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eine solche Fertigkeit und Bereitschaft dieselbe auszudrücken zweifeln,
nach der eigenen, richtigen Bemerkung des Versis.: „im Volke, da
ist jede ungewöhnliche Aeußerung des Gemüths eine Schwierigkeit,
die man selten nur besiegt." Wir glauben nicht fehl zu schließen,
wenn wir vermuthen, daß R. die Darstellung dieser das Gemüth
aufs Tiefste ergreifenden Fabel gerade deshalb in das Bauernleben
verlegt, weil hier noch eine von der Bildung und Convenienz unge-
schwächte Kraft und Wildheit des Gefühls herrscht; allein daneben
wird eben jene Zartheit und sanfte Innigkeit, welche nicht nur eine
allgemeine Bedingung des wahrhaft Romantischen ist, sondern auch
hier begleitend hervortritt, desto unwahrscheinlicher. Dagegen ist der
alte Hofer eine meisterhaft und mit psychologischer Schärfe charak-
terisirte Gestalt, so wie alle übrigen, welche als Staffage mit dem
Hintergrund des Landlebens mehr harmoniren.
Käthchen selbst ist eine durchaus glücklich gezeichnete Figur mit eben
so an sich gefälligem als wohlangemessenem Colorit. Daß sie aber,
weil sie beide Brüder gleich sehr liebt, und sich nicht für Einen
entscheiden mag, vor der Versammlung der Familie und vieler Zeu-
gen aus Geheiß ihres Vaters sogleich zu wählen, sich die Augen mit
der Schürze bedeckt und nun blindlings einem von beiden, unbewußt
welchem der Brüder, sich in die Arme wirst, ist eine eben so (in
gutem und üblem Sinne) piquante Schürzung des Knotens, als die
ganze Reihö von Ereignissen (durch deren Erzählung wir dem Leser
den Genuß der Lectüre nicht verderben mögen) eine zu gesuchte und
bei der immer zu erwartenden Lösung zu oft neu erregte Spannung
ist. Die seltsame Gattenwahl und manches Aehnliche, besonders
aber, daß die Dienstmagd, welche den ausgeschlagenen und in die
Fremde ziehenden Bruder liebt, sich als Bursche verkleidet, ihm
langsam nachzieht, und wo er sich niedergelassen, noch verkleidet,
Dienste nimmt, das sind Requisiten einer Hyperromantik, von denen
ein Dichter wie Rank zumal in der Dorfgeschichte, nur als Con-
cession an den Geschmack des Publikums Gebrauch machen kann;
ein Geschmack, der durch Concession von so begabten Dichtern
immer mehr herunter und dabei auf Rechnung der Dichter selbst
kommt. — Die Veranlassung zu diesen Fehlern lag aber zugleich
in der schiefen Stellung, welche, wie gezeigt, das specifisch Roman-
tische zu dem speciell Bäurischen erhalten mußte; ein Umstand den
wir um so inniger bedauern müssen, als Rank einerseits eben so
für die Auffassung uud Darstellung tiefinnerster Romantik, als andrer-
seits für die treue Schilderung und Vergegenwärtigung des Charak-
teristischen im Inneren und Aeußeren des Ländlichen gleich hohe
Talente besitzt, und auf beiden Gebieten, gesondert, wahrhaft Poeti-
sches und im höchsten Sinne Schönes schaffen würde: Wir glaub-
ten dies um so nachdrücklicher hervorheben zu müssen, als sich hier
nur die gleichen Vorzüge und Mängel wiederholen, welche auch im
„Florian" sich finden.
Auch in Schön-Minnele, welche nicht blos den Reiz und
Zauber, sondern so zu sagen das Genie der Schönheit darstellt, und
selbst die Homerische Helene durch das herrlichste Diadem des
Schönen, durch die Krone der Unschuld überstrahlt, ist eine solche
Mischung der Schilderung des Dorflebens und -Charakters mit der
absoluten Romantik der Schönheit, und obendrein der neufranzösischen
Mysterienenthüllungspoesie der Verderbniß großer Städte, also eine
solche Verschiedenheit der Elemente, daß das Ganze, trotz der ge-
schickten Ordnung und Fügung der Theile, dennoch kein Gauzes
wird in Bezug auf Stimmung und Eindruck. Eine ausführliche
Kritik auch dieser Erzählung würde daher im Allgemeinen ganz
gleiche Resultate zeigen, als die vorliegende.
IN.
