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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 1.1854

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https://doi.org/10.11588/diglit.1203#0025
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19

„Und fängst dn sie Alle mit Zauberblick,

Schön Ilse, ich neide dir nicht dein Glück;

Kannst nimmer gelangen znm irdischen Licht,

Hast doch keine ewige Seele nicht,

Prinzessin Ilse, du feine!"

Nach fruchtlosem Kampf und heißem Bestürmen reißt Heinrich
sich aus Ilsens Armen los, durchschwimmt die widerstrebende Flut
und findet sich plötzlich im winterlich rauhen Gebirge der Erde wie-
dergegeben.

Dort führt ihn ein günstiges Geschick einem Kohlenmeiler zu,
in welchem der Köhler mit dem Förster die Nacht verplaudert. Der
Dichter nimmt hier Gelegenheit, durch den Förster, einen alten
Kriegsgefährten des jungen Heinrich, dem Leser die bereits früher
in ihren ersten Linien entworfene Schilderung der Zeitverhältniffe
völlig auszuführen. Wir sehen das Reich zerrüttet, durch äußere
Feinde, durch innere Fehden verwüstet; den Kaiser Konrad alt und
machtlos; den Herzog Otto dem Tode nahe, in den letzten Zügen.
Die einzige Hoffnung, der junge Heinrich, dem schon früh des Va-
terlandes Noth das Herz zerrissen, ist seit drei Jahren spurlos ver-
schwunden. In diesem Augenblicke kehrt der lange Vermißte wie
durch ein Wunder zurück. Zerstört in seinen Sinnen, erfährt er die
Kunde von seines Vaters nahem Ende. Eilend jagt er auf schnell
herbeigeschafftem Rosse der Harzburg zu, wo er den Vater eben noch
lebend antrifft. Mit würdiger Rede scheidet der alte Herzog vom
Leben und seinem Sohne, den er als Erben seiner Macht hinterläßt.

Aber diese Macht wird vom Kaiser angetastet. Von Heinrichs
Feinden und Neidern übelberathen, will er Thüringen dem jungen
Herzog entziehen. Wir finden diesen in Goslar wieder, mitten in
den Zubereitungen des Kriegszuges. Hier folgt ein scherzhaftes In-
termezzo, das den düstern Eindruck der letzten Ereignisse beim Leser-
heiter verwischt. Die Bürger und ehrsamen Handwerker der guten
Stadt Goslar machen sich mit kluger Rede breit; namentlich sind
der Schneider und der Barbier Gestalten von glücklichster Komik,
und wenn wir auch recht gut wissen, daß Goslar zu jener Zeit noch
keine solche Insassen haben konnte, weil die Stadt, erst nachmals
von Heinrich gegründet, noch gar nicht vorhanden war, so möchten
wir darum diese wirkungsvollen Figuren ebenso wenig missen, wie
der Dichter sie entbehren konnte, da er hier eines solchen Gegensatzes
bedurfte, obgleich er sich des historischen Verstoßes ohne allen Zwei-
fel ebensogut bewußt war.

Derweil Heinrich mit seinem Heere aufbricht, spielt auf dem
Brocken ein neues Intermezzo. Der sechste Gesang schildert „die
erste Mainacht." Wild bacchantisch, und dabei koboldhaft neckisch
treiben die Heren dort ihr Spiel. Auch hier sind Gesänge einge-
flochten, welche dies wirr phantastische, dämonische Wesen trefflich
schildern. Auch schön Ilse kommt, vom Berggeist sich eine „unsterb-
liche Seele" zu erbitten, die ihr Heinrichs Liebe für immer wieder-
gewinne. Der Alte muß ihr diese Bitte abschlagen, aber er giebt
ihr doppelte Gewalt, den Entflohenen zurückzuholen.

Inzwischen kehrt Heinrich siegreich heim, aber abgeschnitten von
den Seinen nimmt er Zuflucht in einem einsam gelegenen Kloster,
bis sein treuer Hubert ihm Hülfe bringe. Dieses, wenn auch nur
augenblickliche Fliehen des Helden, der obendrein seinen Weg über
die Klostermauer nimmt, wirst einen Schatten aus Heinrichs Person
und schmeckt etwas zu sehr nach Willkür. Denn offenbar suchte der
Dichter nur eine Gelegenheit, den Sieger in den Klostergarten zu
bringen, wo er nun die unter Obhut der Nonnen verweilende Toch-
ter Kaiser Konrads treffen muß, in der er plötzlich den Inbegriff
edler Weiblichkeit, das ächte Ziel seiner Sehnsucht findet. So schön
auch diese Gestalt gezeichnet ist, so jungfräulich und doch wieder ma-
jestätisch ihr Wesen bei der Begegnung mit Heinrich, den sie in der
Krypta verbirgt und erst entläßt, nachdem die Seinigen herbeigekom-

men sind; so erklärlich und poetisch gerechtfertigt es erscheint, daß
! der Dichter in ihr gegen die dämonisch reizende Ilse den Gegensatz
edleren Zaubers hinzustellen wünschte: so kommt doch die ganze Er-
scheinung etwas zu spät hinterher, und wir hätten für die Compo-
sition des Ganzen es vorteilhafter und richtiger erachtet, wenn sie
schon früher und inniger sich mit dem Bau der Dichtung verbun-
den hätte.

