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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 48.1921

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Kehrer, Hugo: Greco als Erlebnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.9123#0014

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Greco als Erlebnis.

»HEILIGE
MAGDALENA«
SAMMLUNG
ZULOAGA-
PARIS.

AUS: MAURICH BARRBS »DER GRECO« GEORG MÜLLER VERLAG A.-G. MÜNCHEN.

der Höhe seines dramatischen Schaffens gemalt.
— Von Anfang an steuerte er nach zwei Zielen,
einmal die Fläche, nicht die Tiefe malerisch zu
entwickeln und dann nicht die Natur, sondern
aus dem Erlebnis heraus zu schaffen. Das will
sagen, Greco war kein Naturalist, auch kein
Realist, sondern fühlte den Ursprung seiner
Kunst in der Empfindung, und in der Erweckung
der Seele liegt die Größe seines Stils begründet.
Greco lehrt uns, daß man die Kunst nicht durch
die Natur sehen dürfe, der Kunst vielmehr sich
zu unterwerfen habe, damit sie uns Natur
sehen lasse.

Was dieser Gottesgläubige in Toledo gestal-
tet, hat er im Hinblick auf das Ewige gestaltet.
Er hat mit den Mitteln der Malerei, mit Punkt,
Linie, Fläche, Form und Farbe seine Welt als
Symbol der göttlichen dargestellt. Die Figuren
bannt er auf die Fläche, vom irdischen Raum
befreit er sie, und wo er die Figuren ganz zu
bringen hat, läßt er wenigstens die Füße weg.
Er wählt das Schema der Halbfigur und läßt
uns im Unklaren, wo man sich den Schauplatz
der Handlung zu denken habe. Und wie der
Mensch auf dieser Welt keine bleibende Statt

besitzt, so sind auch Grecos Formen nicht blei-
bend, nicht fixiert. Das Licht geht über sie
hinweg, alles ist im Flusse, scheint zu phos-
phoreszieren. Nur in der Bewegung, nicht in
der Konfiguration liegt die Wirkung seines Stils.
Im Unwirklichen, Unirdischen geht alles vor
sich. Das sind Beobachtungen, die man freilich
nur in glücklichen Stunden vor Originalen ma-
chen kann. Zwar gehört die weitaus größte
Zahl seiner Schöpfungen Spanien an, doch gibt
es auch in Deutschland erlesene Proben von
seiner Hand.

Mit dem „Espolio de las vestiduras", der
„Kleiderausziehung Christi auf dem Kalvarien-
berg", öffneten sich ihm die Pforten der Kathe-
drale von Toledo. In diesem Werke erkennt
man, daß Greco jünger als Tintoretto und Bar-
roccio war und ihren Stil potenziert hat, ohne
dabei seine Selbständigkeit zu verlieren. Die
alte Pinakothek besitzt die späteste Fassung
dieses Themas (Abb. S. 9). Greco übersetzt
im Gegensatz zu Tintoretto gleich alles in die
Fläche, das Licht zuckt auf, und die Figuren um
Christus herum, drohend-unheimlich, erzeugen
den Eindruck unbestimmter Vielheit. Manche
 
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