Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 1.1854

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.1203#0027
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Literatur

Platt

des

Deutschen Kunstblattes.

M «.

Donnerstag, den 23. März.

Inhalt: Rudolph Gottschall: Die Göttin. Carlo Zeno. — Lieder des Catnll. — Mtung<

1834.

Rudolph Gottschall:

Die Göttin. Ein Hoheslied vom Weibe. Hamburg. Hoffmann u. Comp. 1853.
Carlo Zeno. Breslau. Trewendt u. Gramer. 1854.

Zwei Dichtungen, davon die eine auf 312 Seiten sich mit einer
Heldin, die andere auf 369 Seiten mit einem Helden beschäftigt.
Fürwahr, ein Aufwand von Versen und Reimen, welcher einen un-
erschrockenen Arbeitsmuth und eine Ausdauer bezeugt, die gewiß an
nicht geringe Zwecke sich hingegeben hat. Und was für Zwecke sind
das! Schlagen wir die „Göttin" auf, so will zwar beim flüchtigen
Durchblättern die Mannigfaltigkeit der Rhythmen und der Formen
in uns den Verdacht erwecken, als hätten wir es nur mit wirren
Phantasieen eines vagen Dichtergeistes zu thun; und klingt uns
dabei die seltsame Ueberschrift in den Ohren, so erwarten wir dithy-
rambische Rhapsodieen, visionäre Verzückungen einer Seele zu hören,
die sich vielleicht in Zuständen höherer Ekstase befindet. Allein bald
bemerken wir, daß die zerrissenen Stücke ein Ganzes bilden, daß sich
die verschwimmenden Nebel zu einer Gestalt verdichten sollen, deren
Lebensgeschichte zur Basis für großklingende Absichten gemacht wird.
Der Dichter läßt uns über diese Absichten nicht lange im Dunkeln.
Es handelt sich um „das unerschöpfte Lied der Schmerzen von Frauen-
leben, Frauenherzen"; er citirt „gespenstergleiche Frauenbilder" und
hebt daraus Eine besonders hervor, die den Mittelpunkt der Dich-
tung ausmachen soll. Wir müssen ihn hier selbst reden lassen, da-
mit wir nicht etwa die Züge seines Ideales entstellen,

„.... des Weib's, des göttergleichen,

Das um der Weisheit Kronen wirbt,

Zerschmettert von des Schicksals Streichen
Mit des Gedankens Adel stirbt!

Das mit dem Geiste unverzagt

Den Himmel selbst zu stürmen wagt,

Auf Trümmer einer Schattenwelt
Den Schemel seiner Gottheit stellt."

Ideale sind allerdings, wie manches Andere, Geschmackssache;
was aber das Ideal einer edlen Weiblichkeit betrifft, so dürfte dar-
über die übrige Welt so ziemlich einig sein und diese begeisterte
Gottschall'sche Zeichnung einstimmig für das Ideal der Un Weiblich-
keit erklären.

Diese moderne himmelstürmende Titanin, Namens Marie, ler-
nen wir im Folgenden zuerst als harmloses Mädchen kennen. Sie
seufzt und sehnt sich in üblicher Weise und verliebt sich, wie das
auch vorzukommen pflegt, in einen „blonden Candidaten." Diese
idyllische Partie ist nicht ohne Zartheit und lyrische Empfindung ge-
zeichnet; doch hätte der Dichter in unglücklicher Nachahmung Heine-
scher Ironie nicht solche spöttische Seitenblicke auf den Candidaten
werfen sollen. Aber Marie muß in's Kloster, welche treffliche Ge-
legenheit nicht vorbeigelassen wird ohne sarkastische Bemerkungen
über Tugend und Keuschheit im Allgemeinen und christliche Entsagung
im Besondern. Hier ein Pröbchen von dem Genius des Dichters:

„Die Schönheit verwelkt in dem keuschen Serail,

Die Tugend, die ewige, reift!

Der Körper wird hier, wie ein lästiger Balg,

Der Seele abgestreift!"

Literatur-Blatt.

Wozu viel Worte! Marie läßt sich von Alphons de la Vigne
entführen; aber die Flüchtigen werden eingeholt und in den Kerker
geworfen. Da bricht zur rechten Zeit die erste französische Revolution
aus. Alphons wird frei und führt Marie als sein Weib heim.
Später verdächtig als heimlicher Aristokrat, wird er verhaftet und
zum Tode verurtheilt. Marie erlangt das Versprechen, daß er leben
solle, wenn sie sich herbeilasse, die „Göttin der Vernunft" zu spielen.
Sie thut es. Da aber trotzdem Alphons guillotinirt wird, so fällt
sie in Wahnsinn und verhungert schließlich freiwillig.

Auf diesen wüsten Inhalt soll sich beziehen, was der Dichter
S. 22. voraufschickt:

„Der Vorhang rausche auf und zeige
Der geistigen Freiheit Trauerspiel!

Die Göttin der Vernunft, die bleiche,

Sank nieder vor erreichtem Ziel!

Erlag dem muthigen Beginnen
Zu schwach die erste Kämpferin —

So folgt ihr nach, ihr Jüngerinnen!

Dringt kräftiger zum Siege hin!

Es sei den Strebenden zu klein,

Nur Gretchen eines Faust zu sein;

Nein, seinen Mantel umgeschlagen,

Laßt euch durch Erd' und Himmel wagen,

Und wird auch zu des Abgrunds Thor
Die Seele ruhelos gestoßen, —

So zieht des Denkers Hölle vor
Dem Himmel der Gedankenlosen."

Reizte es den Dichter, in die Gestalt jener aus der französi-
schen Revolution bekannten geschichtlichen „Göttin der Vernunft" das
Geschick einer Frau zu verweben, welche aus Motiven der höchsten
Liebe jene widrige Rolle zu spielen übernahm, so hätte man dagegen
vielleicht Nichts einzuwenden gehabt, obschon es Manchem große
Ueberwindung gekostet haben würde, einen solchen, die äußerste Linie
des Erträglichen überschreitenden Stoff poetisch zu behandeln. Aber
daß er die That verzweiflungsvoller Liebe als eine aus hoher Gei-
stesfreiheit erzeugte Tendenzthat hinstellt, daß er die Frauenwelt ernst-
haft auffordert, jener „ersten Kämpferin" nachzufolgen, das über-
steigt alle Gränzen erlaubten Unsinns. Schwerlich möchte selbst die
emanzipationssüchtigste Dame Lust verspüren, dieser Einladung Folge
zu leisten.

Soll man im Ernste noch dagegen eifern, wenn wieder und
wieder Tiraden vorgebracht werden, wie S. 12.

„Einst stürzen auch die Schranken hin!

Der Geisterharem ist gesprengt,

Der Frau'n zum Liebesdienst verdammt,

Der ihnen rings die Welt verhängt,

Durch welche Allah's Sonne flammt.

Die freien Erbinnen des Lichts,

Nicht müß'ger Stunden Zeitvertreib,

Kein fleischgeworden geistig Nichts;

Nein, seine Gottheit fühlt das Weib."

oder wie S. 20.

„Der frömmelnde Barbar zerreißt
In Seel' und Leib, und Welt und Geist;

Die Götter alle sind entfloh'n,

Und in der Welt, der lebenssatten,

Blüht nur die Blume der Passion
Empor in eines Kreuzes Schatten."

6
 
Annotationen