Verfasser über diese Ansicht hier nicht hadern; jedenfalls aber müssen
wir auch dann noch das gewählte Prädikat als eine Anticipation
hinsichts ihrer Berechtigung in Frage stellen.
Müßten wir es an dieser Stelle für einen wesentlichen Theil
unserer Aufgabe erachten, auch die formelle Seite des vorliegenden
Gedichtes zu besprechen, so würden wir den Gebrauch schwerver-
ständlicher Bilder rügen, denn das Bild soll den Gedanken nicht
verdunkeln, sondern verklären. Wenn es aber S. 12 heißt:
Wie uns ihr eignes Licht die Sichtbarkeiten
Auf wunderbarer Kunst Jodsilber malet,
So malt dein Bild auf schlichter Seelen Grunde
Die Klarheit, welche dir, o Herr, entstrahlet —
und S. 20:
Lust ward mein heimliches Kohelethweinen —
so dürften Wenige den zuerst angeführten Satz sinngemäß zu con-
struiren vermögen, und kaum eben so Viele wissen, daß mit dem
Kohelethweinen auf jene Thränen hingedeutet ist, die Salomo in
Betrachtung der Eitelkeit der Dinge dieser Welt vergoß, als er sein
unter dem Namen Koheleth (der Prediger) in den Canon der alt-
testamentlichen Schriften aufgenommenes Buch verfaßte. — Wir
würden ferner die mit „wenn", „als", „weil" anhebenden Satzver-
bindungen bemängeln, weil sie sich mehr für die demonstrirende als
die anschaulich darstellende, poetische Redeweise schicken. Wir wür-
den endlich vor dem gehäuften Gebrauch der zerrissenen Reime wie:
Vater — auftrat er — aufthat er — deren das Gedicht eine über-
aus große Zahl enthält, entschieden warnen. Aber wir würden auch
Veranlassung nehmen, die sinnige Tiefe manches kernhasten Spru-
ches, das Ueberraschende mancher Wendung, die Neuheit mancher
Vergleichung als Zeichen unverkennbarer dichterischer Anlage aner-
kennend hervorzuheben. Wir müssen uns jedoch mit diesen Andeu-
tungen bescheiden, und können dem Verfasser nur wünschen, daß er
in dem Fortgange seines Entwicklungsprocesses bei einer Ausglei-
chung des Theologen und des Poeten in ihm anlangen möge.
Album des literarischen Vereins ZN Nürnberg.
(Jahrgänge für 1853 und 1854.)
Wie das Vorwort zum jüngsten (eilften) Jahrgange erwähnt,
besteht bereits seit dem Jahre 1840 zu Nürnberg eine Vereinigung
literarisch und wissenschaftlich gebildeter Männer, die es sich zur
Aufgabe gemacht hat, in monatlichen Zusammenkünften einen Kreis
gebildeter Familien um sich zu versammeln und in demselben kür-
zere prosaische Arbeiten und poetische Gaben vorzutragen, welche,
zunächst nur für die Theilnehmer gedruckt, seitdem in weitere Kreise
drangen und nun seit einem Jahrzehend das Material zum „Album"
liefern.
Gegenüber der gedankenlosen Vergnügungssucht einerseits und
der dilettantischen Musikmanie andrerseits, welche die Muße unserer
Mitwelt fast absorbirt, ist ein solches geistiges Zusammenschließen,
eine literarische Geselligkeit an und für sich schon ein erfteuliches
Zeichen freien Geschmackes und sinnigen Strebens.
Aber auch die Wahl der Stoffe, welche wir hier behandelt fin-
den, zeugt von einer ernsten und doch aller Pedanterie ledigen Ten-
denz und von einem gleichsam gemüthlichen Fleiße der Verfasser,
woraus nur auf die Begabung und Empfänglichkeit derer, denen
diese Vorträge gehalten wurden, zurückzuschließen ist.
