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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 1.1854

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https://doi.org/10.11588/diglit.1203#0024
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18

herigen Dichtungen geben davon schönes Zeugniß. „Waldmeisters
Brautfahrt" ist im Stoff, in der Empfindung, in der Behandlung
durch und durch deutsch; „der Tag von St. Jakob" verherrlicht ein
Volk, das durch Sprache, Sitte und angebornes Freiheitsgefühl sich
als deutsches zu erkennen giebt; derselbe Grundton durchklingt Ro-
quette's Lieder, welche denn auch zum Theil, oft mit den musikalischen
Weisen, die er selbst für sie ersonnen hat, schon überall im Munde
des Volkes leben; „Herr Heinrich" endlich prägt in noch entschie-
denerer Art dies deutsche Wesen aus.

Der Dichter hat seiner Erzählung jene Sage zu Grunde ge-
legt, welche den jugendlichen Heinrich eine Zeit lang bei der Prin-
zessin Ilse im Jlsenstein verweilen läßt. Es ist dasselbe Motiv, das
wir aus der Geschichte vom Tannhäuser kennen, dieselbe Ausdrucks-
weise, in welcher der naive Sinn des Mittelalters eine nothwendige
Phase menschlicher Entwicklung bezeichnet. Die Macht des sinn-
lichen Daseins, das mit seinem bestrickenden Zauber das jugendliche
Gemüth zu umspinnen sucht, fand ihre Verkörperung in den lieb-
lichen Dämonen, deren Reich der Glaube des Volkes in die verbor-
genen Klüfte der Erde verlegte. Das Naturleben, dem Sinne des
Mittelalters geheimnißvoll und feindlich, war in jenen Gestalten
repräsentirt; der transcendente Geist suchte sich ihm zu entziehen, die
Ascese floh in die Zellen klösterlicher Abgeschiedenheit, um einen
Kampf zu meiden, dessen Gefahren sie nicht unterschätzte. Aber wer
mitten im Gewühl des Lebens sich tummelte, mußte Stand halten
und einer Versuchung gegenübertreten, die mächtiger war in Zeiten
kindlicher Kulturzustände, wo das ganze Dasein einen sinnlicheren
Charakter trug, eine mehr in's Aeußere gehende Richtung verfolgte,
als in späteren Tagen, wo eine feiner ausgebildete Sitte den
Einzelnen schützt, ein geistigeres Streben dem Willen zu Hülfe
kommt. Daraus erklärt sich der dämonische Zauber, mit welchem
die Sage jene verlockenden Gestalten, jene Frau Venus, Loreley,
Prinzessin Ilse umkleidete; erklärt sich die Nachsicht, mit der man
die Verirrung der von ihnen umstrickten Sterblichen aufnahm. Denn
die Flucht vor der Gefahr giebt keine Gewähr, sie jemals zu über-
winden. Mitten durch die schärfsten Gegensätze führt der Weg zur
höchsten Entwicklung, und nur Der steht in Wahrheit über jenen
dunkleren Mächten des Lebens, der seine Kraft im Kampfe mit ih-
nen gemessen hat, der ihnen Ang' in Auge gegenübergetreten ist.
Selbst Faust muß trotz aller Gelehrsamkeit sich dem Teufel verschrei-
ben und aus dem engen Studirzimmer in's volle sinnliche Leben
hinauöschreiten, um durch den Zwiespalt zum Einklang der beiden
widerstreitenden Gewalten zu gelangen. Einen ähnlichen Gang
nimmt Herr Heinrich, nur daß ihn, den fessellosen, lebenglühenden
Jüngling, der heiße Drang der Jugend in den Taumel hinabreißt,
aus dem erst das von der Selbstanklage aufgestörte und geschärfte
edlere Gefühl ihn errettet.

Es ist also unstreitig ein Stoff, der an sich unsere volle Theil-
nahme wach rufen, uns zu lebendigem Interesse fortreißen muß, da
er einen tief eingreifenden Prozeß menschlicher Entwickelung zum Ge-
genstände hat. Deshalb wird auch nur eine oberflächliche Betrach-
tungsweise dem Dichter vorwerfen können, daß er Sympathieen mit
dem Mittelalter, mit der einseitig spiritualistischen Richtung desselben
nähre. Mit demselben Rechte könnte man Göthe den Vorwurf ma-
chen, daß sein „Faust" ähnliche Tendenzen verfolge. Wenn die Dich-
ter, um den Gegensatz sinnlichen und geistigen Lebens, den Wider-
streit der beiden in der Menschenbrust schlummernden Grundmächte
poetisch darzustellen, in die Stoffwelt des Mittelalters zurückgreifen,
so geschieht das nur deshalb, weil nirgends diese beiden, in ihrer
Jsolirung feindlichen Elemente in solcher Schärfe einander gegenüber-
treten, wie gerade dort. Es kommt für uns nur noch auf die Frage
an, mit welchen poetischen Mitteln der Dichter hier diesem Gedan-
ken Fleisch und Blut gegeben habe. Sehen wir zu.

