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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 48.1921

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Kehrer, Hugo: Greco als Erlebnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.9123#0013

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GRUPPE AUS NEBENST. BILDE. AUS: MAURICE BARRES »DER GRECO«

VERLAG GEORG MÜLLER AKT.-GES. MÜNCHEN.

GRECO ALS ERLEBNIS.

VON HUGO KEHRER.

Die Zeit ist vorüber, da man kaum wagte,
sich öffentlich zu Greco zu bekennen. Es
herrscht jetzt Einstimmigkeit im Urteil der Maß-
gebenden: er war einer der Großen im Reiche
des Barock, er war einer der kühnsten Maler
aller Zeiten. Und vielleicht dürfen wir hinzu-
fügen, er war so groß und reich, daß das Wesen
seiner Kunst noch nicht vollkommen ergründet
ist. Vom Byzantinischen kam er her, von Can-
dia auf Kreta, in goldschimmernden Basiliken
empfing sein Auge die ersten Eindrücke. Er
ging nach Venedig zu Tizian und Tintoretto, er
war in Parma und Rom; 1575 wanderte er über
den Tajo, Toledo entgegen. Wie kam er von
dem fernen Osten nach dem Westen Europas,
nach jener katholischsten Stadt? Eine Antwort
haben wir nicht. Wir spüren es an jedem Worte,
das er redet, an jedem Striche, den sein Pinsel
malt, Orient und Okzident, griechischer und
römischer Katholizismus, Mittelalter und Barock
trafen in ihm zusammen, durchwühlten seine
Seele. So könnte man folgern, also ist er ein
spanischer Maler nicht gewesen. War aber
Greco nicht über 40 Jahre in Toledo, hat er
nicht dort alles geschaffen, was die Größe seiner
Kunst ausmacht? Es gibt kaum eine Stadt, die
so rasch wie Toledo den Fremden in Fesseln
schlägt. „ToledosErde.Fels, Vegetation machen

trostlos durch ihr Elend, und doch ist es ihr
Stil, im Beschauer jeden gewöhnlichen Gedan-
ken zu unterdrücken". Diesen Stil der Stadt,
den Genius Loci, hat Greco vollständig begriffen
und unablässig gemalt, und darum dürfen wir
sagen, er ist durch und durch Spanier geworden.

„Toledo liegt im Himmel". Wenn der Sturm-
wind über die caslilianische Hochebene tobt,
hüllen die Wolken den Menschen ein, als ob
sie ihn emportragen wollten. Das sind Erleb-
nisse stärkster Art, unvergeßlich, wie die Ge-
witter, die in der Enge der Tajoschlucht von
Fels zu Fels dahinrollen. Alle Vorgänge der
Natur erhalten in dieser seltsamen Stadt einen
religiösen Sinn, und man begreift, daß gerade
dort eine Priesterschaft von unerhörter Macht
sich festsetzen konnte, vor der selbst die Katho-
lische Majestät Philipps II. sich beugen mußte.
„Toledo liegt im Himmel". Wer denkt da nicht
an jene Landschaft (S. 16), wo der Meister Gott-
gewalten in den treibenden, rasenden, sturm-
zerfetzten Wolken kämpfen läßt, wo man das
Sturmläuten des Weltalls zu hören meint ? Da
löst Greco die Landschaft in Blitz und Donner
auf, in Licht und Schatten stehen Himmel und
Erde, und die granitenen Felsen werden weich
wie Samt und glühen von innen heraus,— ein Bild
von ungeheurer Spannkraft, Greco hat es auf

XXIV. April-Mai 1921. 1
 
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