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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 1.1854

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https://doi.org/10.11588/diglit.1203#0109
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Literatur

2

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tatt

d e s

Deutschen Kunstblattes.

M 26.

Donnerstag, den 28. December.

-4-----

1834.


Inhalt: Theodor Storm.



Theodor Storm.

Die deutsche Erbtugend, sich in sich selbst zu vertiefen, scheint nach-
gerade wieder zu Ehren zu kommen. Manche Tiefe ist freilich bodenlos,
und Mancher, der sich vertiefen wollte, wird in sich versinken. An
solchen stillen Opfern ist die literarische, wie die politische Geschichte
der Deutschen reich, und gäbe es eine ästhetische Morgue, sie wurde dem
Psychologen eine unerschöpfliche Fundgrube sein. Wir ziehen es vor,
uns mit denen zu beschäftigen, die aus der Tiefe wieder austauchen
mit den Schätzen, die sie unten gesunden haben, mögen es nun ver-
wunderliche Meerpflanzen oder barocke Korallen sein, oder die schönen
edeln Perlen, die dann unserer Heimath zum Schmuck gereichen.

Wir wissen es wohl, daß wir uns dadurch mit gewissen socialen
Kunstkritikern in Widerspruch setzen, die die Literatur centralisiren
wollen, wie ihre politischen Collegen den Staat. Indessen trösten
wir uns mit den neuesten Bestrebungen ans dem Gebiete der Natur-
geschichte des deutschen Volks, die vielfach als reactionär verschrieen
worden sind. In diesem Sinne sind wir künstlerische Reactionäre.

Wir haben es kein Hehl, daß wir die Wirkung ans die Massen
nicht für den Maßstab einer poetischen Kraft halten, daß wir die
Kopfzahl gering, und den Charakterkopf hoch schätzen. Die zarteste,
eigensinnigste Individualität, vorausgesetzt daß sie doch Kraft und
Billigkeit und Organe genug tit sich habe, um das Leben rein und
sinnlich in sich aufznnehmen, beschäftigt unsere Aufmerksamkeit mehr,
als die zahlreichen Glieder der herrschenden Schulen, der Tendenz-
dichter, der Walter-Scottisten, der pietistischen Dichter, der Lyriker
en gros. Den Grenzboten, deren vorwiegendes Verdienst es ist,
die großen Strömungen der Bildung und der herrschenden Gedanken
umsichtig zu verfolgen, überlassen wir die Abfertigung derer, die den
Markt überschreien, und deren Werke im Grunde nur Experimente
sind, durch die sie ihre verschiedenen Doctrinen zu beweisen denken.
Wir halten in der Poesie viel vom Lernen, aber nichts von der
Schule. Das Geniale wird immer einzig in seiner Art sein und
das Mittelmäßige immer das Allgemeinste. Je größer und reicher
die Individualität ist, desto mehr wird freilich ihr Persönliches allge-
mein gültig sein. Daß dies aber allgemein anerkannt werde, ist
eine Sache der Zeit oder des Glückes, die unberechenbar und für
unser Urtheil unwesentlich ist.

Wir bedurften dieser vorläufigen Erklärung, um unsere Ansicht
von Theodor Storm's poetischen Arbeiten in das rechte Licht zu
stellen. Der Kreis seiner Kraft und Art, wie er ihn bisher in
seinen „Sommergeschichten und Liedern" und den später erschienenen
„Gedichten" gezogen hat, ist nicht groß. Bis auf einige lebhafte
und innige Gedichte für Schleswig-Holstein (Storm ist aus Husum

nicht besaßt. Das Leben, das in seinen Erzählungen gespiegelt wird,
ist ein Stillleben. Seine Lieder offenbaren großentheils Erlebnisse
der subjectivsten Art, in einem so halblauten Ton der Beichte, daß
sie nur einem sein aushorchenden Ohre verständlich wird. Weil aber
Alles, um ein Storm'sches Wort zu brauchen, „aus eignem Herzen
geboren" ist, trägt das Befremdlichste den Stempel der Wahrheit
und Nothwendigkeit, und das Zufälligste wird zum Kunstwerk.

Das Wort zufällig kann hier natürlich nur vom Inhalt gesagt
sein. In der Form haben die Storm'schen Dichtungen gerade die-
jenige Mischung von Jnstinct und Bewußtsein, die zu jeder künst-
lerischen Thätigkeit Bedingung ist. Gelegentlich drängt sich das
Bewußtsein ein wenig vor. Und selbst in diesen Partieen ist noch
die ursprüngliche Kraft des schaffenden Herzens so stark, daß wir
die störende Einmischung des Geschmackes merken, ohne gestört, die
Absicht, ohne verstimmt zu werden.

Es ist schwer, von dem Inhalt der Sommergeschichten eine
Vorstellung zu geben. Es ist meist viel Sommer darin und
wenig Geschichte, viel warme, heitere, zuweilen schwüle Luft und
wenig Personen, die sie athmen. Storm's besondere'Kunst und
Vorliebe ist: Eindruck einer bestimmten Atmosphäre, einer Localität,
einer Stimmung der Jahreszeit oder der Herzen zu erwecken. Mit
großer Reizbarkeit der Sinne und dem feinsten Blick für das Wesent-
liche lebt er sich in die Bühne ein, auf der seine Figuren austreten
sollen. Jeder Scenenwechsel ist ihm eine Herzenssache. Und wirk-
lich vermag er uns so völlig in jede Sphäre hineinzuziehen, daß wir
zuweilen vergessen, das Eigentliche solle erst kommen, und dies Alles
sei nichts als Vorbereitung und Decoration für ein Menschenschicksal.
Das Aeußerliche wird bei Storm so innerlich, daß das Innerliche,
wenn es sich daun äußert, seinen Vorrang vor Jenem einbüßt.

Dieser Fehler des Erzählers, der aus einer Tugend des Lyri-
kers stammt, tritt im kleineren Rahmen am wenigsten zu Tage. Das
Durcheinanderwirren von Natur- und Menschenstimmen hört sich
eine Weile lieblich und phantastisch genug an, und wenn wirklich
einmal Alles auf einen nur musikalischen Effect hinausliefe, so wür-
den wir von Herzen dankbar sein, gute Musik zu hören. Seltsamer
Weise sind aber gerade die kürzesten der Storm'schen Geschichten
am hellsten in allen innern Motiven. „Im Saal," „Marthe und
ihre Uhr," Posthuma" sind Stillleben in den klarsten Farben. Alle
Charakteristik tritt mit gesunden Zügen unverkennbar heraus, und
was über „Posthuma" an Dämmerung, und Räthselhaftigkeit ver-
breitet ist, dünkt uns durchaus berechtigt, um das Pathologische des
kleinen Problems nicht durch harte psychologische Gewissenhaftigkeit
seiner poetischen Macht zu berauben. Dagegen können wir das Be-
denken nicht zurückhalten, ob diese träumerische, musikalische Art der
Darstellung, so werthvoll sie im Einzelnen ist, den beiden größeren

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Schleswig gebürtig) hat er sich mit den sogenannten Tagesfragen! Erzählungen „Jmmensee" und „Ein grünes Blatt" (in dem von

Literatur-Blatt.

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