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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 8.1901

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Bruns, Margarete: Der Stil der modernen Kleidung, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6597#0090

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388

Margarete Bruns: Der Stil der modernen Kleidung.

So hat z. B. jene der »Donna Isabella« nach
dem bekannten Porträt Tizians durchaus
etwas Panzerartiges und entspricht ganz den
heutigen Formen der Kleider-Taille.
Diese Mode des Cinquecento ging nach
Spanien hinüber, und die neue Busen-Form
der Taille, in Italien ein durch steife Stoffe
hervorgerufenes Übel, wurde hier zum
Dogma erhoben: Man fing an, die Ver-
tiefung zwischen den Brüsten auszuwattieren!
Später hat die Tracht allerdings manchmal
auf die ursprüngliche Leibchen-Form zurück-
gegriffen, so z. B. in der Empire-Zeit, wo ein
knapp unter den Brüsten laufender Gürtel
das Steifen des Gewandes durch Fischbein
oder Eisen unmöglich machte; doch gibt
das ig. Jahrhundert andauernd der anderen
Kleider - Taillenform den Vorzug. Ganz
neueren Datums, d. h. eine Errungenschaft
der letzten Jahre aber ist es wohl, zwei
Korsetts übereinander zu tragen. Während
früher die Schnür-Brust zugleich die Kleider-
Taille war, später über der Schnür-Brust
wenigstens die ungesteifte Taille getragen
wurde, trägt man heute, wie ich oben schon
erwähnte, über dem fischbeingesteiften Schnür-
leib die fischbeingesteifte Taille!
Der Stil verlangt von der Kleidung
ein weiches Anschmiegen an die Körper-
Formen und, was sich daraus von selbst
ergibt, ein deutliches Hervortreten der Brüste
in ihrer einzelnen Form. Sittliche Bedenken

hiergegen geltend zu machen, wäre thöricht;
denn die Frau scheut sich durchaus nicht,
ihre Brüste im Ball-Saal weit zu entblössen,
auch ist sie immer bereit gewesen, auf ihre
geschlechtlichen Vorzüge durch die Kleidung
aufmerksam zu machen. Schon in der
Decadence Griechenlands fingen die Frauen
an, ihre Taille mit einem Gürtel einzuschnüren,
um durch die so hervorgehobene Breite des
Beckens anziehender zu erscheinen. Reif-
rock, Hüft-Kissen und Tournüre sind un-
ästhetische Beispiele für ähnliche Absichten.
Übrigens tritt bei der heute üblichen Busen-
Form die Fülle der Brüste, oft noch durch
starkes Schnüren nach oben gedrängt, in
erschreckend starker Weise hervor. Das ist
doch eben so unsittlich als barbarisch. Man
vergleiche nur die Gestalt einer nach der
heutigen Mode gekleideten Berlinerin, die
immer wie frisch aus der Büsten-Fabrik ge-
kommen aussieht, mit ihrer stark einge-
schnürten Mitte des Körpers, den unnatürlich
herausgepressten Hüften und dem plump
sich wölbenden Busen mit einer Raphael-
schen Madonna, vielleicht mit der »Madonna
im Grünen«, bei der das Gewand zwischen
den Brüsten fest anliegt und die beiden
starken Brüste deutlich hervortreten lässt —
und man wird keinen Augenblick im Zweifel
sein, welche von den beiden Frauen-Ge-
stalten den sittlicheren Eindruck machen muss.
(Forts, folgt.) Margarete Bruns—Minden.
 
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