wodurch diese Figur sich unauslöschlich dem
Gedächtnis einprägt: Ist es die bestrickende
Dämonie der traumverlorenen Erscheinung, sind
es die Gesichtszüge mit jenem geheimnisvollen
Timbre des Psychischen, oder das einzigartige
Verständnis des Künstlers für weibliche Körper-
schönheit, wo jede Form ein Maximum von
Beseeltheit ankündet? In dieser Statue ist das
rein formale Prinzip, das nur der Kraft der
Silhouette vertraut, durchbrochen; die Flächen
sind aufgelockert, sie atmen ein blühendes,
schwellendes Leben, sind Seele gewordene Ma-
terie. Vom gleichen Geiste ist seine „Kniende"
erfüllt. Die Komposition ist schlicht, frontal,
planimetrisch, in der Struktur von einfachster
Lesbarkeit; de Fiori gibt gerade Flächen, aber
Flächen, geformt aus einem so feinen Tast-
empfinden heraus, gesättigt von einer so reifen
Anschauungskraft, wie sie uns seit Maillol wohl
kaum wieder begegnet sein dürften........
In dieser intuitiven Einstellungsfähigkeit auf
die Nuancen des Psychischen ist die besondere
Begabung de Fioris zu erkennen. Auf ihr be-
ruht das Faszinierende und Beglückende dieser
eigentümlichen Ausdruckskunst. Mag für den
Künstler immerhin die Beherrschung der Form
der Ausgangspunkt und das Wesentliche seines
Handwerks bedeuten, für uns, die wir vor den
fertigen Kunstwerken stehen, wird der Geist,
der die Form gemeistert und überall durch die
Form hindurchschlägt, stets das Wertvollere
sein. Dieser Geist weiß nichts von Formzer-
trümmerung, ohne die für viele heutzutage eine
expressionistische Plastik nicht denkbar ist:
sucht man nach einer Erklärung für die sugge-
stive Kraft dieses Geistes, so ist sie vielleicht
darin zu finden, daß de Fiori als Plastiker, der
Malerregel Leonardos folgend, in der Rundung
das Höchste an seelischer Ausdruckskraft er-
kannte............... joachim kirchner.
WIR UND DIE EXOTEN.
Jeder Blick in die Tageszeitungen belehrt über
die Unmengen von Mühe und Arbeit, die
nach wie vor an die Erforschung und an die
Popularisierung asiatischer, ägyptischer und
exotischer Kunst gewendet werden. Werke
über diese Gegenstände besitzen wir in reicher
Zahl; die Abhandlungen darüber zählen nach
Tausenden; und was die Vorträge anlangt, so
zählen die Exoten sicherlich zu den beliebtesten
und häufigsten Themen. Bekanntlich schränken
sich unsere Beziehungen zu den Exoten keines-
wegs auf das Gebiet der Kunst ein. Das Kunst-
gewerbe holt sich Anregungen aus ihnen, die
Dichtung verwertet sie und im religiösen und
philosophischen Denken spielen sie eine außer-
ordentliche Rolle. Wir stehen vor einer rich-
tigen „Mode" in dieser Hinsicht.
Vielen, die dies gesehen und richtig erkannt
haben, verdichtet sich das zu dem Gefühl einer
Bedrohung. Sie sehen eine Gefahr für unsere
Kunst und Kultur in dieser weitgehenden Ver-
wertung weit entlegener Anregungen. Ich
möchte diese Furcht nicht teilen. Es ist eine
große Kraft in allem Lebendigen, die das Fremde
wohl vorübergehend anzieht, aber es nach er-
folgter Ausnutzung glatt und restlos wieder
abstößt. Eine wirkliche Bedrohung ist im Exo-
tismus nicht gegeben.
Wohl aber eine enorme Kraftvergeudung.
Es gibt wenig Tatsachen, die so fest stehen wie
die, daß jedes Teilnehmen an einer geistigen
Mode mit Sicherheit verschwendete Arbeit ist.
