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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 5.1854

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https://doi.org/10.11588/diglit.1198#0044
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von Steinbach, wie der Baumeister des Kölner Doms u. A. waren
vorwiegend künstlerische Apostel der großen, ihr Zeitalter beherrschen-
den Idee und Verweser des künstlerischen Nationaleigenthums, des
Styls, gewesen, haben daher mehr ein nationales, als persönliches
Interesse. Anders dagegen ist das Verhältniß der Epigonen zur
Kunst. Ihre Namen sind unzertrennlich von ihren Werken und sie
selbst für deren künstlerischen Inhalt verantwortlich, da sie und nicht
mehr die gesummte Nation den künstlerischen Inbegriff des heutigen
Baulebens vertreten.

Seitdem durch jene Processe der kirchliche Baustyl historisch ge-
worden ist und nur noch eine traditionelle Existenz besitzt, hat die
Bauthätigkeit eine ganz neue Physiognomie erhalten. Es waren
zunächst die großen italienischen Baumeister des fünfzehnten und
sechszehnten Jahrhunderts, deren Bestrebungen sie dieselbe verdankt.
Diese gingen darauf hinaus, der Baukunst durch Einführung eines
neuen Styls einen neuen künstlerischen Inhalt zu verleihen. Der
Erfolg jener Bestrebungen war bekanntlich die Schöpfung jener auf
der Antike fußenden, brillanten Bauweise, durch welche das archi-
tektonische Verhältniß und das dekorative Element einen bis dahin
unerreichten Grad künstlerischer Ausbildung erfuhren. Dies war
nicht allein in Italien, sondern besonders auch in Frankreich der
Fall, wo auf nationalem Boden eine der geschmackvollsten Abzwei-
gungen jener Richtung, die eigentliche Renaissance, sich ausbildete,
jedoch nicht ohne den Keim zu jener frivolen Parodie der klassischen
Kunst in sich zu tragen, welche das spätere französische Bauleben
charakterisirt. In Deutschland selbst, wo das christlich germanische
Element die Architektur im Mittelalter auf eine künstlerische Höhe
gebracht hatte, der nichts Aehnliches an die Seite gesetzt werden
kann, schien mit dem Abschlüsse jener Epoche die weitere Lebens-
fähigkeit der nationalen Baukunst erloschen. Von der Zeit an wur-
den es hauptsächlich die Akademien, tu deren Hör- und Zeichnensäle
die dem Volksbewußtsein entfremdete Kunst ein Asyl fand. Der
von dort ausgehende, auf den Regeln der klassischen und römischen
Architektur aufgebaute künstlerische Schematismus wurde die allge-
meine Richtschnur für öffentliche und sogar kirchliche Anlagen, so
wie für Bauten des Luxus, während der Privatbau, der eigentliche
Prüfstein nationalen Kunstlebens auf dem architektonischen Gebiete
der Neuzeit, in immer tiefere Charakterlosigkeit versank. Der Einfluß
dieser Richtung, noch in den ersten Decennien dieses Jahrhunderts
bemerklich, ward bereits damals durch eine Reaktion gehemmt, die,
von Einzelnen ausgehend, mit der Zeit weit umher im Volke Wur-
zel gefaßt hat. Das Bewußtsein von der Nothwendigkeit einer
künstlerischen Rehabilitirung der Architektur machte sich zunächst bei
Denjenigen fühlbar, welche auf dem Wege geschichtlicher Forschung
mit der Ueberzeugung von der hohen kulturhistorischen Bedeutung
der Baukunst gleichzeitig zu der Einsicht gelangt waren, daß ein
Zeitalter,.welches sich rühmen darf, eine neue historische Malerei ge-
schaffen zu haben, auch im Stande sein müsse, die künstlerischen
Rechte der Baukunst jtt wahren und zur allgemeinen Anerkennung
zu bringen. Diese Wahrheit würde nicht so rasch die Massen durch-
drungen haben, hätte nicht das gesteigerte bauliche Bedürfniß der
Gegenwart ihr den Weg gebahnt. Dieses war es zunächst, was
dem Volke die Baukunst wiedergegeben und namentlich in der Pri-
vatarchitektur die Kunst wieder zur Geltung gebracht hat. Die
Frage aber, ob ein neuer Styl das Endresultat sein wird, muß
dabei als durchaus untergeordnet erscheinen, ungeachtet sie von Man-
chen an die Spitze gestellt und als Grundbedingung für die künst-
lerische Lebensfähigkeit der Architektur proklamirt wird.. Als vollends
müßig aber sind, unseres Erachtens, alle jene Bestrebungen und
Vorschläge zu betrachten, welche die Erfindung eines netten archi-