Als die interessantesten sind uns erschienen, im 10ten Jahr-
gange: „Wie kommt es, daß Klopstocks Messias hochgeschätzt und
doch nicht gelesen wird?" und: „Ueber Shakespeare's Hamlet", von
I. L. Hoffmann und Heinrich Wölffel; im Ilten Jahrgange: „die
homerischen Frauen" und „Ueber Gutzkow's Ritter vom Geiste",
beides von Hoffmann; Abhandlungen, deren Lektüre nicht blos un-
terhaltend, sondern anregend und nach mancher Seite hin aufklärend
wirken und zu empfehlen sind.
Die poetischen Zugaben find freilich im Durchschnitt besser ge-
meint, als gelungen; aber in der Bescheidenheit, mit welcher sie
hintennach ziehen, entschlüpfen sie leicht der Kritik, die zuweilen
sich genügen läßt, zu denken:
„ Aber treff' ich dich draußen im Freien —
Das Maskenspiel des literarischen Vereins zn Nürnberg?)
Nürnberg ist und bleibt eine unvergleichliche Stadt — unver-
gleichlich einmal wegen seines Philisteriums, welches, zehrend von
altem Bewußtsein und neuem Gelde, hier lebt, als ob Gott im An-
fänge nicht die Welt, sondern Nürnberg geschaffen hätte, unvergleich-
lich andrerseits wegen des echt gemüthvollen, deutschen Humors, der
im Gegensätze zu jener Richtung sich geltend macht und sich noch
immer als das beste Element erweist, in dem eine Germanische
Seele sich bewegen kann, so lange wir dagegen nichts Anderes ein-
zutauschen haben, als die vornehmthuende Blasirtheit anderer Städte
und Länder. Als ein Hauptsitz dieses fteieren Bewußtseins ist un-
ter Anderem der hier am Orte seit 14 Jahren bestehende literarische
Verein zu betrachten, welcher, gestiftet von dem verdienstvollen
I. Merz, Besitzer der Buchhandlung Bauer und Raspe, jetzt
gegen 400 Mitglieder zählt, alle 4 Wochen seine größeren Ver-
sammlungen hält und durch populäre Vorträge einzelner Mitglieder
gleich sehr zur Unterhaltung und Belehrung seiner aus Herren und
Damen bestehenden Zuhörerschaft beiträgt. Für den Fremden, der
eingeführt in diesen Kreis eintritt, ist es ein höchst überraschender,
bald ebenso angenehm wirkender Eindruck, wenn er statt einer schwarz
befrackten Gesellschaft, die er bei Nennung eines literarischen Ver-
eins vielleicht erwartete, in großem, wohl decorirtem Saale, an
hundert kleinen Tischen gruppenweise zerstreut, eine bunte Gesell-
schaft findet, die Herren mit dem unvermeidlichen Biere, die Damen
mit weiblichen Handarbeiten beschäftigt, beide aber aufmerksam dem
Gange eines poetischen oder prosaischen Vortrages folgend, dessen
Wirkung auf den heiter oder ernst gestimmten, stets aber unbefan-
genen Gesichtern sich abspiegelt. Ein Hauptträger dieses Vereins
ist gegenwärtig der geistreiche Professor Hoffmann, dessen gedie-
gene, oft mit dem köstlichsten Humor gewürzten Vorträge stets aufs
Aeußerste willkommen geheißen werden. — Im Sommer werden
Ausflüge ins Freie gemacht; gegen den Schluß des Jahres in einem
Album des Vereins die bis dahin vorgekommenen Vorlage auch
dem größeren Publikum übergeben. Auch ein Maskenball wird all-
jährlich abgehalten, der besonders in diesem Winter glänzend aus-
fiel und namentlich durch ein Maskenspiel, eine Art Aristophani-
scher Komödie verherrlicht wurde, das, von dem genannten Prof.
Hoffmann verfaßt, wegen seines sinnvollen Inhaltes sowohl als
seiner wohlgelungenen Form auch in weiteren Kreisen bekannt zu
werden verdiente. Der Gang des Stückes ist ungefähr folgender.
— Der ehemalige Famulus des Faust, Wagner, in seiner unver-
gänglichen Eigenschaft als Pedant, ist mit der Zeit soweit fortge-
schritten, daß er in unfern Tagen zum Schulmeister vorgerückt ist.