Man stelle sich nur vor, was mit den zahllosen
nudeldicken Weiblein und Männlein geschehen
wird, die alljährlich in Auswirkung asiatischer
Anregungen aus den Bildhauerateliers hervor-
gehen ! In wenig Jahren wird man sie als pein-
liche Angelegenheiten belächeln. Die Geistes-
welle, die sie trug, wird verebbt sein, sie werden
als klägliches Strandgut irgendwo verwittern.
Jeder, den asiatische Reize kitzeln — und wer
zählt heute nicht dazu? — sollte sich sagen,
daß er damit nicht im Bereich des Dauern-
den und Tüchtigen ist, sondern eben in der
Sphäre eines flüchtigen Räuschleins. Der Grund
ist einfach. Echt und wahr ist immer nur die
Leistung, die aus dem innersten Müssen eines
Menschen heraufkommt. Moden reizen und
bestimmen uns so vielfältig, daß wir zum Schlüsse
glauben: ja, da ist Regung aus deiner Tiefe,
hierauf kannst du eine Leistung aufbauen. Aber
dieser Glaube ist eine Täuschung, und Täuschung
ist alles, was auf ihn gebaut ist. Asien spielt
für uns heute dieselbe Rolle, wie vor 30 Jahren
die Renaissance, später das Biedermeier, dann
die Romantik, dann die Gotik, das Barock.
Es ist nichts mit derlei Kitzeln, Sehnsüchten
und Maskeraden. Letzten Endes wird doch
immer wieder die Erkenntnis kommen, daß wir
unser eigenes Leben zu leben haben, unterstützt
durch das Schaffen unserer Vorfahren und die
ewigen Kräfte der griechischen Antike. Aus
andern Gebieten mag manchmal ein nützlicher,
flüchtiger Antrieb kommen, eine erweiternde,
anregendeEinfühlung, aber mit Sicherheit nichts,
was das Tiefste in uns nährt und stärkt, w. frank.
XXIY. August 1921. i
Gedächtnis einprägt: Ist es die bestrickende
Dämonie der traumverlorenen Erscheinung, sind
es die Gesichtszüge mit jenem geheimnisvollen
Timbre des Psychischen, oder das einzigartige
Verständnis des Künstlers für weibliche Körper-
schönheit, wo jede Form ein Maximum von
Beseeltheit ankündet? In dieser Statue ist das
rein formale Prinzip, das nur der Kraft der
Silhouette vertraut, durchbrochen; die Flächen
sind aufgelockert, sie atmen ein blühendes,
schwellendes Leben, sind Seele gewordene Ma-
terie. Vom gleichen Geiste ist seine „Kniende"
erfüllt. Die Komposition ist schlicht, frontal,
planimetrisch, in der Struktur von einfachster
Lesbarkeit; de Fiori gibt gerade Flächen, aber
Flächen, geformt aus einem so feinen Tast-
empfinden heraus, gesättigt von einer so reifen
Anschauungskraft, wie sie uns seit Maillol wohl
kaum wieder begegnet sein dürften........
In dieser intuitiven Einstellungsfähigkeit auf
die Nuancen des Psychischen ist die besondere
Begabung de Fioris zu erkennen. Auf ihr be-
ruht das Faszinierende und Beglückende dieser
eigentümlichen Ausdruckskunst. Mag für den
Künstler immerhin die Beherrschung der Form
der Ausgangspunkt und das Wesentliche seines
Handwerks bedeuten, für uns, die wir vor den
fertigen Kunstwerken stehen, wird der Geist,
der die Form gemeistert und überall durch die
Form hindurchschlägt, stets das Wertvollere
sein. Dieser Geist weiß nichts von Formzer-
trümmerung, ohne die für viele heutzutage eine
expressionistische Plastik nicht denkbar ist:
sucht man nach einer Erklärung für die sugge-
stive Kraft dieses Geistes, so ist sie vielleicht
darin zu finden, daß de Fiori als Plastiker, der
Malerregel Leonardos folgend, in der Rundung
das Höchste an seelischer Ausdruckskraft er-
kannte............... joachim kirchner.
