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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 48.1921

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Bunsen, Marie von: Kunstverständnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.9123#0344

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Kunstverstän dn is.

Anderen berufen zu werden. Sie überschätzen
nicht die erklommene Stufe, bescheiden bleiben
sie sich ihrer Unzulänglichkeit bewußt, Licht
hat jedoch bereits ihre Alltagswelt vergoldet, sie
wissen, daß ihnen Großes bevorsteht, daß bis
an ihr Lebensende steigende Freuden ihrer war-
ten. Kurz beschränkt ist ihr Dasein, unerschöpf-
lich ist das leuchtende Schatzhaus der Kunst.

Ich habe schöne Seelen vom Land oder aus
dumpfester Kleinstadt gekannt, die nur vermit-
telst ihres Springers, ihres Woermanns oder
eines anderen erprobten Führers sich eine nicht
verächtliche Grundlage erwor-
ben hatten; waren ihnen auch
nicht die letzten Wert- und Un-
wertschätzungen etwa von Va-
lesquez und dem Greco, dem
Giotto und Duccio offenbar.
Sie hielten sich (vielleicht in
Verbindung mit anderen) eine
einzige Kunstzeitschrift; die
kannten und liebten sie, auf
diese griffen sie oft und gern
zurück, diese gab ihnen An-
regung zu kleinen Sonderlieb-
habereien etwa auf dem Gebiet
der Porzellane, der Gläser oder
der Spitzen. Nur auf diese
Lehrer gestützt, standen sie
jetzt im Vorhof des Tempels,
diese Grundlage befähigte sie
mit offenkundigem Nutzen, mit
erfreulichem Erfassen, das auf
ihren seltenen Reisen Gebotene
aufzunehmen und innerlich sich
anzueignen.

Vergessen wir es nicht, wir
haben keinen Louvre, keine
National Gallery — British Mu-
seum, aber im ganzen Reich
verstreut haben wir Museen
mit viel beneideten Herrlich-
keiten, mit erlesenen Schätzen.
Fast alle führenden Schulen sind
gut vertreten. Die Lücke der
ostasiatischen Kunst ist auch
in den übrigen europäischen
Kulturländern anzutreffen; in
der letzten Zeit, viel zu spät,
versucht man dem Westen diese
asiatische Welt zu erschließen.
Aber selbst dieser Welt kann
man an der Hand der vorlie-
genden Beispiele, derVeröffent-
lichungen näher treten. Die
Hilfsmittel der öffentlichen Bib-
liotheken stehen zur Verfügung,

reni schaschl.
»elfenbein

aber wie schlecht wissen die meisten Gebil-
deten in diesen Bescheid, wie selten erbitten
sie sich von den dort beamteten Kennern die
immer bereitwillig erteilten Aufschlüsse.

Hingegen werden die Direktoren und Assi-
stenten der großen Museen mit erstaunlicher
Unbefangenheit, man darf schon sagen mit merk-
würdiger Dreistigkeit von Reisenden in An-
spruch genommen. Jene beschränkte Fürstin
erbittet sich einen Brief an Bode, darunter tut
sie es nicht; jene elegante oberflächliche Gattin
des millionenschweren Bankdirektors erwartet,
daß Wölflin sie persönlich
herumführt. Aber auch in an-
spruchsloseren Kreisen ver-
sucht man mit allen Mitteln
eine persönliche Empfehlung
zu ergattern, das gehört nun
einmal zu dem Reiseprogramm,
das wird nachher beim Nach-
mittagtee selbstgefällig mit auf-
geführt. Diese heimgesuchten
Kunstgelehrten mögen einen
Rat von mir annehmen; inner-
halb der ersten drei Minuten
ergründe man das Verhältnis
dieser Eindringlinge zu ihren
heimatlichen Sammlungen; ist
das Ergebnis unbefriedigend,
lasse man sich in kürzester Frist
vom Büro aus „in Geschäfts-
sachen" abberufen, wissen die
Besucher hingegen gut bei sich
zuhause Bescheid, so gönne
man ihnen die Anregung dieser
Erklärungen und Erläuterungen
aus berufenstem Mund. Sie
haben diese Gunst verdient,
sie werden sie dankbaren Her-
zens zu würdigen wissen, bei
ihnen ist jener Humusboden
vorbereitet, auf dem eine der
kostbaren Blüten des Daseins,
das Kunstverständnis erwächst.

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ie in der Menschheit, so
liegt auch in jedem einzel-
nen Menschen beides: die An-
erkennung des Wirklichen und
die Sehnsucht nach der vorge-
stellten höheren Welt. . . Wir
alle denken uns aus, wie Men-
schen und Dinge eigentlich sein
sollten; der Künstler aber steht
beständig vor der Frage, ob er
das Wirkliche nachbilden soll
oder dessen Erhöhung, w. bode.

Wi

wiener werkst.
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