*) Don anderer Hand.
wir auch dann noch das gewählte Prädikat als eine Anticipation
hinsichts ihrer Berechtigung in Frage stellen.
Müßten wir es an dieser Stelle für einen wesentlichen Theil
unserer Aufgabe erachten, auch die formelle Seite des vorliegenden
Gedichtes zu besprechen, so würden wir den Gebrauch schwerver-
ständlicher Bilder rügen, denn das Bild soll den Gedanken nicht
verdunkeln, sondern verklären. Wenn es aber S. 12 heißt:
Wie uns ihr eignes Licht die Sichtbarkeiten
Auf wunderbarer Kunst Jodsilber malet,
So malt dein Bild auf schlichter Seelen Grunde
Die Klarheit, welche dir, o Herr, entstrahlet —
und S. 20:
Lust ward mein heimliches Kohelethweinen —
so dürften Wenige den zuerst angeführten Satz sinngemäß zu con-
struiren vermögen, und kaum eben so Viele wissen, daß mit dem
Kohelethweinen auf jene Thränen hingedeutet ist, die Salomo in
Betrachtung der Eitelkeit der Dinge dieser Welt vergoß, als er sein
unter dem Namen Koheleth (der Prediger) in den Canon der alt-
testamentlichen Schriften aufgenommenes Buch verfaßte. — Wir
würden ferner die mit „wenn", „als", „weil" anhebenden Satzver-
bindungen bemängeln, weil sie sich mehr für die demonstrirende als
die anschaulich darstellende, poetische Redeweise schicken. Wir wür-
den endlich vor dem gehäuften Gebrauch der zerrissenen Reime wie:
Vater — auftrat er — aufthat er — deren das Gedicht eine über-
aus große Zahl enthält, entschieden warnen. Aber wir würden auch
Veranlassung nehmen, die sinnige Tiefe manches kernhasten Spru-
ches, das Ueberraschende mancher Wendung, die Neuheit mancher
Vergleichung als Zeichen unverkennbarer dichterischer Anlage aner-
kennend hervorzuheben. Wir müssen uns jedoch mit diesen Andeu-
tungen bescheiden, und können dem Verfasser nur wünschen, daß er
in dem Fortgange seines Entwicklungsprocesses bei einer Ausglei-
chung des Theologen und des Poeten in ihm anlangen möge.
Album des literarischen Vereins ZN Nürnberg.
(Jahrgänge für 1853 und 1854.)
Wie das Vorwort zum jüngsten (eilften) Jahrgange erwähnt,
besteht bereits seit dem Jahre 1840 zu Nürnberg eine Vereinigung
literarisch und wissenschaftlich gebildeter Männer, die es sich zur
Aufgabe gemacht hat, in monatlichen Zusammenkünften einen Kreis
gebildeter Familien um sich zu versammeln und in demselben kür-
zere prosaische Arbeiten und poetische Gaben vorzutragen, welche,
zunächst nur für die Theilnehmer gedruckt, seitdem in weitere Kreise
drangen und nun seit einem Jahrzehend das Material zum „Album"
liefern.
Gegenüber der gedankenlosen Vergnügungssucht einerseits und
der dilettantischen Musikmanie andrerseits, welche die Muße unserer
Mitwelt fast absorbirt, ist ein solches geistiges Zusammenschließen,
eine literarische Geselligkeit an und für sich schon ein erfteuliches
Zeichen freien Geschmackes und sinnigen Strebens.
Aber auch die Wahl der Stoffe, welche wir hier behandelt fin-
den, zeugt von einer ernsten und doch aller Pedanterie ledigen Ten-
denz und von einem gleichsam gemüthlichen Fleiße der Verfasser,
woraus nur auf die Begabung und Empfänglichkeit derer, denen
diese Vorträge gehalten wurden, zurückzuschließen ist.