Denn freilich dieser Gegensatz konnte nicht entbehrt werden,
sollte nicht Heinrich's Widerstreben gegen Jlsen's Macht auf die
Dauer einen zu abstrakten und daher psychologisch unwahren Cha-
rakter annehmen. Kommt ja im folgenden Gesänge die schöne Ver-
lassene noch einmal an die Oberwelt, um die Macht ihrer Reize an
dem Treulosen zu versuchen. Da aber ist es die Lichtgestalt der
Kaisertochter, die ihn vor neuer Umstrickung bewahren hilft, und die
neue lautere Flamme seines Herzens vertreibt vollends die alte üp-
pig lodernde Glut. Das Ende ist einfach. Kaiser Konrad reist
seinem siegreichen Gegner entgegen und versöhnt sich mit ihm in
Goslar. Ueberzeugt, daß nur ein so jugendkräftiger Arm das Va-
terland aus seiner Verwirrung retten könne, gewinnt er die Großen
des Reiches, und am Todtenbette des alten Kaisers empfängt Hein-
rich zugleich Krone und Braut.

Dies der Faden der Erzählung. Wir legten ihn mit Absicht
so ausführlich dar, um daraus die Art der Composition, die Glie-
derung des Ganzen deutlich erkennen zu lassen. In der That kön-
nen wir, mit Ausnahme des schon erwähnten Punktes, der Dichtung
das Lob eines verständigen, klar angelegten und geschickt durchgeführ-
ten Planes nicht vorenthalten und müssen ihr hierin den Vorrang
vor jenen oben erwähnten Werken des Dichters zusprechen- Hier
waltet keine Spaltung des Interesses; Alles gruppirt sich in wohl-
berechneter Anlage um die Gestalt des Helden, die nicht allein für
ihre eigensten, persönlichsten Schicksale, sondern auch in ihrer Bezie-
hung zu der allgemeinen Idee des zu rettenden Vaterlandes unser
lebhaftes Interesse erweckt. Letzteres spricht sich besonders warm in
den Versen aus, die prophetisch in Heinrichs Seele das künftige
Bild seines Reiches malen:

„Ein Land, erwacht zu neuer Stärke,

Gehemmt mit Macht der Zwietracht Werke,

Versöhnt die Schwerter, die vernichtend
Mit Ingrimm auf einander schlugen;

Sein blühend Haupt zur Sonne richtend,

Und stark und festin allen Fugen.

Ein Reich, der Nachbarn Furcht und Granen,

In kühnem Muth, in Siegeswaffen,

Ein blühend Reich, voll Selbstvertrauen —

Das deutsche Reich, das Er erschaffen."

Diese frische, warme, ächt deutsche- Gesinnung ist ein hoher
Schmuck der Dichtung. Aber sie würde uns auch nicht einen Au-
genblick zum Beifall locken, wenn hier die löbliche Gesinnung betteln
ginge um Anerkennung für eine magere Poesie. Nirgends ist das
weniger der Fall als hier; im Gegeutheil könnten die geschichtlichen.
Schilderungen (wie S- 15 ff.) etwas mehr Jndividualisirung zeigen
und uns ein prägnanteres Bild der Zeit vor die Seele rufen- Hier-
von abgesehen, waltet in der ganzen Dichtung eine wahrhaft hin-
reißende Fülle von Poesie, ein Reichthum an Gedanken, eine Pla-
stik der Darstellung, die überströmend aus dem tiefsten Herzen quillt.
Einzelnes haben wir schon herausgehoben; bemerken müssen wir aber
noch, daß Roquette in vorzüglich hohem Grade das Talent besitzt,
durch allgemein angeschlagene Akkorde die entsprechende Stimmung
vorzubereiten und dann mit unmerklichen Uebergängen den Leser plötz-
lich in den Kernpunkt der Sache hineinzuziehen. Ein schlagendes
Beispiel ist der Anfang des ersten Gesanges, wo wir aus dem kurz
preisenden Anrufe des Vaterlandes zu einer Schilderung des Mär-
 
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