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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 1.1854

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https://doi.org/10.11588/diglit.1203#0021
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Hereinziehen ausführlicher Bilder und Gleichnisse, so wie das ver-
brauchte Personifiziren von Himmel, Wind, Wolke, Muschel, Rose
und hundert anderen leblosen Gegenständen, dem man hier überall
begegnet. In den allermeisten .Fällen wird ein solches Verfahren,
das, wie unmerklich auch immer, dennoch auf einer Verstandesope-
ration bericht und daher zum Verständniß eine Rückoperation ver-
langt, nicht allein dem Leser den unmittelbaren Eindruck des Gefühls
verkümmern, welches der Dichter ausdrücken wollte, sondern es wird
auch fast immer ein Beweis sein, daß dasselbe nicht in rechter Fülle
und Tiefe bei dem Dichter vorhanden gewesen ist. Die vorliegende
Sammlung liefert hiefür den schlagendsten Beleg.

Daß bei alledem der Verfasser feiner ursprünglichen Natur-
anlage nach eines liefern Tones fähig ist, das ergiebt sich auch hier
wiederum aus einzelnen Strophen und Liedern, denen es freilich,
wie in der „Hegler Mühle", überall an einer gründlichen Durch-
führung im Einzelnen fehlt; z. B.

Wider der Welt Rede.

Wo dir ein heimlich heilig Blatt
Aus deinem Herzen ward gerissen,

Und durch der Neugier Angen hat
Den Ruthenlaus hinwandeln müssen:

Verzage nicht, und glaub es mir,

Es ging schon Manchem so wie dir!

Hör Alles an und fasse dich,

Ob sie dir trauern oder scherzen;

Hat Alles seinen bösen Stich

Und tteibt den Stachel dir zn Herzen,

Verzage nicht! Ertrag es still!

Gebeut dem Zorn, der widerwill.

Denn bist du still: es spricht sich tobt.

Die Welt sucht morgen schon das Neue,

Und hieltest du's in Schmerz und Noth:

-» Dein ist es erst mit rechter Treue.

Verzage nicht! Du kommst zur Ruh!

Du hast's allein, dein Gott und du.

wo den Hauptanforderungen der Kritik schon durch Hinweglassung
der mittleren Strophe Genüge geschehen wäre.

Nach dem hier Gesagten können wir mit der von dem Dichter
m seinem Einleitungsgedicht „das Lied der Liebe" ausgesprochenen
Ansicht keineswegs übereinstimmen:

Und dieses Lied — ob es tausendmal
Und abermal tausend erklungen,

Die Liebe, die Liebe voll Lust und Qual,

Wird nimmer zn Grabe gesungen.

Wollt's Gott, ich hätte durch hundert Jahr
Gesungen ihr tausend Lieder:

Mit zitternden Händen und greisem Haar,

Ich würde der Liebe nicht müder.

O Liebe, du Liebe, du Harfengreis,

Du Segensfrucht an dem Lorbeerreis,

Ich sänge dir wieder und wieder.

„Hegler Mühle" zu erkennen meinen, konnte doch immerhin der: An-
spruch machen, daß bei Gelegenheit eines von demselben Verfasser
herrührenden Werkes das gesagt würde, was wir seit lange gegen
eine ganze Classe von Poeten auf dem Herzen hatten.

denn wenn auch die Liebe an sich wie in der Weltordnuug, so auch
in der Poesie ihre ewige Berechtigung hat: so wird sie dem einzel-
nen Dichter doch niemals ein stets handgerechter Stoff sein, aus
dem er beliebig seine Lieder zu fabriciren vermöchte; er wird vielmehr
die Offenbarung abwarten müssen, wie bei Allem, was heilig ist.
Am allerwenigsten aber haben die Lieder der vorliegenden Samm-
lung es vermocht, uns zur Uebereinstimmung mit der Ansicht ihres
Verfassers zu bewegen.

Man könnte uns, und scheinbar mit Recht, den Einwurf ma-
chen, wir hätten für die Besprechung eines Buches, an dem wir so
Weniges gelten lassen, keinen Raum in diesen Blättern verlangen
dürfen; allein das nicht alltägliche Talent, welches wir in der

Mater dolorosa.