Bei weitem mehr als bei beiden vorigen Schriftstellern haben
die Erzählungen des Jeremias Gotthilf die entschiedene und offen-
bare Tendenz der Belehrung. Ein künstlerischer Zweck scheint noch
^ weniger erstrebt als wirklich erreicht zu sein; kein Wunder, daß dies
nicht immer und niemals ganz der Fall ist. Damit entziehen sich
die Werke eigentlich der ästhetischen Kritik, und gehören nur noch
zur Kunstsphäre in so fern man sie als eigentlich didaktische Romane
auffassen muß. Wenngleich also die künstlerische Darstellung von
Lebensbildern immerhin als Mittel zur Belehrung gewählt ist, so
werden wir dennoch die Form und den Inhalt der Didaktik vor-
zugsweise zum Gegenstände unsrer Prüfung machen-
Mit der belehrenden Tendenz hängt es zusammen, daß es Ge-
schichten nicht blos von sondern auch für Bauern sind; Klarheit und
Einfachheit sind daher vorzügliche Eigenschaften ihrer Darstellung.
Aber der Verf. war sich wohl bewußt, daß sie deshalb dennoch ein
allgemeineres Interesse wohl verdienen und erregen werden, daher
nicht blos mancherlei Schilderung um den größeren Leserkreis in
die Mitte des Schauplatzes zu versetzen, auf treffende Weise hinzu-
getreten ist, sondern auch manche Seitenbemerkung, die nur dem
litterarisch Gebildeten verständlich sein kann, z. B. über Göthe
und dergl.; was allerdings die Harmonie nicht selten stört, und
unsere Phantasie plötzlich mit einem gewaltigen Ruck aus dem käse-
reichen Bauerhof des Bernerbiets auf den Tummelplatz litterari-
sch er Bestrebungen versetzt.
Sonst aber weiß Gotthelf unsere Phantasie wie unser Gemüth
auf eine wahrlich meisterhafte Art zu fesseln, trotz einer oft ganz
unleidlichen Breite, namentlich der eingestreuten Reflexion und einem
oft lästig schleppenden Gang der Ereignisse, die an anderen Orten
wieder knapp und rasch dahineilen.
So ist z. B. „Barthli der Korber" ein durchaus gelungenes
Charakterbild, aber der Verf. versieht es darin, daß er statt der
blos genauen und deutlichen Ausprägung aller Charakterzüge eine
häufige Wiederholung derselben, ohne ein erhöhtes oder verändertes
Interesse einstreut. Ob wir das Bild des Geizes an seiner Lebens-
weise in der Schilderung von zweien Tagen oder dreißig sehen, ist
gleich, ja das Letztere lästig. Am meisten leidet dabei die künstle-
rische Ausführung der Geschichte.
G. sagt alles das, was seine handelnden Personen Bedeuten-
des, Sittlich-anregendes sagen, noch einmal in der Reflexion; auch
was in den Ereignissen, in den Gemüthseindrücken der Personen
Ergreifendes und Belehrendes für den Leser liegt, das fügt er noch-
mals mit Worten hinzu; cs ist ein ewiges baeo fab ul a docet; jeder
Th eil seiner Werke ist eine angewandte Moral, wozu er zugleich
Zahlen und in Buchstaben. Seine Gestalten sind aber so genau
und deutlich charakterisirt, daß sie schon deshalb unsere innigste
Theilnahme in Anspruch nehmen, auch wo sie durch keine besondere
Eigenthümlichkeit ausgezeichnet sind; denn das ist die hohe Natur
des Menschen, daß alles Menschliche, wo es klar und scharf ausge-
prägt, unsere Phantasie erfüllt, auch unser Herz ergreift. Dazu
kommt ohnehin, daß die Tendenz auf das Sittliche immer in star-
ken Zügen nicht blos das Ganze, sondern auch das Einzelne durch-
dringt. Sie ist um so erfolgreicher, da zwei Vorzüge den Verf.
