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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 5.1854

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https://doi.org/10.11588/diglit.1198#0284
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270

sie kann sich um so eher fortsetzen, als beide fortschreitende Künste
, sind, d. h. die Seele den Inhalt derselben successiv aufnimmt. Ist
nun dieser Inhalt in beiden auch so verschieden, daß die eine be-
stimmte Anschauungen, Vorstellungen von inneren und äußeren Din-
gen darbietet, die andere aber nur abstracte Töne und deren Ver-
hältnisse, so können sie doch nicht blos deshalb Zusammenwirken,
weil die psychologischen Erfolge beider, poetische Anschauungen und
musikalische Stimmungen, wenn sie sich von Satz zu Satz entsprechen,
neben einander in der Seele zu sein und zu einer Einheit sich zu
verbinden vermögen, sondern auch weil die Anschauungen selbst durch
Worte vermittelt werden, diese Worte aber statt der einfachen und
gewöhnlichen Töne, zugleich die musikalischen in sich ausnehmen kön-
nen. Letzteres ist sogar nochwendige Bedingung, denn eine bloße
Declamation mit Mlsikbegleitung würde durch die gesprochenen Töne
eine Störung unter den musikalischen bilden und den ästhetischen
Eindruck aufheben. Schon ein Sprechen, nicht während, sondern nur
zwischen dem musikalischen Vortrag, wirkt als Contrast gegen die
musikalische Stimmung fast immer komisch, und wird in solcher Ab-
sicht in komischen Opern mit Glück angewendet.

Von den verschiedenen Gattungen der Poesie wird sich eigent-
lich lyrische am fruchtbarsten mit der Musik verbinden; denn da
jene selbst, nicht sowohl auf Erzeugung von inneren Anschauungen^
-als Erregung von Gefühlen und Stimmungen gerichtet ist, theilt sie
mit dieser unmittelbar Richtung und Ziel. Die epische Poesie da-
gegen dürfte kaum mehr als den musikalisch intonirten Rythmus
zulassen, wenn bei ihrem langsamen Fortschritt in der Entfaltung
der Anschauungen das Musikalische nicht ein Uebergewicht erhalten
soll, wodurch jene völlig gestört würde. Auch kann der Zweck der
musikalischen Begleitung hier kaum ein anderer sein, als eine Durch-
dringung des. rein materiellen Elementes der Poesie, nemlich der
Laute, mit idealen Verhältnissen, so daß der Zuhörer das, was der.
poetische Inhalt fordert, zugleich durch den sinnlichen Vortrag er-
reicht, nemlich in eine über dem gewöhnlichen Leben erhabene, rein
ästhetische Sphäre versetzt zu werden. *) Daß die kürzere Ballade
und Romanze namentlich bei mehr sympathettschem Inhalt und knap-
per Form sich dem lyrischen mehr zuneigt, ist leicht ersichtlich.

Das psychologische Verhältniß der dramatischen Poesie zur
Musik, berührt einen alten Streitpunkt, die ästhetische Würdigung
der Oper. Einige Resultate der obigen Betrachtung über diese Frage
mögen hier Platz finden.

Wir haben vor Allem der Mimik zur erwähnen. Der psycho-
logischen Art der Anschauungen nach, gehört, sie zur Plastik, sie bie-
tet sinnliche Bilder und Eindrücke dar; nach der Weise der Empsäng-
niß derselben in der Seele aber steht sie auf Seiten der Poesie und
Musik und zählt zu den fortschreitenden Künsten; sie ist die successive
und zugleich flüchtige, kurz: die dramatische Plastik. Sie kann als
solche für sich allein wirken, als Pantomime; wegen der Flüchtig-
keit und des nothwendig schnellen Wechsels' ihrer Darstellungen ist das
dramatische Element an ihr allein nicht deutlich und bestimmt, das
plastische nicht dauernd genug, um einen eigentlichen ästhetischen
Werth zu besitzen, der denn auch durch allerlei Beiwerk der Pan-
tomimen an Tanz, Musik und Dekoration zusammengerafft wird,
und schließlich zur Höhe eines artigen Schauspiels für erwachsene
Kinder gelangt; es sei denn, daß Musik oder Tanz durch wahrhaft
ki'lnstlerische Leistungen sich dabei betheiligen, wobei deren eigener
Werth indeß immer so weit herabsteigt, als dies überhaupt durch
lose und lockere Gesellschaft zu geschehen pflegt. — Als Begleiter
bca* dramatischen Poesie gelangt. die Mimik zu ihrem höchsten ästhe-
tischen Wertste. Fortschreitend wie diese hat sie jedem Theil und
Glied derselben plastische Gestalt zu geben. Zwar nicht dieselben

*) Dies ist auch Zweck und Wirkung deö Rhythmus.