WIR UND DIE EXOTEN.
Jeder Blick in die Tageszeitungen belehrt über
die Unmengen von Mühe und Arbeit, die
nach wie vor an die Erforschung und an die
Popularisierung asiatischer, ägyptischer und
exotischer Kunst gewendet werden. Werke
über diese Gegenstände besitzen wir in reicher
Zahl; die Abhandlungen darüber zählen nach
Tausenden; und was die Vorträge anlangt, so
zählen die Exoten sicherlich zu den beliebtesten
und häufigsten Themen. Bekanntlich schränken
sich unsere Beziehungen zu den Exoten keines-
wegs auf das Gebiet der Kunst ein. Das Kunst-
gewerbe holt sich Anregungen aus ihnen, die
Dichtung verwertet sie und im religiösen und
philosophischen Denken spielen sie eine außer-
ordentliche Rolle. Wir stehen vor einer rich-
tigen „Mode" in dieser Hinsicht.
Vielen, die dies gesehen und richtig erkannt
haben, verdichtet sich das zu dem Gefühl einer
Bedrohung. Sie sehen eine Gefahr für unsere
Kunst und Kultur in dieser weitgehenden Ver-
wertung weit entlegener Anregungen. Ich
möchte diese Furcht nicht teilen. Es ist eine
große Kraft in allem Lebendigen, die das Fremde
wohl vorübergehend anzieht, aber es nach er-
folgter Ausnutzung glatt und restlos wieder
abstößt. Eine wirkliche Bedrohung ist im Exo-
tismus nicht gegeben.
Wohl aber eine enorme Kraftvergeudung.
Es gibt wenig Tatsachen, die so fest stehen wie
die, daß jedes Teilnehmen an einer geistigen
Mode mit Sicherheit verschwendete Arbeit ist.
Man stelle sich nur vor, was mit den zahllosen
nudeldicken Weiblein und Männlein geschehen
wird, die alljährlich in Auswirkung asiatischer
Anregungen aus den Bildhauerateliers hervor-
gehen ! In wenig Jahren wird man sie als pein-
liche Angelegenheiten belächeln. Die Geistes-
welle, die sie trug, wird verebbt sein, sie werden
als klägliches Strandgut irgendwo verwittern.
Jeder, den asiatische Reize kitzeln — und wer
zählt heute nicht dazu? — sollte sich sagen,
daß er damit nicht im Bereich des Dauern-
den und Tüchtigen ist, sondern eben in der
Sphäre eines flüchtigen Räuschleins. Der Grund
ist einfach. Echt und wahr ist immer nur die
Leistung, die aus dem innersten Müssen eines
Menschen heraufkommt. Moden reizen und
bestimmen uns so vielfältig, daß wir zum Schlüsse
glauben: ja, da ist Regung aus deiner Tiefe,
hierauf kannst du eine Leistung aufbauen. Aber
dieser Glaube ist eine Täuschung, und Täuschung
ist alles, was auf ihn gebaut ist. Asien spielt
für uns heute dieselbe Rolle, wie vor 30 Jahren
die Renaissance, später das Biedermeier, dann
die Romantik, dann die Gotik, das Barock.
Es ist nichts mit derlei Kitzeln, Sehnsüchten
und Maskeraden. Letzten Endes wird doch
immer wieder die Erkenntnis kommen, daß wir
unser eigenes Leben zu leben haben, unterstützt
durch das Schaffen unserer Vorfahren und die
ewigen Kräfte der griechischen Antike. Aus
andern Gebieten mag manchmal ein nützlicher,
flüchtiger Antrieb kommen, eine erweiternde,
anregendeEinfühlung, aber mit Sicherheit nichts,
was das Tiefste in uns nährt und stärkt, w. frank.
XXIY. August 1921. i