ganz besonders auszeichnen, und ihm den hohen Beruf eines wahren
Volkslehrers ganz unstreitig machen. Einmal eine ungemein weite
und eben so tiefe Kenntniß des menschlichen Herzens, eine klare Ein-
sicht in den psychologischen Mechanismus/ zumal des moralischen
Lebens, eine genaue Kunde von dem Wachsthum der Leidenschaften
aus der einen und dem waltenden Gesetz der Trägheit auf der an-
deren Seite, kurz: Menschenkenntniß im tiefsten Sinne dieses (oft
gemißbrauchten) Wortes; sodann, was nur zum Theil aus dem Vori-
gen folgt, zum Theil aber aus der sittlichen Macht der Gesinnung
und Begeisterung, daß er in der ergreifendsten und eindringendsten
Weise für alles Gute und gegen alles Böse, erweckend und belebend
für jeden edlen Keim, mahnend und strafend gegen jede Schwäche
eine solche Fertigkeit und Bereitschaft dieselbe auszudrücken zweifeln,
nach der eigenen, richtigen Bemerkung des Versis.: „im Volke, da
ist jede ungewöhnliche Aeußerung des Gemüths eine Schwierigkeit,
die man selten nur besiegt." Wir glauben nicht fehl zu schließen,
wenn wir vermuthen, daß R. die Darstellung dieser das Gemüth
aufs Tiefste ergreifenden Fabel gerade deshalb in das Bauernleben
verlegt, weil hier noch eine von der Bildung und Convenienz unge-
schwächte Kraft und Wildheit des Gefühls herrscht; allein daneben
wird eben jene Zartheit und sanfte Innigkeit, welche nicht nur eine
allgemeine Bedingung des wahrhaft Romantischen ist, sondern auch
hier begleitend hervortritt, desto unwahrscheinlicher. Dagegen ist der
alte Hofer eine meisterhaft und mit psychologischer Schärfe charak-
terisirte Gestalt, so wie alle übrigen, welche als Staffage mit dem
Hintergrund des Landlebens mehr harmoniren.
Käthchen selbst ist eine durchaus glücklich gezeichnete Figur mit eben
so an sich gefälligem als wohlangemessenem Colorit. Daß sie aber,
weil sie beide Brüder gleich sehr liebt, und sich nicht für Einen
entscheiden mag, vor der Versammlung der Familie und vieler Zeu-
gen aus Geheiß ihres Vaters sogleich zu wählen, sich die Augen mit
der Schürze bedeckt und nun blindlings einem von beiden, unbewußt
welchem der Brüder, sich in die Arme wirst, ist eine eben so (in
gutem und üblem Sinne) piquante Schürzung des Knotens, als die
ganze Reihö von Ereignissen (durch deren Erzählung wir dem Leser
den Genuß der Lectüre nicht verderben mögen) eine zu gesuchte und
bei der immer zu erwartenden Lösung zu oft neu erregte Spannung
ist. Die seltsame Gattenwahl und manches Aehnliche, besonders
aber, daß die Dienstmagd, welche den ausgeschlagenen und in die
Fremde ziehenden Bruder liebt, sich als Bursche verkleidet, ihm
langsam nachzieht, und wo er sich niedergelassen, noch verkleidet,
Dienste nimmt, das sind Requisiten einer Hyperromantik, von denen
ein Dichter wie Rank zumal in der Dorfgeschichte, nur als Con-
cession an den Geschmack des Publikums Gebrauch machen kann;
ein Geschmack, der durch Concession von so begabten Dichtern
immer mehr herunter und dabei auf Rechnung der Dichter selbst
kommt. — Die Veranlassung zu diesen Fehlern lag aber zugleich
in der schiefen Stellung, welche, wie gezeigt, das specifisch Roman-
tische zu dem speciell Bäurischen erhalten mußte; ein Umstand den
wir um so inniger bedauern müssen, als Rank einerseits eben so
für die Auffassung uud Darstellung tiefinnerster Romantik, als andrer-
seits für die treue Schilderung und Vergegenwärtigung des Charak-
teristischen im Inneren und Aeußeren des Ländlichen gleich hohe
Talente besitzt, und auf beiden Gebieten, gesondert, wahrhaft Poeti-
sches und im höchsten Sinne Schönes schaffen würde: Wir glaub-
ten dies um so nachdrücklicher hervorheben zu müssen, als sich hier
nur die gleichen Vorzüge und Mängel wiederholen, welche auch im
„Florian" sich finden.
Auch in Schön-Minnele, welche nicht blos den Reiz und
Zauber, sondern so zu sagen das Genie der Schönheit darstellt, und
selbst die Homerische Helene durch das herrlichste Diadem des
Schönen, durch die Krone der Unschuld überstrahlt, ist eine solche
Mischung der Schilderung des Dorflebens und -Charakters mit der
absoluten Romantik der Schönheit, und obendrein der neufranzösischen
Mysterienenthüllungspoesie der Verderbniß großer Städte, also eine
solche Verschiedenheit der Elemente, daß das Ganze, trotz der ge-
schickten Ordnung und Fügung der Theile, dennoch kein Gauzes
wird in Bezug auf Stimmung und Eindruck. Eine ausführliche
Kritik auch dieser Erzählung würde daher im Allgemeinen ganz
gleiche Resultate zeigen, als die vorliegende.
IN.
