ANDERE WERKE. SITTENBILDER.
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zeichnet — eine merkwürdig archaistische Tendenz zeigt, keineswegs zu seinem
Vortheile. In den scharf geschnittenen Geslehtem, dem eng gepressten, kurzen
Oberleib der Frau und in den knöchernen, hart bewegten Fingern der Hände
kehren nämlich unverkennbare Reminiscenzen an Roger van der Weyden wieder,
denen sleh die fast peinlich durchgeführten Nebendinge anschliessen, darunter
auch jenes bekannte Bravourstückchen der alten Flandrer, das convexe Glas, in
welchem sleh ein Fenster und dahinter die Strasse mit dem minutiöseilen Detail
wiederspiegeln. Eine zweite und reicher als die im Louvre concipirte Darstellung
eines Wechslers mit seiner Frau dürfte die im Besltze des Fürslen von Hohen-
zollern-Sigmaringen auf Schloss Sigmaringen sein.
Mit diesem Gegenstande berühren wir einen Kreis von Darslellungen, welchen
man bei dem tiefen Ernsl, wie ihn Massys sonst zeigt und bei seinem feinen Ge-
fühl für Schönheit und edles Maass,
kaum von ihm erwartet hätte. Es
sind die Jedermann bekannten
Sittenbilder in lebensgrossen Halb-
figuren, Harpagone, Wucherer,
zankende Ehepaare u. s. w., die
gewöhnlich in ziemlich derber Auf-
fassung ihr unlauteres Wesen trei-
ben, undhöchstens als ))Comptoir-
spässe«, wie sle Jakob Burckhardt
genannt hat, leidlich passlren kön-
nen. Doch ist dabei nicht zu
vergessen, dass fast bei allen die-
sen Bildern nur die Erfindung
auf unteren MeiGer zurückzuführen
isl. Dies gilt selbst für die be-
rühmten abeiden Geizhälsen in
Windsorcastle. Dass er übri-
gens auch einmal eigenhändig
solche rohen, an die Carricatur
Greifenden Gesellen schaffen mochte, oder vielleicht besser — musste, bezeugen
die Henker, die Zuschauer und die Muslkanten auf den Seitenflügeln der Grab-
legung in Antwerpen. Er war ein Sohn seiner Zeit, konnte nichts Anderes
sein, und diese war eine mehr und mehr realiGische geworden. Dieser Tendenz
aber musste auch er seinen Tribut zahlen und that es in jener Weise, wenn auch
vielleicht nicht so gerne und hingebend, wie es Lucas van Leyden in seiner
Weise that.
An Schülern oder Nachfolgern Quentin's, wenigGens im Fache dieser eben
charakterislrten niederen Gattung, von denen Gemälde auf uns gekommen sind,
kennen wir nur zwei, seinen in künstlerischer Hinsicht entarteten Sohn Jan und
den Marinus (Seeuw) van Roymerswalen (auch Reymerswalen), welch' Letzterer
hauptsächlich die Copieen oder Variationen nach obigen Thematen, den Geiz-
hälsen, Wucherern u. s. w. auf dem Gewissen hat.
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zeichnet — eine merkwürdig archaistische Tendenz zeigt, keineswegs zu seinem
Vortheile. In den scharf geschnittenen Geslehtem, dem eng gepressten, kurzen
Oberleib der Frau und in den knöchernen, hart bewegten Fingern der Hände
kehren nämlich unverkennbare Reminiscenzen an Roger van der Weyden wieder,
denen sleh die fast peinlich durchgeführten Nebendinge anschliessen, darunter
auch jenes bekannte Bravourstückchen der alten Flandrer, das convexe Glas, in
welchem sleh ein Fenster und dahinter die Strasse mit dem minutiöseilen Detail
wiederspiegeln. Eine zweite und reicher als die im Louvre concipirte Darstellung
eines Wechslers mit seiner Frau dürfte die im Besltze des Fürslen von Hohen-
zollern-Sigmaringen auf Schloss Sigmaringen sein.
Mit diesem Gegenstande berühren wir einen Kreis von Darslellungen, welchen
man bei dem tiefen Ernsl, wie ihn Massys sonst zeigt und bei seinem feinen Ge-
fühl für Schönheit und edles Maass,
kaum von ihm erwartet hätte. Es
sind die Jedermann bekannten
Sittenbilder in lebensgrossen Halb-
figuren, Harpagone, Wucherer,
zankende Ehepaare u. s. w., die
gewöhnlich in ziemlich derber Auf-
fassung ihr unlauteres Wesen trei-
ben, undhöchstens als ))Comptoir-
spässe«, wie sle Jakob Burckhardt
genannt hat, leidlich passlren kön-
nen. Doch ist dabei nicht zu
vergessen, dass fast bei allen die-
sen Bildern nur die Erfindung
auf unteren MeiGer zurückzuführen
isl. Dies gilt selbst für die be-
rühmten abeiden Geizhälsen in
Windsorcastle. Dass er übri-
gens auch einmal eigenhändig
solche rohen, an die Carricatur
Greifenden Gesellen schaffen mochte, oder vielleicht besser — musste, bezeugen
die Henker, die Zuschauer und die Muslkanten auf den Seitenflügeln der Grab-
legung in Antwerpen. Er war ein Sohn seiner Zeit, konnte nichts Anderes
sein, und diese war eine mehr und mehr realiGische geworden. Dieser Tendenz
aber musste auch er seinen Tribut zahlen und that es in jener Weise, wenn auch
vielleicht nicht so gerne und hingebend, wie es Lucas van Leyden in seiner
Weise that.
An Schülern oder Nachfolgern Quentin's, wenigGens im Fache dieser eben
charakterislrten niederen Gattung, von denen Gemälde auf uns gekommen sind,
kennen wir nur zwei, seinen in künstlerischer Hinsicht entarteten Sohn Jan und
den Marinus (Seeuw) van Roymerswalen (auch Reymerswalen), welch' Letzterer
hauptsächlich die Copieen oder Variationen nach obigen Thematen, den Geiz-
hälsen, Wucherern u. s. w. auf dem Gewissen hat.