Anschauungen wie jene hat sie hervorzurufen, wie wenn etwa ein
beschreibendes Gedicht in eine plastische Darstellung übergebildet
würde; vielmehr hat sie den Vorstellungen, welche die dramatische
Poesie in Worten uns darbietet, diejenige sinnliche Anschauung von
den redenden Personen zu erwecken, welche im Leben und der Natur
damit verbunden zu sein pflegen. Da die .Mienen unst Geberden
nicht bloß ein ergänzender Theil des Handelns (und Redens)
sind, sondern zugleich ein erläuternder, indem sie den Worten von
den möglichen mehreren Eine bestimmte Bedeutung beilegen, so giebt
die Mimik der dramatischen Poesie nicht bloß äußere Gestalt, plastisches
Leben, sondern zugleich innere Deutlichkeit und Bestimmtheit, und
der Eindruck jener wird dadurch eben so wohl reicher und voller,
als klarer und fester. Sie giebt nicht bloß der Seele der poetischen
Handlung einen Leib,.sondern zugleich dem Leibe der poetischen'Rede,
dem bloßen Gerippe von Worten, Fleisch und Blut und seelenvollen
Ausdruck und.herzergreifenden Ton. •

'Die Stellung und Wirkung der Decoration dep Bühne ist
durch ihren Namen hinlänglich bezeichnet; als Architektur und Natur
nach ahmende Malerei dient sie zum eigentlichen Nahmen des dra-
matischen'Bildet, der zuweilen allerdings reich verziert und mit auf
das Bild bezüglichen Emblemen versehen ein selbständiges Wohl-
gefallen erregen und die Wirkung des Bildes dann erhöhen kann,
wenn er die Grenze und der Ruhepunkt des Auges zu sein sich be-
scheidet und nicht etwa mit seinen Bronzefiguren in die Mitte des
Bildes hineinragen und Mitwirken will.

Wenn die dramatische Poesie in der Mimik und einer wohl-
ausgestatteten Bühne in der That alle Mittel besitzt, und ihren
Zweck, Handlung und Leben darzustellen, nicht bloß durch innere
Wirkung, sondern selbst äußere Täuschung erreicht: was bleibt der
Musik noch für Raum, um darin mitzuwirken'? Wahrlich, wenn
irgend ein dramatisches Kunstwerk mit all diesen Mitteln seinen
Zweck nicht zu erreichen im Stande ist, die Mitwirkung der Musik
wird den dramatischen Effect vielleicht zu ersetzen, aber nicht zu
ergänzen vermögen, das Stück aber weder des Ersatzes noch der
Ergänzung werth sein. Wollte man also die Oper als das vollere
Drama, die Musik als einen integrirenden Theil desselben ansehen,
dann würde sie psychologisch betrachtet nichts'als die Schwäche der
Poesie und eine Entartung des Geschmacks anzeigen: ein zerrissener
Sammtrock mit Seide geflickt sein, zwar Sammet und Seide, aber
doch zerrissen und geflickt. Gewiß, spätere Zeiten werden die Oper,
sehen sie dieselbe als dramatisches Kunstwerk an, als ein Produkt
überfeinerter Kultur und verbildeten Geschmackes verdammen. Aber
die Richtung des Geschmacks ganzer Jahrhunderte, zumal mit Ueber-
einstimmung sämmtlicher gebildeter Nationen, fordert eine besonnene
Prüfung. Man kann freilich die Sache der Oper unmöglich im
Ernst dadurch unterstützen wollen, daß man die musikalisch-drama-
tische Aktion als die höchste rein ideale Sphäre bezeichnet, die nur
eine viel höhere Stufe der rhythmischen Poesie des Dialoges aus-
macht, und gleich diesem also von der natürlichen Darstellung ab-
weichen darf. Dagegen giebt es allerdings einen Punkt, wo Musik
und Drama Zusammentreffen, auf welchem auch der psychologische
wie historische Ursprung der Oper sich befindet. Die Musik erzeugt
Stimmungen, zwischen beiden findet aber auch eine Wechselwirkung
statt; gewisse Stimmungen erzeugen und erfordern Musik; der Ge-
sang ist in gewissen Situationen natürlich. Treten diese, die man
die lyrischen Momente des Lebens nennen kann, innerhalb eines
Dramas ein, so würde es sogar zur künstlerischen Vollendung dessel-
ben gehören, daß nicht gesprochen, sondern gesungen werde. Hierher
gehört: die Arie, der gesungene Monolog, das Gebet, das Kriegs-
lied, der Rundgesang an der Tafel, und das Lied in der gefühl-
erregten Einsamkeit. Werden nun möglichst viele solcher Momente
zu einem dramattschen Ganzen verknüpft, so haben wir ein lyrisches
 
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