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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 48.1921

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Bunsen, Marie von: Kunstverständnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.9123#0343

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CARL BERTHOLD.

KUNSTVERSTÄNDNIS.

MARIE VON BUNSEN.

Tch habe solche Sehnsucht
" 1 nach den Uffizien!" Häufig
ertönt diese gefühlvolle Klage
und erweist sich als überaus
kleidsam; zwischen den Wor-
ten klingt Weltbeschlagenheit
und eingehende Liebe zur
Kunst. Ermittelt man, wie oft
dieSeufzenden, seitdem Italien
ihnen verschlossen wurde, die
heimischen, die ihnen offen-
stehenden Museen besucht
haben, dann ändert sich das
Bild. Sonderbarerweise hal-
ten die meisten Gebildeten es
für ihre Pflicht, sowie sie die
Landesgrenze überschreiten,
ganz gewissenhaft alle Kunst-
sammlungen zu besuchen; im
normalen Alltagsleben da-
gegen fehlt dieses Bedürf-
nis. „Leider kommt man ja
nicht dazu", so heißt es,
aber zu minderwertigen
undflachen Zerstreuungen
langt meistens die Zeit.

Im bemerkenswerten
Gegensatz steht recht oft
die Vielgereistheit und das
Kunstverständnis; da ich
mich zweifellos zu den
Weltreisenden rechnen
kann, darf ich das aus-
sprechen. Hingegen habe
ich oft in kleinen Provinz-
museen anspruchslose,
fein beobachtende, regen
Anteil nehmende Mitbe-
sucher gefunden. Oft ge-
rieten wir ins Gespräch,
man hatte aufeinander ge-
achtet. Meistenteils holten

RING MIT STEINEN U. EMAIL.

RING MIT EMAIL.

CARL BERTHOLD —HANAU, RINGE MIT EMAIL.

RING MIT EMAIL.

wir Büchelchen hervor und
machten uns Notizen. Dies
gilt für bedauerlich pedantisch
und gibt Anstoß; „es kommt",
so meint man, „doch nur auf
die Anschauung, auf den un-
mittelbaren Genuß an, wo-
zu philiströses Geschreibe!"
Wohl dem, der sich unbedingt
auf seine Augeneindrücke ver-
lassen kann; tatsächlich kenne
ich jedoch keinen wirklichen
Kunstkenner, keinen wirkli-
chen Kunstliebhaber, der nicht
sein Gedächtnis unterstützt,
der nicht seine Eindrücke
gern durch einige niederge-
schriebene zusammenfassen-
de Worte straffer gestaltet.
Dem suchenden Kunstfreunde
bieten selbst die Museen klei-
ner Städte vieles; sie ha-
ben zwar keine Wunder-
werke aufzuweisen, wohl
aber oft Anziehendes, Auf-
schlußgebendes zweiter
Meister, und vor allem
steht gut ausgewählter
Lernstoff zuGebot. „Lern-
stoff" klingt nüchtern und
dürr, aber diese kunstge-
schichtlichen Bücher und
Mappen sind kunsthung-
rigen Seelen kostbare ja
verklärte Geschenke. Sie
ziehen die Schleier hin-
weg, mit sanfter Hand
führen sie den Neuling
dem Tempel entgegen, sie
öffnen ihm das Tor und
er steht im Vorhof. Auch
nur im Vorhof zu stehen,
bedeutet vor Anderen
beglückt zu sein, vor

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