen widmete er in den ſpäteren Stadien ſeiner Künſtlerlauf-
bahn faſt die geſammte Kraft) unzweifelhaft die erſte Stelle ein.
Wie den Text der Meſſe, ſo hat er auch den des Requiems
mehrfach domponirt. Er ſetzte ihn für dreiſtimmigen Männerchor
mit Orcheſter, und noch ein drittes Requiem für Singſtimmen
ohne alle Jnſtrumentalbegleitung ſoll ſich unter ſeinen Arbeiten be-
finden. Ueber das Werk, um das es ſich hier handelt, hat nach dem
Zeugniß Seyfried's Beethoven in folgender Weiſe geurtheilt:
,Cherubini iſt mir unter allen lebenden Opern⸗ Componiſten der
achtenswertheſte. Auch mit ſeiner Auffaſſung des Requiems bin
ich ganz einverſtanden und will mir, komme ich nur einmal dazu,
ſelbſt eines zu ſchreiben, Manches a nota nehmen.''
Bei der Betrachtung der Cherubini' ſchen Compoſition drängt
ſich unabweisbar der Vergleich mit der Mozart'ſchen auf. Jn-
dem ich hier zunächſt eine Parallele zwiſchen beiden Tondichtungen
zu ziehen verſuche, glaube ich Weſen und Charakter der erſteren
am deutlichſten zur Anſchauung bringen zu können. Käme es
darauf an, die Sache mit ein paar geläufigen Stichworten kurz
abzuthun, ſo wäre das Verhältniß etwa ſo zu bezeichnen,
daß Mozart ſeinen Vorwurf überwiegend lyriſch, naiv oder
idealiſtiſch (alles dies läuft hier ungefähr auf daſſelbe hinaus)
auffaßte, während Cherubini ſeinen Stoff durchaus dramatiſch,
reflectirend und zugleich realiſtiſch behandelte. Der Eine wen-
det ſich weſentlich an das Gefühl, der Andere an die Phantaſie
des Empfangenden. Dieſe Erſcheinung war nicht etwa nur in
der zufälligen Subjectivität beider Tondichter begründet, ſie erklärt
ſich vielmehr aus dem innerſten Weſen der Zeit, die in deren
Schaffen ihr künſtleriſches und religiöſes Glaubensbekenntniß ab-
legte. Wie flach äußerlich und verweltlicht die meiſten Schöpfun-
gen der kirchlichen Tonkunſt während der zweiten Hälfte des
achtzehnten Jahrhunderts ſich ausnehmen, ſo ſtanden ſie doch
noch in einer ſehr beſtimmten Beziehung zum Gottesdienſte ſelbſt.
War es auch nicht mehr der echte Geiſt des Chriſtenthums, der
ſich in ihnen wiederſpiegelte, ſo knüpften ſie ſich wenigſtens an
die einzelnen Acte des Cultus und ſuchten nach beſtem Können

und Vermögen deren Wirkung auf Sinn und Gemüth zu ſtei-
gern. Jm guten Glauben legte die Muſik ihre Gaben am Altare
nieder. Sie glich dem Weibe im Evangelium, welches ſich zu
einem Liebeswerke getrieben fühlte, vermochte ſie auch nichts als
ein Gefäß voll köſtlichen Waſſers über das Haupt des Heilandes
auszugießen. Jn ſein Gegentheil verkehrt, erſcheint dieſes Ver-
hältniß in der Kirchenmuſik des neunzehnten Jahrhunderts. Hier
tritt die Kunſt nicht mehr dienſtwillig an den Cultus heran,
um ihm für ſeine Zwecke den Glanz die Gewalt und Fülle
ihrer Töne zu leihen, ſie ergreift vielmehr das geſammte kirch-
liche Drama als einen Stoff über den ſie mit ſouverainer Macht-
vollkommenheit zum Beſten ihrer eigenen Schöpfungen ſchaltet.
Der Requiem- und Meſſen-Componiſt des modernen Frankreichs,
welcher als Augenzeuge den Umſturz der Kirche und ihren
Wiederaufbau erlebte, der mit allen Elementen neueſter
Bildung durchdrungen war, wandte ſich mit ſeinen Werken nicht
an eine gläubige Gemeinde, die religiöſe Erbauung ſuchte, ſon-
dern an das Publicum, für das es ſich lediglich um einen äſthe-
tiſchen Genuß handelte. Wenn er ſeine Partituren ſchrieb, damit
ſie in der Kirche aufgeführt würden, ſo hatte dieſe für ihn doch
nur die Bedeutung eines großen Concertſaales. Während ſich
die Muſik innerlich und äußerlich vom Gottesdienſte löſte und
doch zugleich Acte desſelben als Anregung und Material zu
ihren Gebilden benutzte, mußte ſie ſich mit Nothwendigkeit zu
einem weſentlich dramatiſchen oder vielleicht richtiger theatrali-
ſchen Styl gedrängt fühlen. Der Cultus, deſſen integrirender
Beſtandtheil ſie einſt geweſen, verwandelte ſich für ſie in einen
Gegenſtand der Darſtellung. Als abſolute Herrin und Mei-
ſterin des Stoffes hatte ſie dafür zu ſorgen, mit ihren eigen-
ſten Mitteln demſelben nach jeder Seite hin vollen ſinnlichen
Ausdruck zu leihen. Es konnte ihr nicht genügen, den Text
der Meſſe, des Reqniems in den Concertſaal zu tragen, ſie
war zugleich genöthigt, den lebendigen Zuſammenhang mit der
geſammten Liturgie wenigſtens in der Phantaſie des Hörers
wieder herzuſtellen. Die adminiſtrirenden Prieſter, die gläubige
Gemeinde, der in myſtiſche Dämmerung gehüllte, von Weih-
rauchduft durchwehte Dom das Alles ſollte bei den Klängen
des,, Krie,'' des ,,Domine esu Christe,'' des ,,Agnis
Dei'' an ſeinem inneren Sinne vorübergehen. Das tonmale-
 
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