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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 1.1854

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https://doi.org/10.11588/diglit.1203#0090
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wäre; ihn aber in Gervinusscher Manier heranszuzieheu, wäre hier
natürlich eine noch viel unnützere Arbeit, als dies selbst bei Sha-
kespeares Dramen gewesen ist. Die zweite Geschichte „Hopfen und
Gerste" ist ein gar anmuthig Ding, gegründet besonders auf den
oft erfahrenen psychologisch merkwürdigen Zug einer flegeljährigen
Arbeitsscheu bei bestem Willen, jedoch bereichert durch flüchtige aber
deutliche Zeichnung mehrerer Charaktere. Dies scheint uns ganz
besonders die Ausgabe der Novelle zu sein, daß sie mit wenigen
aber desto kräftigeren und markirten Zügen uns die handelnden
Personen vorführe, weil uns hier die weite Reihe der Handlungen
des Romans fehlt, aus denen wir sie erkennen mögen, die engere
novellistische Handlung aber dennoch au Theilnahme nur so viel
gewinnen kann, als sie uns an Interesse für die Personen einflößt.
Dennoch müssen die Züge mäßig, charakteristisch aber nicht earriki-
rend sein, wie dies zuweilen bei Tieck, öfter bei Gotthelf der Fall
ist, wo bei wir an die Dintezeichnungen der Schüler — ich meine
nicht des Malers, sondern der Gymnasien — erinnert werden. Es
ist eine schwere Aufgabe, für deren Lösung aber Auerbach ein beson-
deres Talent hat, wie es sich zuweilen auch bei Stifter, immer aber
bei Hoffmann in den nicht humoristischen Novellen zeigt. — Auch
hier dürfen wir die, obwohl der Anlage nach eben so schlichte als
gedrängte, dennoch tactvolle Bewegung der Handlung nicht uner-
wähnt lassen.

„Ein eignes Hans" heißt die dritte Geschichte; sie könnte auch:
Eigensinn heißen, denn dieß ist der Grnndzug in den handelnden
Charakteren. Die Vorzüge einer selbstständigen Meinung, eines nach
Selbstständigkeit ringenden Strebens, eines unbeugsamen Willens,
aber auch die Nachtheile der Uebertreibung, das Verderbliche einer
allzugroßen Nachhaltigkeit eines einzelnen Gedankens, das nothwen-
dig Tragische der Starrheit des Willens treten uns in dieser Er-
zählung mit einer ungemeinen Lebhaftigkeit und tiefdringenden Theil-
nahme entgegen. Man könnte sagen, daß der Eigensinn überhaupt
ein allgemein charakteristischer Zug des Bauern ist, das zeigen auch
die Dorfgeschichten einstimmig. Genauer betrachtet, ist es aber nicht
sowohl der Eigensinn, im engeren Sinne des Wortes, das heißt das
Beharren auf der eigenen Meinung, weil sie die eigene ist, und die
Unzugänglichkeit für entgegenstehende Ansichten und Gründe, sondern
eine Starrheit und Unbeweglichkeit seines inneren Lebens überhaupt,
(wovon der specifische Eigensinn nur eine besondere Erscheinung ist,)
welche aus der Enge seiner Sphäre und der im Ganzen seltenen
Auflegung derselben leicht erklärlich ist, so wie die größere Nach-
giebigkeit und Flüssigkeit im Charakter des Städters, eben so durch
den größeren Neichthum innerer Lebenselemente überhaupt, als durch
den zur fortwährenden Bereicherung nothwendigen stetigen Amalga-
mirungsprozeß des Alten mit dem Neuhinzugekommeneu, bewirkt
wird. Dennoch ist die Mannigfaltigkeit der Entwickelung im Bauern
dadurch nicht unmöglich; vielmehr gleicht der Character desselben so
zu sagen dem Krystall, dessen Bildungen unendlich verschieden sein
können, nur daß sie keine allmälige Entwickelung haben, sondern mit
Eins anschießen; während der Städter einer Pflanze gleicht, die in
langsamer Ernährung erst zur Reife gedeiht. Daraus ist nicht blos
die größere, sondern auch die frühere Characterfestigkeit des Bauern
äbzuleiten. Alle Elemente seiner inneren Bildung sind in den
Knaben- und Burschenjahren gegeben, und selten bringt das spätere
Leben neue hinzu, die kräftig genug sind verändernd einzudringen. —
Erst die Bildung der geistig höchsten Stände aber werden wir mit der
Freiheit und Beweglichkeit des animalischen Lebens vergleichen können;
denn nur diese verlassen frei den Boden ihres inneren Daseins und
suchen sich auf den verschiedensten Gebieten des Geistes ihre mannigfal-
tigen geistigen Nahrungsmittel. — Die Geschichte, von welcher wir hier
reden, ist nun grade dadurch ein wahres Meisterstück der Charakteristik,

