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Jener „Geisterharem" eristirt nur in Herrn Gottschalls eraltir-
ter Phantasie, und jener „Barbar," der Seele und Leib auseinan-
derreißt, ist eben auch nur Herr Gottschall, wenn auch gerade kein
„frömmelnder." Trotz aller schönen Phrasen von Weisheitskronen
und Gedankenadel ist es die platteste Sinnlichkeit die er auf den
Thron hebt, und seine krankhaften Schilderungen schlagen gerade
so in das Gegentheil jener hochtrabenden Floskeln um, wie seine
„Göttin der Vernunft" zum Wahnsinn überschnappt. Es ist dies
eine Zeitkrankheit, die aber denn doch in ihren letzten Zügen liegt,
denn sie ist kaum mehr epidemisch, da ein frischerer Hauch bereits
die Lüfte gereinigt hat, und nur bei einzelnen Individuen tritt sie
noch einmal in krassester Form auf, als wolle sie im Verlöschen
noch ihre Macht zeigen. In Gottschall hat sie jene Höhe erreicht,
wo das Abschreckende sich plötzlich in sein eigen Zerrbild verwandelt,
wo es lächerlich wird.

Und doch, so sehr man zuletzt über den sich überstürzenden,
wahrhaft grotesken Unsinn lachen muß, mag man ein ernstes Wort
nicht zurückhalten. Wir kennen die Quellen recht gut, aus welchen
diese poetischen Sturzbäche sich ableiten. Eine der offenbarsten liegt
in den Dichtungen des Orients. Wer wird die glühenden Lieder
Hafisens, Mirza Schaffy's nicht lieben? Aber diese sind in ihrer
sinnlichsten Fülle doch durchstrahlt von Geistesblitzen, und selbst in
der Ueberschwenglichkeit werden wir sie nicht zurückweisen, da wir
uns der Kulturbedingungen, in denen sie wurzeln, bewußt sind.
Aber unsere modernen Hafise, abgesehen davon, daß jene allgemeinen
Bedingungen bei ihnen fortfallen, lassen auch vor Allem den Geist
vermissen, der in ihren Vorbildern sprüht, und stürzen sich an: liebsten,
geistesbaar, köpflings in die Fluthen sinnlichen Taumels. In Gott-
schalls „Göttin" wird man überall an die erhitzte Phantasie eines
unreifen jungen Menschen erinnert, und selbst die Geschmacklosigkeit
der Sprache stimmt so vollkommen dazu, daß man in die Seele des
Dichters hinein erröthen muß. Aus vielen nur ein Beispiel (S. 9.):

„Sultanin wunderbarer Nächte,

Wo such' ich deine Krone jetzt,

Die nur den niedrigsten der Knechte
In schnöder Freude noch ergötzt."

Leute von Gottschall's Richtung führen am liebsten das klassische
Griechenthum mit seinen marmornen Aphroditebildern im Munde, und
auch das vorliegende Gedicht wimmelt von solcher: schutzflehenden An-
rufungen. Aber die reinen, keuschen Götter des alten Hellas wen-
den sich hoheitsvoll von den unklaren Ausgeburten einer regellosen
Phantasie ab, die ihnen wahrlich „barbarisch" bedünken muß. Es
war das Wehen abendländischen Geistes, welches in jenem Volke
die überquellende Sinnlichkeit des Orients zu maßvoller, plastischer
Schönheit verdichtete, und es ist in unser:: modernen soi-eliLnut-
Griechen die alte orientalische Ueppigkeit, welche die Errungenschaft
europäischer Kultur zu verflüchtigen strebt.

Aber droht nicht die christliche Ascese, die Lehre von der „fin-
stern Entsagung" jener reinen menschlichen Entwickelung den Un-
tergang ?

Nun, wer einen ehrlichen Blick in unsre Zeit gethan hat, der
wird Das gerade am allerletzten besorgen. Wo ist denn jene feind-
liche Ascese? In unsrem Leben doch wahrlich nirgends. Und doch
beruht unser Dasein, wer leugnet es, zum größten Theil aus christ-
licher Anschauung. Das Christenthum, vom höheren, wahrhaft hi-
storischen Gesichtspunkte aufgefaßt, muß also wohl eine andere Be-
deutung haben, als die Herr Gottschall und seine Meinungsgenossen
ihm beilegen. Und so ist jene Ascese nur ein wüster Spuk, den die
Herren in ihrem eigenen Gehirn heraufgezaubert haben, um ihn
mannhaft bekämpfen zu können. Das ist denn in der That zuletzt
des Pudels Kern: ein Feldzug gegen selbstgeschaffene Gespenster! —

Doch genug! Wenden wir uns zur zweiten Dichtung, zu Carlo
Zeno. In einer „Widmung", die ebenso reich an Herwegh'schen

Schlagwörtern, wie arm an Herwegh'scher Kraft und Schönheit der
Diktion ist, giebt der Dichter die Absicht zu erkennen, unsrer Zeit,
mit deren Physiognomie er sich sehr unzufrieden erklärt, einmal das
Bild „des Mannes, des vollen, ganzen" vorzuhalten. Aber auch
hier neckt seine Phantasie ihn und zeigt ihm wie in einem Hohl-
spiegel ein ganz verzerrtes Bild der Gegenwart:

„Das ist ein Gähren, Ringen —

Ernst ist der Gang der Zeit;

Doch Ew'ges zu vollbringen
Ist nimmer sie bereit.

