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Z6I

Allerdings merken wir hier gleich etwas sehr Wichtiges: der rein didaktische
Charakter der Kunst führte zum verfall. Vas zeigt sich z. B. an den inhalt-
lich und formell unerfreulichen mittelalterlichen Weltgerichtsbildern. Daraus
müssen wir folgern: Die Kunst darf nicht didaktisch werden, nicht zur Magd
der Kirche gezwungen werden. Die Kunst muß frei sein. Wir müssen darauf
vertrauen, daß es ohne Zutun der Kirche immer wieder religiöse Künstler geben
wird, die vom Religiösen erfaßt frei schaffen und uns in Freiheit Führer zum
höchsten werden können.
Die Kirche der Reformation hat von Anfang an keine einheitliche
Stellung zur Kunst eingenommen. Gleich zu Anfang finden wir beides: Bilder-
stürme und — Bilderbibeln. Auch später gabs mannigfache Schwankungen:
bald eine nüchterne Ablehnung der Kunst, bald die Verwendung einer süßlich-
katholisierenden Kunst, die gerade im Unterricht noch jetzt stark nachwirkt.
Unsre Zeit hat die Aufgabe, das Verhältnis von Kunst und Religionsunterricht
neu zu bestimmen. —
II. Die modernen Bestrebungen zur Reform des Religionsunter-
richts sind für unsere Forderung der denkbar günstigste Boden. Ehe wir dem
genauer nachgehen, mögen einige Stimmen aus der unmittelbaren Gegenwart zur allge-
meinen Orientierung vorausgeschickt sein. In Iena wurde im August d. I. ein „Bund
für Reform des Religionsunterrichts" gegründet. In dem ersten Referat
Prof. Weinels über den „Religionsunterricht in seinem Verhältnis zu Kultur,
Wissenschaft und Religion" sagte der Vortragende u. a.: „Leider nimmt im
Religionsunterricht die Kunst nicht die Stelle ein, die ihr gebührt: er ist un-
künstlerisch geworden. Vie Kunst soll uns eine Ahnung der überirdischen Welt
vermitteln, sie soll eine Sprache frommer Seelen sein." „Über die tiefsten Fragen
unsres religiösen Daseins soll nicht lange geredet werden, sondern das Kind soll
spüren, was Christentum ist." Und der zweite Referent, Prof. Rein, der ,,Die
Forderung der Pädagogik und Psychologie an den Religionsunterricht" behandelte,
klagte über Veräußerlichung, über Betonung der Ouantität des religiösen Wissens,
über Intellektualismus und Verbalismus. Schon Pestalozzi habe immer betont,
daß Religion nicht Lehre, sondern Gefühl sei. ,,Der Religionsunterricht soll enge
Fühlung mit der Kunst einhalten, sowohl mit der religiösen Poesie, wie mit den
Werken der darstellenden Kunst und der Musik."
Dies die Forderungen des Tages. Alle diese Stimmen fordern eine Neuorien-
tierung auf dem Gebiet ,,Kunst und Religionsunterricht". Um für diese Neu-
orientierung die sichere wissenschaftliche Grundlage zu gewinnen, scheint es mir
unerläßlich, auf einen ganz ausgezeichneten Aufsatz Niebergalls zurückzugehen:
,,Die Bedeutung der Religionspspchologie für die Praxis in Kirche
und Schule." Meines Erachtens ist dieser Aufsatz von programmatischer Be-
deutung, wie für die praktische Theologie überhaupt, so insbesondere für unser
Thema. Ich kann es mir daher nicht versagen, den Gedankengang Niebergalls,
sofern er für uns in Betracht kommt, zu skizzieren, wobei ich mir freilich der
Unzulänglichkeit eines solchen Abrisses wohl bewußt bin.
 
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