EINLEITUNG
Heute gibt es nur wenige ernste Denker, die in der Heilsarmee nicht eine un-
schätzbare, soziale Hilfe sehen; eine Kraft für das Gute, die wirkungsvoll in
fenen Regionen arbeitet, wo außer ihr nur das Böse machtvoll ist.
Theodor Roosevelt. 160, 10.
Das Zeitalter der neuen Technik und der neuen Wirtschaft, der sozia-
listischen Ideen und der demokratischen Wirklichkeit, kurz, das
19. Jahrhundert ist auch das Jahrhundert der Gesellschaftsforschung ge-
worden. Heute gilt es als selbstverständliche Tatsache, daß alle Kultur-
entwicklung an Gesellschaftsleben, alles Gesellschaftsleben an Massenbe-
wegung gebunden ist; daß wir also der Gesellschaftsforschung bedürfen, um
unsere Kultur völlig und restlos zu verstehen. Die ohne weiteres wohl von
jedem anerkannte Eigenschaft der Menschen, ein Gesellschaftswesen zu
sein — und schon Aristoteles hat den Begriff der ttocvcavia = societas —, nimmt
erst in unsern Tagen den ihr gebührenden zentralen Platz im Bewußtsein
der Geister ein. Immer klarer erkennt man, wie das innere Leben des ein-
zelnen ganz anderer Art sein würde, wenn das Gesellschaftsleben fehlte.
Die Gesellschaft ist vielleicht weit mehr in dem einzelnen, als der einzelne
in der Gesellschaft; was der Mensch jemals war, was er heute ist, das ist
er in ihr geworden. Soweit aber wäre unsere soziale Theorie nicht gediehen,
so einfach sie auch ist, wenn die soziale Praxis sie nicht getrieben hätte. Die
Menge brennender, sozialer Fragen droht uns über dem Kopf in einer Lohe
zusammenzuschlagen, und die brennendste von allen, fast „die“ soziale
Frage, ist die Frage, wie die handarbeitenden Klassen zu heben sind.
Das ist die quinta essentia der Anschauungen, welche dieser Schrift zu-
grunde liegen und welche mir hoffentlich nicht als materialistisch-mecha-
nistisch etikettiert werden. Ich führe meine Leser in das Land, von dem jene
wirtschaftlichen, technischen und sozialen Umwälzungen ausgingen, welche
zusammen mit der französischen Springflut alles Alte niederwarfen und be-
gruben. In diesem Lande, dem Patmos oder, wenn man will, dem Tuskulum
der Könige, fanden Karl Marx und Friedrich Engels nach vielerlei Odysseus-
fahrten eine Heimstätte, und die’Ideen dieser Sozialisten von der Verände-
rungs- und Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen, von der Einwirkung
der sozialen Umgebung auf den einzelnen, von der teilweise untergeordneten
Bedeutung des freien Wettbewerbes und des Privateigentums für Wohlstand
und Fortschritt, ihre Anschauung von der Notwendigkeit, Individualismus
durch Kollektivismus und diesen durch Sozialismus zu ergänzen, dieser freiere,
tiefere Blick von Marx und Engels für Mensch und Gesellschaft hat der moder-
. 1 Clasen, Der Salutismus
I
Heute gibt es nur wenige ernste Denker, die in der Heilsarmee nicht eine un-
schätzbare, soziale Hilfe sehen; eine Kraft für das Gute, die wirkungsvoll in
fenen Regionen arbeitet, wo außer ihr nur das Böse machtvoll ist.
Theodor Roosevelt. 160, 10.
Das Zeitalter der neuen Technik und der neuen Wirtschaft, der sozia-
listischen Ideen und der demokratischen Wirklichkeit, kurz, das
19. Jahrhundert ist auch das Jahrhundert der Gesellschaftsforschung ge-
worden. Heute gilt es als selbstverständliche Tatsache, daß alle Kultur-
entwicklung an Gesellschaftsleben, alles Gesellschaftsleben an Massenbe-
wegung gebunden ist; daß wir also der Gesellschaftsforschung bedürfen, um
unsere Kultur völlig und restlos zu verstehen. Die ohne weiteres wohl von
jedem anerkannte Eigenschaft der Menschen, ein Gesellschaftswesen zu
sein — und schon Aristoteles hat den Begriff der ttocvcavia = societas —, nimmt
erst in unsern Tagen den ihr gebührenden zentralen Platz im Bewußtsein
der Geister ein. Immer klarer erkennt man, wie das innere Leben des ein-
zelnen ganz anderer Art sein würde, wenn das Gesellschaftsleben fehlte.
Die Gesellschaft ist vielleicht weit mehr in dem einzelnen, als der einzelne
in der Gesellschaft; was der Mensch jemals war, was er heute ist, das ist
er in ihr geworden. Soweit aber wäre unsere soziale Theorie nicht gediehen,
so einfach sie auch ist, wenn die soziale Praxis sie nicht getrieben hätte. Die
Menge brennender, sozialer Fragen droht uns über dem Kopf in einer Lohe
zusammenzuschlagen, und die brennendste von allen, fast „die“ soziale
Frage, ist die Frage, wie die handarbeitenden Klassen zu heben sind.
Das ist die quinta essentia der Anschauungen, welche dieser Schrift zu-
grunde liegen und welche mir hoffentlich nicht als materialistisch-mecha-
nistisch etikettiert werden. Ich führe meine Leser in das Land, von dem jene
wirtschaftlichen, technischen und sozialen Umwälzungen ausgingen, welche
zusammen mit der französischen Springflut alles Alte niederwarfen und be-
gruben. In diesem Lande, dem Patmos oder, wenn man will, dem Tuskulum
der Könige, fanden Karl Marx und Friedrich Engels nach vielerlei Odysseus-
fahrten eine Heimstätte, und die’Ideen dieser Sozialisten von der Verände-
rungs- und Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen, von der Einwirkung
der sozialen Umgebung auf den einzelnen, von der teilweise untergeordneten
Bedeutung des freien Wettbewerbes und des Privateigentums für Wohlstand
und Fortschritt, ihre Anschauung von der Notwendigkeit, Individualismus
durch Kollektivismus und diesen durch Sozialismus zu ergänzen, dieser freiere,
tiefere Blick von Marx und Engels für Mensch und Gesellschaft hat der moder-
. 1 Clasen, Der Salutismus
I