Wer sagt ihm denn das? Wir müssen das für ein völlig un-
verbürgtes Gerücht erklären, so wie auch das Folgende:

Ans den Erlöser harrt sie.

Und dennoch kommt er nicht;

Wie traumverzaubert starrt sie
Der Zukunst in's Gesicht"

Doch lassen wir das. Die Zeit sei welche sie wolle, immer
wird es ersprießlich sein, das Bild einer mächtigen Persönlichkeit in
den Nahmen der Dichtkunst zu fassen und die Seele durch den
Anblick eines Helden zu stählen. So löblich diese Absicht, so un-
glücklich auch hier wieder die Wahl des Stoffes. Denn ein Held,
der für die höchsten Wohlthaten, die er dem Vaterland erwiesen, zum
Dank in die Bleikammern geworfen wird, den wir dort allmälig
hinschwinden sehen, bis er endlich bei seiner Befteiung als lebens-
müder Greis wieder hervortritt; der außerdem sein Weib und seine
hoffnungsvollen Söhne verliert, dann das Augenlicht einbüßt und
zuletzt blind, hülflos und verlassen stirbt, ist wohl ein Gegenstand
des Mitleides, aber nicht des Heldengedichtes. Gottschall treibt einen
wahren Lurus mit dem Unglück: seine „Göttin der Vernunft" wird
wahnsinnig und verhungert; sein Carlo Zeno erblindet und ver-
kommt dann allmälig. Ohne Zweifel hat die Poesie das Recht,
das Unglück in seiner ethischen Bedeutung zum Gegenstände der
Darstellung zu machen, um eine unter seinen Erschütterungen sich
vollziehende innere, psychologische Entwicklung darzulegen.
Dies geschieht, (um ein neueres Beispiel zu nennen), auf meister-
hafte Weise in dem Boz'schen Romane „Dombetz und Sohn." Da
wird der Starrsinn, die Herzenshärte durch eine Reihe von Schick-
salsschlägen endlich erweicht, die so lange an die verriegelten Pfor-
ten des Innern klopfen, bis es ihnen gelingt, den schlummernden
Rest menschlicher Empfindung zu wecken; — Schicksalsschläge, die
obendrein mit dämonischer Consequenz durch den Charakter des Alten
selbst heraufbeschworen werden. Aber in einem Heldengedicht von
der Anlage des „Carlo Zeno," wo der Verfasser auf Erzielung
eines tragischen Eindruckes ausgeht, verlangen wir für den Helden
nach rühmlich durchlaufener Bahn ein ergreifendes, durch eine mäch-
tige Katastrophe herbeigeführtes Ende. Sollen wir ihn zuerst be-
schimpft, dann eingekerkert vor unsere Augen hinsiechen, endlich den
erblindeten, körperlich welken, geistig gebrochenen Greis langsam
sterben sehn, so spült der „nasse Jammer" alles tragische Interesse
aus unserer Seele hinweg.

Nun aber kommt noch die endlose Länge des Gedichtes, das
unabsehbare Ausspinnen jeder erdenklichen Einzelheit, die verschwen-
derische Breite epischer Detailschilderung hinzu, um den Eindruck
vollends zu zerstören und geradezu die unwiderstehlichste Langeweile
hervorzurufen. Die Ausmalung der Lokalitäten, die Beschreibungen
der Schlachten zu Wasser und zu Lande sind wahrhaft unerschöpf-
lich, und damit noch nicht zufrieden, läßt der Dichter keine Gelegen-
heit vorbeigehn, in die' Schilderung besonderer Situationen breite
Reflexionen allgemeinster Art einzustreuen, wodurch der Gang der
Handlung nicht allein verzögert, sondern auch die Bestimmtheit der
Zeichnung verwischt wird. Wo er aber vollends seine Helden selbst
zu Trägern solcher sehr modernen und meistens sehr trivialen Mo-
nologe macht, da zerstört er zugleich den historischen Charakter der
Personen. Beispiele das Selbstgespräch Zeno's S. 12 —15, so
wie S. 238—240 das nicht minder unpsychologische Carrara's.
 
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