Wir treffen den jungen Heinrich mitten im rauhen Harzgebirge
auf der Jagd. Die Lust am Waidwerk hat ihn weit aus dem
Schwärme der Genossen entführt, und während sein Vater, Herzog
Otto der Erlauchte, mit Konrad, seinem kaiserlichen Gaste, nach der
Harzburg heimkehrt, schweift er noch im wildesten Theile des Forstes
umher. Die Nacht überfällt ihn, und er ist froh, in einsam gele-
gener Waldmühle ein Obdach zu finden. Aber ihn läßt es nicht
ruhen. Der volle Zauber einer sommerlichen Vollmondnacht, die der
Dichter in berauschender Schönheit vor uns aufsteigen läßt, weckt
ein unbestimmtes, mächtiges Sehnen in seiner Brust. Es treibt ihn
an's Fenster, und wie er halb träumerisch, halb erwartungsvoll hin-
ausstarrt, wird er unbemerkt Zeuge zärtlichen Liebesspieles. Da hält
es ihn nicht länger im Hause; er enteilt dem engen Zimmer und
stürmt in den Forst hinaus, um dem ungestümen Drange zu ent-
fliehn. So gelangt er an eine wildverwachsene Felswand. Plötz-
lich, wie er innehält, öffnet sich wie eine weite Pforte der Berg;
ein „Meer von Strahlen" umfließt ihn, und mitten im zaubrischen
Glanze erscheint Prinzessin Ilse. Mit wunderbarer Farbenglut ist
ihre Gestalt gemalt, „ein Blick von ihr ist schon Gewalt", und wie
sie ihren Gesang ertönen läßt, da ist's völlig um Heinrich geschehen.

„Kannst du träumen, kannst du schlafen?

Schöner Jüngling, komm, sei mein!

In der Liebe goldnen Hafen
Führ' ich den Beglückten ein.

Kennst du sie, verträumter Knabe,

Diese blühende Gestalt,-

Die im Traum mit holder Gabe

Liebend schon zu dir gewallt?

Willst du fragen nach dem Namen
Meines Reichs voll Strahlenschein?

Dieser Fluren dunkler Nahmen
Ist der graue Jlsenstein.

Offen steh'n dir meine Reiche,

Komm, Prinzessin Ilse winkt!

Komm, du bist der Ohnegleiche,

Dem sie ihre Liebe bringt.

In den blauen Silberwogen
Stehet mein demantnes Schloß,

Fröhlich um die Säulenbogen
Tanzet mein geschäft'ger Troß.

Meine Blumen duften singend,

Sterne sprühn in buntem Schein,

Meine Brunnen springen klingend,

Zögre nicht, o komm, sei mein!"

Heinrich eilt in ihre Arme; hinter ihm schließt sich die Fels-
wand, und er ist vom Erdenleben abgeschnitten. Auch die letzte Er-
innerung an das, was er zurückgelassen, wird durch den sinnbethö-
renden Zauber, mit welchem Ilse ihn umgiebt, aus seiner Brust
verdrängt. Mit einer wahrhaft berauschenden Glut schildert der fol-
gende Gesang das Leben an schön Ilsens Seite, das der Dichter in
märchenhaftem Dufte uns zeigt. Endlich aber erwacht der thaten-
durstige Sinn des Jünglings; nur leise ringt er sich aus der Ver-
strickung los, bis zuletzt ein altes Volkslied, das in Heinrich allge-
mach aufoämmert, seinen Gedanken bestimmte Richtling giebt.

Diese innere Wandlung ist vom Dichter mit feinem psychologi-
schem Takte gezeichnet. Vortrefflich erfunden ist namentlich der Zug,
daß jenes längst nicht mehr gehörte Volkslied von der Prinzessin
Ilse ihm in die Erinnerung zurückkehrt und seine Seele aus ihrer
Traumversunkenheit weckt. Wie denn Roquette in solchen Dingen
Meister ist, so schlägt auch dies eingeflochtene Lied auf's Glücklichste
den Ton der Volksweise an. In diesem Sinne ist namentlich die
letzte Strophe, welche in naivster Art die Reflexion des Volkes wie-
dergiebt, diesem wie aus dem Herzen geschrieben:
 
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