A. 1. Holz- oder Stein-Tempel in ältester Zeit?
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können, weil der kuchenförmige Echinus und der viereckige Abakus des dorischen
Kapitells für den Holzbau nicht passen sollen; dieser verlange vielmehr am Kopf
der Säulen lange, schmale Sattelhölzer zum Tragen des Epistyls.
Solche Darlegungen von J. Durm, der seine Kenntnisse der antiken Bauwerke
mehr den Büchern als den Ruinen verdankt, müssen entschieden zurückgewiesen
werden.
Erstens handelt es sich bei der Holzsäule des Heraions, die Pausanias erwähnt
hat, nicht um ein altes Weihgeschenk oder eine „Reliquie" aus einem anderen
Heiligtum, sondern, wie Pausanias ausdrücklich sagt, um eine der beiden Säulen
des Opisthodoms, die damals das Gebälk dieser Hinterhalle des Heraions seit
Jahrhunderten trugen. Die Holzsäule muss also dieselbe Höhe und eine ähnliche
Gestalt, wie die zweite Säule aus Stein gehabt haben. Ihre Formen und ihre Durch-
messer konnten von der Steinsäule abweichen, aber ihr Kapitell muss unbedingt
die Gestalt eines dorischen (mit Abakus, Echinus und vielleicht auch Blattwelle)
gehabt haben. Denn das dorische Kapitell hat sich, wie wir sogleich besprechen
werden, aus dem mykenischen Kapitell entwickelt, wie es am Löwentor und am
Atreus-Grabe von Mykene mit denselben drei Teilen noch jetzt zu sehen ist. In
den mykenischen Palästen bestanden alle Vollsäulen ausnahmslos aus Holz, das
jetzt verschwunden ist; ihre Formen kennen wir nur aus Wandgemälden oder aus
steinernen Relief-Säulen (s. Abb. 51 auf S. 199).
Zweitens ist J. Durm im Irrtum, wenn er es so darstellt, als ob ich den Holz-
säulen des Heraions genau dieselben Formen und Proportionen zuschreibe, wie
den erhaltenen Steinsäulen oder gar wie den auf einigen Vasen gemalten dünnen
Säulen mit weit ausladenden Kapitellen. Ich habe stets betont, dass wir die Ab-
messungen, Proportionen und Kapitellformen der ältesten Holzsäulen und der
einen von Pausanias gesehenen Säule des Opisthodoms nicht kennen, sie uns aber
ähnlich vorstellen müssen, wie die der Kapitelle der mykenischen Säulen.
Drittens ist Durms Erklärung der einen Holzsäule des Opisthodoms als beson-
deres Weihgeschenk, das dort mit anderen Anathemen, wie der Kypselos-Lade,
aufbewahrt worden sei, unannehmbar, wie ich schon vorher andeutete, weil sie
nach Pausanias neben einer zweiten, aber steinernen Säule und zwischen zwei
hölzernen Parastaden das hölzerne Gebälk des Opisthodoms getragen hat. Die
Holzsäule war also unbedingt ein Rest des alten Holz- und Lehm-Baues, wie ich
ihn schon vor 50 Jahren in der oben erwähnten Festschrift für Ernst Curtius
geschildert habe.
Viertens irrt Durm auch in seinem Widerspruch gegen das Bestehen des Ober-
teiles der Cellawand aus lufttrockenen Lehmziegeln, das von mir nachgewiesen
und von fast allen Archäologen anerkannt ist. Durch seine Begründung zeigt er
überdies, dass er die sogenannten Stemmlöcher an der Oberseite der Quadern, die
hierbei eine Rolle spielen, und die am Heraion wie bei fast allen antiken Bauten
vorkommen, gar nicht kennt, sondern mit Hebelöchern verwechselt, über die im
vorigen Abschnitt oft gesprochen worden ist. Ihm fehlte leider, wie ich schon
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können, weil der kuchenförmige Echinus und der viereckige Abakus des dorischen
Kapitells für den Holzbau nicht passen sollen; dieser verlange vielmehr am Kopf
der Säulen lange, schmale Sattelhölzer zum Tragen des Epistyls.
Solche Darlegungen von J. Durm, der seine Kenntnisse der antiken Bauwerke
mehr den Büchern als den Ruinen verdankt, müssen entschieden zurückgewiesen
werden.
Erstens handelt es sich bei der Holzsäule des Heraions, die Pausanias erwähnt
hat, nicht um ein altes Weihgeschenk oder eine „Reliquie" aus einem anderen
Heiligtum, sondern, wie Pausanias ausdrücklich sagt, um eine der beiden Säulen
des Opisthodoms, die damals das Gebälk dieser Hinterhalle des Heraions seit
Jahrhunderten trugen. Die Holzsäule muss also dieselbe Höhe und eine ähnliche
Gestalt, wie die zweite Säule aus Stein gehabt haben. Ihre Formen und ihre Durch-
messer konnten von der Steinsäule abweichen, aber ihr Kapitell muss unbedingt
die Gestalt eines dorischen (mit Abakus, Echinus und vielleicht auch Blattwelle)
gehabt haben. Denn das dorische Kapitell hat sich, wie wir sogleich besprechen
werden, aus dem mykenischen Kapitell entwickelt, wie es am Löwentor und am
Atreus-Grabe von Mykene mit denselben drei Teilen noch jetzt zu sehen ist. In
den mykenischen Palästen bestanden alle Vollsäulen ausnahmslos aus Holz, das
jetzt verschwunden ist; ihre Formen kennen wir nur aus Wandgemälden oder aus
steinernen Relief-Säulen (s. Abb. 51 auf S. 199).
Zweitens ist J. Durm im Irrtum, wenn er es so darstellt, als ob ich den Holz-
säulen des Heraions genau dieselben Formen und Proportionen zuschreibe, wie
den erhaltenen Steinsäulen oder gar wie den auf einigen Vasen gemalten dünnen
Säulen mit weit ausladenden Kapitellen. Ich habe stets betont, dass wir die Ab-
messungen, Proportionen und Kapitellformen der ältesten Holzsäulen und der
einen von Pausanias gesehenen Säule des Opisthodoms nicht kennen, sie uns aber
ähnlich vorstellen müssen, wie die der Kapitelle der mykenischen Säulen.
Drittens ist Durms Erklärung der einen Holzsäule des Opisthodoms als beson-
deres Weihgeschenk, das dort mit anderen Anathemen, wie der Kypselos-Lade,
aufbewahrt worden sei, unannehmbar, wie ich schon vorher andeutete, weil sie
nach Pausanias neben einer zweiten, aber steinernen Säule und zwischen zwei
hölzernen Parastaden das hölzerne Gebälk des Opisthodoms getragen hat. Die
Holzsäule war also unbedingt ein Rest des alten Holz- und Lehm-Baues, wie ich
ihn schon vor 50 Jahren in der oben erwähnten Festschrift für Ernst Curtius
geschildert habe.
Viertens irrt Durm auch in seinem Widerspruch gegen das Bestehen des Ober-
teiles der Cellawand aus lufttrockenen Lehmziegeln, das von mir nachgewiesen
und von fast allen Archäologen anerkannt ist. Durch seine Begründung zeigt er
überdies, dass er die sogenannten Stemmlöcher an der Oberseite der Quadern, die
hierbei eine Rolle spielen, und die am Heraion wie bei fast allen antiken Bauten
vorkommen, gar nicht kennt, sondern mit Hebelöchern verwechselt, über die im
vorigen Abschnitt oft gesprochen worden ist. Ihm fehlte leider, wie ich schon
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