Zur Kunsterörterung des Augenblicks.
E. LENDVAI-DIRCKSE.X.
»KINDER-BILDNIS
sein kann. Wir sind außerdem müde. Müde,
skeptisch, satt der fiügelmännischen Geberden
und vor allem der revolutionären Phrasen. Wir
sehen ernüchtert zu, wie tausend Zärtlinge am
Feuer expressionistischen Prometheustums ihre
dünnen kunstgewerblichen Kaffeesüppchen ko-
chen. Wir müssen uns eingestehen, daß das
Extatische mindestens ebenso häufig Lebens-
schwäche bedeutet wie Lebensüberschuß. Kurz
und gut, Besinnung ist eingetreten, Stimmung
eines ruhigen Verzichts, in der wir nicht mehr
das Endgültige erstreben, sondern — als echte
Zeitgenossen der Spengler'schenUnternehmung
— eine anständige, haltungsvolle Art, Bürger
eines zum Höchsten nicht mehr fähigen Kultur-
augenblicks zu sein. Vielleicht darf ich hier ein-
schieben, — um Mißverständnisse zu vermeiden
— daß ich diese Stimmung hier vortrage ohne je-
des Für undWider, so wie sie im Augenblick emp-
funden wird, insbesondere ohne sie selbst zu
teilen. Ich werde später zu sagen haben, in-
wiefern mir diese Stimmung angreifbar scheint.
Das zweite Neue ist auf dem Gebiet der Kunst-
erörterung gegeben. Es besteht in der Erkennt-
nis oder in dem Glauben, die Kunst sei als
solche vorläufig erledigt, habe ihre zentrale
Wichtigkeit eingebüßt und sei nicht mehr fähig,
die wahrhaft großen und starken Werte der
Zeit darzustellen. Diese Erkenntnis spricht also
dem Zeitalter von vornherein die Möglichkeit
ab, im Bereich der Kunst zum lebenenträtseln-
den und absolut formgewaltigen Werk zu ge-
langen. Sie behauptet, die vorhandenen Form-
kräfte der Zeit äußerten sich nur noch in Kunst-
E. LENDVAI-DIRCKSE.X.
»KINDER-BILDNIS
sein kann. Wir sind außerdem müde. Müde,
skeptisch, satt der fiügelmännischen Geberden
und vor allem der revolutionären Phrasen. Wir
sehen ernüchtert zu, wie tausend Zärtlinge am
Feuer expressionistischen Prometheustums ihre
dünnen kunstgewerblichen Kaffeesüppchen ko-
chen. Wir müssen uns eingestehen, daß das
Extatische mindestens ebenso häufig Lebens-
schwäche bedeutet wie Lebensüberschuß. Kurz
und gut, Besinnung ist eingetreten, Stimmung
eines ruhigen Verzichts, in der wir nicht mehr
das Endgültige erstreben, sondern — als echte
Zeitgenossen der Spengler'schenUnternehmung
— eine anständige, haltungsvolle Art, Bürger
eines zum Höchsten nicht mehr fähigen Kultur-
augenblicks zu sein. Vielleicht darf ich hier ein-
schieben, — um Mißverständnisse zu vermeiden
— daß ich diese Stimmung hier vortrage ohne je-
des Für undWider, so wie sie im Augenblick emp-
funden wird, insbesondere ohne sie selbst zu
teilen. Ich werde später zu sagen haben, in-
wiefern mir diese Stimmung angreifbar scheint.
Das zweite Neue ist auf dem Gebiet der Kunst-
erörterung gegeben. Es besteht in der Erkennt-
nis oder in dem Glauben, die Kunst sei als
solche vorläufig erledigt, habe ihre zentrale
Wichtigkeit eingebüßt und sei nicht mehr fähig,
die wahrhaft großen und starken Werte der
Zeit darzustellen. Diese Erkenntnis spricht also
dem Zeitalter von vornherein die Möglichkeit
ab, im Bereich der Kunst zum lebenenträtseln-
den und absolut formgewaltigen Werk zu ge-
langen. Sie behauptet, die vorhandenen Form-
kräfte der Zeit äußerten sich nur noch in Kunst-