Als die interessantesten sind uns erschienen, im 10ten Jahr-
gange: „Wie kommt es, daß Klopstocks Messias hochgeschätzt und
doch nicht gelesen wird?" und: „Ueber Shakespeare's Hamlet", von
I. L. Hoffmann und Heinrich Wölffel; im Ilten Jahrgange: „die
homerischen Frauen" und „Ueber Gutzkow's Ritter vom Geiste",
beides von Hoffmann; Abhandlungen, deren Lektüre nicht blos un-
terhaltend, sondern anregend und nach mancher Seite hin aufklärend
wirken und zu empfehlen sind.
Die poetischen Zugaben find freilich im Durchschnitt besser ge-
meint, als gelungen; aber in der Bescheidenheit, mit welcher sie
hintennach ziehen, entschlüpfen sie leicht der Kritik, die zuweilen
sich genügen läßt, zu denken:
„ Aber treff' ich dich draußen im Freien —
Das Maskenspiel des literarischen Vereins zn Nürnberg?)
Nürnberg ist und bleibt eine unvergleichliche Stadt — unver-
gleichlich einmal wegen seines Philisteriums, welches, zehrend von
altem Bewußtsein und neuem Gelde, hier lebt, als ob Gott im An-
fänge nicht die Welt, sondern Nürnberg geschaffen hätte, unvergleich-
lich andrerseits wegen des echt gemüthvollen, deutschen Humors, der
im Gegensätze zu jener Richtung sich geltend macht und sich noch
immer als das beste Element erweist, in dem eine Germanische
Seele sich bewegen kann, so lange wir dagegen nichts Anderes ein-
zutauschen haben, als die vornehmthuende Blasirtheit anderer Städte
und Länder. Als ein Hauptsitz dieses fteieren Bewußtseins ist un-
ter Anderem der hier am Orte seit 14 Jahren bestehende literarische
Verein zu betrachten, welcher, gestiftet von dem verdienstvollen
I. Merz, Besitzer der Buchhandlung Bauer und Raspe, jetzt
gegen 400 Mitglieder zählt, alle 4 Wochen seine größeren Ver-
sammlungen hält und durch populäre Vorträge einzelner Mitglieder
gleich sehr zur Unterhaltung und Belehrung seiner aus Herren und
Damen bestehenden Zuhörerschaft beiträgt. Für den Fremden, der
eingeführt in diesen Kreis eintritt, ist es ein höchst überraschender,
bald ebenso angenehm wirkender Eindruck, wenn er statt einer schwarz
befrackten Gesellschaft, die er bei Nennung eines literarischen Ver-
eins vielleicht erwartete, in großem, wohl decorirtem Saale, an
hundert kleinen Tischen gruppenweise zerstreut, eine bunte Gesell-
schaft findet, die Herren mit dem unvermeidlichen Biere, die Damen
mit weiblichen Handarbeiten beschäftigt, beide aber aufmerksam dem
Gange eines poetischen oder prosaischen Vortrages folgend, dessen
Wirkung auf den heiter oder ernst gestimmten, stets aber unbefan-
genen Gesichtern sich abspiegelt. Ein Hauptträger dieses Vereins
ist gegenwärtig der geistreiche Professor Hoffmann, dessen gedie-
gene, oft mit dem köstlichsten Humor gewürzten Vorträge stets aufs
Aeußerste willkommen geheißen werden. — Im Sommer werden
Ausflüge ins Freie gemacht; gegen den Schluß des Jahres in einem
Album des Vereins die bis dahin vorgekommenen Vorlage auch
dem größeren Publikum übergeben. Auch ein Maskenball wird all-
jährlich abgehalten, der besonders in diesem Winter glänzend aus-
fiel und namentlich durch ein Maskenspiel, eine Art Aristophani-
scher Komödie verherrlicht wurde, das, von dem genannten Prof.
Hoffmann verfaßt, wegen seines sinnvollen Inhaltes sowohl als
seiner wohlgelungenen Form auch in weiteren Kreisen bekannt zu
werden verdiente. Der Gang des Stückes ist ungefähr folgender.
— Der ehemalige Famulus des Faust, Wagner, in seiner unver-
gänglichen Eigenschaft als Pedant, ist mit der Zeit soweit fortge-
schritten, daß er in unfern Tagen zum Schulmeister vorgerückt ist.
*) Don anderer Hand.