daß eben auf dem Grunde einer fast allgemeinen bäuerlichen Eigenschaft,
ihre besondere Färbung und Gestaltung nicht blos in Einer, sondern in
mehreren Personen hervortritt; Gleich und Gleich gesellt sich eben
in Mann und Frau, aber nach der Natur des Eigensinns entwickelt
er sich in beiden zur schroffen Differenz; gemildert erscheint derselbe
Zug auch in des Mannes Vater, verstärkt aber in den Kindern, und
so entrollt sich ein Bild von furchtbarer und grauenhafter Conse-
quenz. Wir verkennen die psychologische Wahrheit in dieser Schil-
derung nicht, dennoch müssen wir die zu weit gehende Spannung
der Ereignisse und damit des Lesers vom ästhetischen Standpunkte
entschieden tadeln. Unsere Theilnahme an den Ereignissen wird so
andauernd und so stark gespannt, daß die Feder nach den statischen
und mechanischen Gesetzen des Gemüthslebens nothwendüg brechen
muß; mindestens wird uns durch das schmerzhaft hingedehnte Mit-
leiden, die Mitsreude an der endlichen Lösung verkümmert. Der
mitfühlende Leser wird hier, was selbst beim Diethelm nicht der Fall
ist, zu einer Hast des Lesens getrieben, ja es kostet Ueberwindung,
daß er nicht zu dem banalen Hinblick auf die letzten Seiten greife,
um zu sehen, ob für solche, wenn auch verschuldete, Schmerzen sich
keine Heilung gefunden. Dieses Blättern der Ungebildeten nach dem
Schluß, grade dann, wenn die Entwickelung auf dem Gipfelpunkte
sich befindet, ist ein Beweis rein sympathetischer Theilnahme, welche
für die ästhetische Empfindung keinen Sinn hat; aber auch der ge-
bildetste Leser kann durch ein vom Dichter verschuldetes, allzustarkes
Uebergewicht der angeregten Sympathie über die Freude an der
künstlerischen Gestaltung in die Versuchung kommen, sich unwillkür-
lich für den ästhetischen Fehler zu rächen, und Wider Willen des
Künstlers nach dem Ende hinzuschauen, um jene Ruhe des Gemüthes,
deren man zur theilnehmenden Aufnahme des Kunstwerks bedarf, wie-
derzugewinnen, und die ihm der Dichter gar nicht hätte nehmen sollen.

Endlich die vierte Erzählung, „Erdmuthe" ist die am meisten
dem eigentlich Romantischen sich Nähernde; ja sie könnte ein eigent-
licher Dorfroman heißen, sowohl wegen der höheren Stimmung der
Gefühle, (besonders Bläsis Tiefsinn aus Liebeskummer) als wegen
der ungewöhnlichen an die äußerste Grenze des Wahrscheinlichen strei-
fenden Ereignisse, (das Verlassenwerden und noch mehr die Verklei-
dung Erdmuthe's). Diese Wähl ungewöhnlicher und seltsamer Situa-
tionen, welche sich nicht sowohl aus den tieferen, specifisch romanti-
schen Gefühlen ergeben, als mit ihnen für die eigenthümliche Erre-
gung des Lesers harmoniren, ist ein allgemein gebrauchtes Ingre-
dienz des Romans geworden. Diese bietet aber wie in No. II. nock-
näher begründet werden soll, für die Dorfgeschichte größere Schwie-
rigkeiten, wenn nicht die Harmonie mit dem Hintergründe einfacher
Verhältnisse und ländlicher Ruhe gestört und die Wahrscheinlichkeit
verringert werden soll. In der Erdmuthe aber sind diese Schwie-
rigkeiten im Ganzen glücklich überwunden, eine so innige Verschmel-
zung sowohl der innerlichen Charakteristik des Bauernlebens mit den
romantischen Gefühlen und Situationen, als der äußeren Form der
poetisch-romantischen Redeweise mit dem Reden und Gehaben des
Landmanns erreicht, daß wir, wie bei achter Poesie immer, dem
Mitgefühl ganz hingegeben, zur Frage nach Wahrheit oder Möglich-
keit dessen, was so wahrhafte Empfindungen uns einflößt, selten ge-
langen. Zu diesem allgemeinen Vorzug gesellen sich noch manche
individuelle, welche die Erdmuthe zur lieblichsten Erzählung in diesem
Bande machen, und zu einem treffenden Beispiel für dasjenige Ver-
! dienst Anerbachs, welches wir als sein vorzüglichstes bezeichnen möch-
ten, nämlich uns zu erinnern und zu vergewissern, daß die Novelle
und der Roman ein Kunstwerk ist und sein soll; ein scheinbar
natürliches Prädikat, woran uns jedoch die meisten Erscheinungen auf
diesem Gebiete leider nicht denken lassen.

(II. und Hl. folgen.)

Verlag von Heinrich Schindler in Berlin. — Druck von Trowihsch und Sohn in Berlin.
 
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