Erzählung von Karl Beck. Berlin, Heinrich Schindler, 1853.

Im Anfänge der Siebenziger des vorigen Jahrhunderts hausete
auf einem jetzt kaum bewohnten, nur noch conservirten Schlosse in
der Nähe von Kalicz in Galizien, als ächter polnischer Edelmann
m Glanz und Stolz, der Graf Joseph Babinsky. Er hatte ein
armes, eben so sanftes als schönes Fräulein, Wanda, geheirathet;
die einzige Frucht dieser Ehe war Widimir, nach der Mutter geistig
und gemüthlich, nach dem Vater stolz und unbeugsam geartet.

Seit er Zeuge gewesen, wie der Vater einen Jäger in über-
l MÜthigem Jähzorn niederschoß, ist er dem Vater entfremdet. Ein
Vatersbruder Severin, mild und klug, Hilst der Gräfiu Wanda es
durchsetzen, daß Widimir auf Reisen gehen darf, um den Zwiespalt
zwischen Vater und Sohn durch die Zeit lösen zu lassen.

Dies das erste Buch: „Trennung."

Wir folgen dem Helden Widimir über Leipzig nach Paris.
Hier tritt er als Weltmann auf, utld geräth in den Zauberkreis einer
jungen Marquise, deren 70jähriger Gemahl eben nur ihren Durst
nach Liebe erregt. Sie behauptet wenigstens, Widimir sei ihre
erste wahrhafte Liebe; Widimir liebt sie so lange, bis seine Eifer-
sucht und ihre Heftigkeit Scenen zwischen ihnen herbeiführen, nach
denen allerdings eine Fortdauer dieses Verhältnisses unmöglich ist.

Dies das zweite Buch: „Weltdame."

Während die Marquise in Spaa schmollt und auf die Reue
Widimirs wartet, findet er die wahre Liebe bei einem armen Edel-
fräulein, Elemente, der einzigen Tochter der verwittweten Gräfin v.
Merignan, die still in einer Villa bei Paris lebt. Er verlobt sich
mit ihr und ist sehr selig. Inzwischen spürt die Marquise sein ver-
borgenes Paradies aus; er kann einem Rencontre mit ihr nicht aus-
weichen, und eine neue Scene zieht ihm ihre ganze Rache zu. Wi-
dimir mischt sich in die aufgeklärten Zirkel, gelegentlich auch in die
Geheimbündelei des Tages; die Marquise weiß von Allem und der
polnische Gesandte dient dazu, Widimirs Vater von dem fälschlich
als unwürdig geschilderten Verhältniß zu Elemente und dem gefähr-
lichen politischen Treiben des Sohnes zu unterrichten. Widimir muß
Knall und Fall Frankreich verlassen und nach Hause reisen.

Dies das dritte Buch: „Kabale und Liebe."

Anfangs läßt sich das Wiederzusammensein zwischen Vater und

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Sohn besser an, als man fürchten zu müssen meint. Es ist die
Windstille vor dem Orkane. Widimir erregt durch philanthropische
Unternehmungen den Argwohn des Vaters, durch die Weigerung,
sich mit einer Landsmännin zu verheirathen, seinen Zorn. Der Va-
ter verreist auf 4 Tage. Nach der Rückkehr stellt der Graf seinem
Sohne die Alternative, entweder sich mit einer ihm bestimmten Braut
zu vermählen, oder An Dokument zu vollziehen, wodurch er enterbt
und Graf Severin an seine Stelle eingesetzt wird. Widimir unter-
schreibt. Aber der Vater zerreißt die Schrift wieder, und, im Ver-
folg einer seltsamen Wendung des Discourses aufs Aeußerste gebracht,
zwingt er Widimir zum Zweikampf, dessen Ende des Vaters Tod ist.

Dies das vierte Buch: „Das Dokument."

.Das entsetzliche Ereigniß hat Widimirs Geist so verdunkelt, daß
er vor Gericht den eigentlichen ihn entschuldigenden Hergang, der
sonst keinen Zeugen hatte, nicht zu erzählen vermag; er bekennt sich
als den Thäter und muß zum Tode verurtheilt werden. Erst hin-
terdrein klärt er die Mutter über die Wahrheit auf. Sie fliegt nach
 
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