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Durch ihn lernen wir auch verstehen die Stimmung eines so edeln Geistes wie
Schönaich - Larolaths: „Wir wollen vom Haupt uns streifen der Kränze sengenden
Saum, das fiebernde Lustergreifen, den großen Griechentraum. Wir wollen die Hand
erfassen des Schiffsherrn von Nazareth." Kierkegaards Ablehnung steht im Zusammen-
hang mit dem Linen, was für ihn not war. Er hatte einen Schatz zu heben, dessen
Einzigartigkeit und Unbedingtheit nicht durch andere Arbeit und Liebe zu andern
Gegenständen belastet oder verkürzt werden durfte; er hatte eine Mission
zu erfüllen, die durch Einmischung anderer Lebensinteressen für ihn und für die
Menschen nicht in ihrer Absolutheit hervorgetreten wäre.
Aber andrerseits müssen wir Kierkegaards Stellung auch als eine, wenn auch
noch so wertvolle, Einseitigkeit beurteilen. Wir brauchen die Positionen, die seine
Mission mit sich bringt, nicht ohne weiteres als für uns bindend anzusehen. Der
von Kierkegaard gehobene Schatz läßt sich auch anders in das Weltganze und
in die ideale Lebensrichtung des einzelnen einordnen, als es von ihm selber ge-
schah. Selbst auch unter der Kierkegaardschen Voraussetzung, daß es ankommt
auf die subjektive Wahrheit, auf das Große „Gott und Du!", läßt sich mit der
Kunst ein anderer Lebenszweck verbinden, als der, den der große Seelenchemiker
von ihr fürchtet. Sie kann die Anbetung zwar nicht machen oder ersetzen, aber
sie kann sie fördern und ergänzen; sie kann den Willen auf das Höchste zwar
nicht leiten und umbilden, aber sie kann ihm höhere Werte liebenswert machen,
die Freude am Keinen und Heiligen bestätigen und vertiefen. Und wenn Kierke-
gaard die sog. schönen Ehristusbilder als etwas Heidnisches ablehnt, so geben wir
ihm recht im Blick aus die süßliche religiöse Kunst seiner Zeit, die das Keligiöse
schmackhaft machen wollte durch weichliche und sentimentale Züge, die der Wirk-
lichkeit des Evangeliums ganz und gar widersprachen, im Blick auf die Christus-
bilder, die nur den schönen Seelen etwas zu sagen hatten. Aber unsere neu-
protestantische Kunst, atmet sie nicht etwas gerade von dem strengen und ernsten
Geiste, von der Wahrhaftigkeit und der Innerlichkeit, wie sie Kierkegaard ver-
langt? Haben uns nicht Steinhaufen, Gebhardt, Uhde und Meunier einen Christus
geschaffen ohne die Glorie, im Zeichen der irdischen Niedrigkeit und der Knechts-
gestalt, einen Christus, der uns nicht gewinnen will durch den Zauber seiner
äußeren Schönheit, sondern durch seine innere Größe? Und stellen diese Meister
nicht auch eine Art „Gleichzeitigkeit" zwischen uns und dem irdischen Christus
dar? und etwas von der Schwere und Herbheit der Nachfolge Christi?
UI.
Wir wollen Kierkegaards systematische Verneinung der Kunst als einer Sache
des Genusses nicht abschwächen oder vertuschen. Aber es lassen sich doch von seiner
tiefernsten Lebensauffassung auch Fäden zur Kunst ziehen. Noch mehr ist diese
Verbindung möglich und zugleich Tatsache in seinem schriftstellerischen Wirken und
seiner ganzen Persönlichkeit.
Er war von Haus aus eine dichterische Natur; ein bedeutender Zeitgenosse
sagt von ihm, er wäre einer der größten Dichter aller Zeiten geworden, wenn
er die Poesie zu seiner Lebensaufgabe gemacht hätte. Er hatte Freude am künst-
 
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