Bei weitem mehr als bei beiden vorigen Schriftstellern haben
die Erzählungen des Jeremias Gotthilf die entschiedene und offen-
bare Tendenz der Belehrung. Ein künstlerischer Zweck scheint noch
^ weniger erstrebt als wirklich erreicht zu sein; kein Wunder, daß dies
nicht immer und niemals ganz der Fall ist. Damit entziehen sich
die Werke eigentlich der ästhetischen Kritik, und gehören nur noch
zur Kunstsphäre in so fern man sie als eigentlich didaktische Romane
auffassen muß. Wenngleich also die künstlerische Darstellung von
Lebensbildern immerhin als Mittel zur Belehrung gewählt ist, so
werden wir dennoch die Form und den Inhalt der Didaktik vor-
zugsweise zum Gegenstände unsrer Prüfung machen-
Mit der belehrenden Tendenz hängt es zusammen, daß es Ge-
schichten nicht blos von sondern auch für Bauern sind; Klarheit und
Einfachheit sind daher vorzügliche Eigenschaften ihrer Darstellung.
Aber der Verf. war sich wohl bewußt, daß sie deshalb dennoch ein
allgemeineres Interesse wohl verdienen und erregen werden, daher
nicht blos mancherlei Schilderung um den größeren Leserkreis in
die Mitte des Schauplatzes zu versetzen, auf treffende Weise hinzu-
getreten ist, sondern auch manche Seitenbemerkung, die nur dem
litterarisch Gebildeten verständlich sein kann, z. B. über Göthe
und dergl.; was allerdings die Harmonie nicht selten stört, und
unsere Phantasie plötzlich mit einem gewaltigen Ruck aus dem käse-
reichen Bauerhof des Bernerbiets auf den Tummelplatz litterari-
sch er Bestrebungen versetzt.
Sonst aber weiß Gotthelf unsere Phantasie wie unser Gemüth
auf eine wahrlich meisterhafte Art zu fesseln, trotz einer oft ganz
unleidlichen Breite, namentlich der eingestreuten Reflexion und einem
oft lästig schleppenden Gang der Ereignisse, die an anderen Orten
wieder knapp und rasch dahineilen.
So ist z. B. „Barthli der Korber" ein durchaus gelungenes
Charakterbild, aber der Verf. versieht es darin, daß er statt der
blos genauen und deutlichen Ausprägung aller Charakterzüge eine
häufige Wiederholung derselben, ohne ein erhöhtes oder verändertes
Interesse einstreut. Ob wir das Bild des Geizes an seiner Lebens-
weise in der Schilderung von zweien Tagen oder dreißig sehen, ist
gleich, ja das Letztere lästig. Am meisten leidet dabei die künstle-
rische Ausführung der Geschichte.
G. sagt alles das, was seine handelnden Personen Bedeuten-
des, Sittlich-anregendes sagen, noch einmal in der Reflexion; auch
was in den Ereignissen, in den Gemüthseindrücken der Personen
Ergreifendes und Belehrendes für den Leser liegt, das fügt er noch-
mals mit Worten hinzu; cs ist ein ewiges baeo fab ul a docet; jeder
Th eil seiner Werke ist eine angewandte Moral, wozu er zugleich
Zahlen und in Buchstaben. Seine Gestalten sind aber so genau
und deutlich charakterisirt, daß sie schon deshalb unsere innigste
Theilnahme in Anspruch nehmen, auch wo sie durch keine besondere
Eigenthümlichkeit ausgezeichnet sind; denn das ist die hohe Natur
des Menschen, daß alles Menschliche, wo es klar und scharf ausge-
prägt, unsere Phantasie erfüllt, auch unser Herz ergreift. Dazu
kommt ohnehin, daß die Tendenz auf das Sittliche immer in star-
ken Zügen nicht blos das Ganze, sondern auch das Einzelne durch-
dringt. Sie ist um so erfolgreicher, da zwei Vorzüge den Verf.
ganz besonders auszeichnen, und ihm den hohen Beruf eines wahren
Volkslehrers ganz unstreitig machen. Einmal eine ungemein weite
und eben so tiefe Kenntniß des menschlichen Herzens, eine klare Ein-
sicht in den psychologischen Mechanismus/ zumal des moralischen
Lebens, eine genaue Kunde von dem Wachsthum der Leidenschaften
aus der einen und dem waltenden Gesetz der Trägheit auf der an-
deren Seite, kurz: Menschenkenntniß im tiefsten Sinne dieses (oft
gemißbrauchten) Wortes; sodann, was nur zum Theil aus dem Vori-
gen folgt, zum Theil aber aus der sittlichen Macht der Gesinnung
und Begeisterung, daß er in der ergreifendsten und eindringendsten
Weise für alles Gute und gegen alles Böse, erweckend und belebend
für jeden edlen Keim, mahnend und strafend gegen jede Schwäche