tektonischen Styls im Auge haben. Dieselben bekunden eine durch-
aus mißverstandene Auffassung der architektonischen Frage. Wenn
ein Rückblick auf die Geschichte der Baukunst uns lehrt, daß ein
die Grundidee seines Zeitalters verkörpernder Normalstyl die künst-
lerische Existenz der Architektur ehedem bedingte, so folgt daraus
noch nicht, daß jener auch in unseren Tagen für das künstlerische
Dasein der Architektur unerläßliche Bedingung sei. Jedenfalls aber
darf darin für den Kunstphilosophen.noch keine Aufforderung liegen,
uirseren heutigen Architekten die allgemeine Richtung ihres künstleri-
schen Strebens unter Hindeutung auf die.Kulturidee anzuweisen, in
deren Schooße der vermeintliche Baustyl der Zukunft ruht. Soll
es der Architektur abermals beschieden sein, den geistigen Inhalt des
modernen Zeitalters einheitlich zu verkörpern und sollen die Steine
zu uns reden, wie in vergangenen Tagen, so wird dieses geschehen,
mag nun die centrale Lebensfrage der Gegenwart durch philosophi-
schen Kalkül gefunden sein oder nicht. Ein neuer Styl aber ist
durch das Aufdecken derselben gewiß noch nicht gefunden, denn die-
ser bedarf, um zu werden, der Zeit. Wenngleich eine derartige krank-
hafte Richtung da und dort sich geltend machen will, so ist dieselbe
doch keineswegs als der Grundton anzusehen, welcher die heutige
Bewegung durchklingt. Diese geht vielmehr aus von der Erkenntniß
des idealen, aller Absichtlichleit fremden künstlerischen Gesetzes in der
Architektur, welches derselben die Rechte ewiger Existenz neben den
anderen Künsten vindicirt, mit einem Worte von der historischen
Offenbarung, welche die Nationen durchdrungen hat. Deshalb kön-
nen wir auch nicht so unbedingt in das übliche Klagelied über die
Zerfahrenheit und Lebensunfähigkeit der heutigen Baukunst einstim-
men, sondern sind vielmehr der Ueberzeugung, daß, beim rechten
Lichte betrachtet, dieselbe des Erfreulichen genug darbietet und daß
die modernen Architekten eifrig bemüht sind, den Airforderungen zu
errtsprechen, die das künstlerische Bedürfniß unserer Tage vernünfti-
gerweise an sie stellen kann. Man blicke nur auf die Eisenbahn-
hallen und man wird zugeben müssen, daß die greise Kunst sich in
diesem Zweige baulichen Bedürfnisses entschieden verjüngt hat. Aehn- -
lich bedeutsame Erscheinungen tauchen aller Orten auf; am Leben-
digsten aber regt sich bei uns die Hoffnung auf eine künstlerische
Zirkunft der Architektur Angesichts der Bestrebungen, welche, analog
mit dem historischen Style der heutigen Malerei, an die Zeiten der
aufsteigenden Kunstepoche wieder anknüpfend, die Vollendung der
durch die Kunst des Spitzbogens unterbrochenen nationalen Ent-
wicklung des Rundbogenbaues im Auge haben. Dieser Erscheinung
wendet sich wegen ihrer Bedeutsamkeit unsere Aufmerksamkeit vor-
wiegend zu; denn'unserer Ansicht nach beruht die Hauptaufgabe der
Architekten heut zu Tage darin, historisch zu Werke zu gehen und
des stylistischen Studiums sich möglichst zu befleißigen, um auf die-
sem Wege den künstlerischen Faden der Architektur zu verfolgen. Alle
Welt kennt die Resultate, welche die neueren Münchener Kunst-
bestrebungen auf diesem Gebiete erlangt haben. Verwandte Erschei-
nungen, wiewohl in kleinerem Umfange, aber naturgemäßer und ur-
sprünglicher, bietet auch die moderne Baugeschichte in Hannover dar.
Es bedarf eines kurzen Ueberblickes über die Geschichte der Baukunst
in dieser Stadt, um die gegenwärtige Bewegung daselbst würdigen
zu können.

Wer die Geschichte der Stadt Hannover kennt, wird sich .nicht
wundern, nur wenige Bauwerke daselbst zu finden, an denen histo-
rische Erinnerungen haften und die von den Thaten und Kräften
des mittelalterlichen Städtelebens uns Kunde zu geben vermögen.
Hart auf der Scheide des fruchtbaren Landstriches zwischen Deister
und Leine einerseits und der wasser- und menschenarmen norddeut-
schen Ebene andererseits gelegen, stand Hannover im Mittelalter
 
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