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Dr. Max Osborn—Berlin: Lesser Ury—Berlin.
vorher angekündigt. Jetzt aber erst, seit ganz
kurzer Zeit, hat er den entscheidenden Schritt
gethan, und nun malt er Landschaften, am
liebsten Sommer- und Herbst-Stimmungen,
bernh. pankok—münchen.
Thür mit Intarsia-Aufsatz.
von einer solchen Kühnheit der glühenden
und leuchtenden Farben, dass er abermals
das Publikum verblüfft und in Schrecken
setzt. Zu gleicher Zeit jedoch nahm er die
lange vernachlässigte Figuren - Malerei
wieder auf. Die Ankündigung dieser
Wendung war das grosse Gemälde
»Jerusalem«, das im Februar 1896 in
Berlin ausgestellt war, und das der
Züricher Henneberg damals für seine
Galerie erwarb. Dann aber, im letzten
Jahr, ein neues Werk von grossem
Wurf: -»Jeremias•«. Auf der Riesen-
Leinwand wölbt sich ein wolkenloser
Abend-Himmel; mit starker Kunst
ist der Uebergang von dem hellen
Schein am Horizont durch grünliches
und bläuliches Geflimmer hindurch
bis zum friedlichen Dunkel der Höhe,
in dem bereits die Sterne aufblitzen,
gemalt. Dieser Abend-Himmel nimmt
etwa fünf Sechstel des ganzen Bildes
ein, ganz unten nur wölbt sich ein
öder Erd-Hügel; und auf ihm ruht
zusammengekauert die mächtige Ge-
stalt des Propheten, in scharfer
Silhouette von der Helle sich ab-
hebend. Den ehrwürdigen michel-
angelesken Kopf mit dem wallenden
weissen Bart hat er in die Linke ge-
stützt, und mit wehmutsvoller Trauer
blickt sein Auge geradeaus in den
Abend, in die Ferne, in die Ewigkeit.
Der Eindruck dieses Gemäldes ist
schwer zu beschreiben. Im Innersten
fühlt sich der Beschauer gepackt und
ergriffen von dieser Figur, die in sich
das ganze Weh und Leid des jüdischen
Volkes zu verkörpern scheint und zu-
gleich emporsteigt zu einer Personi-
fikation all der tausend bangen Zweifel
und Fragen, die uns heute, am Beginn
einer neuen, ins Ungewisse führenden
Kultur-Epoche verwirren und ängstigen.
Erwartungsvoll sehen wir dem künf-
tigen Schaffen Ury's entgegen, der
immer höhere Ziele ins Auge fasst und
voll zäher Kraft mit jeder neuen Auf-
gabe ringt, bis sie ihn segnet.
Dr. Max Osborn—Berlin.
Dr. Max Osborn—Berlin: Lesser Ury—Berlin.
vorher angekündigt. Jetzt aber erst, seit ganz
kurzer Zeit, hat er den entscheidenden Schritt
gethan, und nun malt er Landschaften, am
liebsten Sommer- und Herbst-Stimmungen,
bernh. pankok—münchen.
Thür mit Intarsia-Aufsatz.
von einer solchen Kühnheit der glühenden
und leuchtenden Farben, dass er abermals
das Publikum verblüfft und in Schrecken
setzt. Zu gleicher Zeit jedoch nahm er die
lange vernachlässigte Figuren - Malerei
wieder auf. Die Ankündigung dieser
Wendung war das grosse Gemälde
»Jerusalem«, das im Februar 1896 in
Berlin ausgestellt war, und das der
Züricher Henneberg damals für seine
Galerie erwarb. Dann aber, im letzten
Jahr, ein neues Werk von grossem
Wurf: -»Jeremias•«. Auf der Riesen-
Leinwand wölbt sich ein wolkenloser
Abend-Himmel; mit starker Kunst
ist der Uebergang von dem hellen
Schein am Horizont durch grünliches
und bläuliches Geflimmer hindurch
bis zum friedlichen Dunkel der Höhe,
in dem bereits die Sterne aufblitzen,
gemalt. Dieser Abend-Himmel nimmt
etwa fünf Sechstel des ganzen Bildes
ein, ganz unten nur wölbt sich ein
öder Erd-Hügel; und auf ihm ruht
zusammengekauert die mächtige Ge-
stalt des Propheten, in scharfer
Silhouette von der Helle sich ab-
hebend. Den ehrwürdigen michel-
angelesken Kopf mit dem wallenden
weissen Bart hat er in die Linke ge-
stützt, und mit wehmutsvoller Trauer
blickt sein Auge geradeaus in den
Abend, in die Ferne, in die Ewigkeit.
Der Eindruck dieses Gemäldes ist
schwer zu beschreiben. Im Innersten
fühlt sich der Beschauer gepackt und
ergriffen von dieser Figur, die in sich
das ganze Weh und Leid des jüdischen
Volkes zu verkörpern scheint und zu-
gleich emporsteigt zu einer Personi-
fikation all der tausend bangen Zweifel
und Fragen, die uns heute, am Beginn
einer neuen, ins Ungewisse führenden
Kultur-Epoche verwirren und ängstigen.
Erwartungsvoll sehen wir dem künf-
tigen Schaffen Ury's entgegen, der
immer höhere Ziele ins Auge fasst und
voll zäher Kraft mit jeder neuen Auf-
gabe ringt, bis sie ihn segnet.
Dr. Max Osborn—Berlin.