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Dohme, Robert
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (4,1): Kunst und Künstler der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1886

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Eggers, Friedrich: Johann Gottfried Schadow und Christian Daniel Rauch
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https://doi.org/10.11588/diglit.36323#0178
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CHRISTIAN DANIEL RAUCH. 1830—1857.

überfchritten, Rand alfo in einem Alter, wo die Bildungsfähigkeit der Regel nach
nur noch in den Geleifen der eigenen Veranlagung fortfehreitet und die Möglich-
keit der Afhmilirung des von aufsen kommenden Fremden abnimmt. Rauch's
eigenfte Veranlagung wies ihn aber in eine ganz andere Richtung, als he die neu-
franzöhfche Plahik einfehlug. Dem Romantifchen, dem Genrehaften, dem blofs
Reizenden, Sinnlichen war er nicht minder abhold als dem trockenen Naturalismus.
Sein plahifcher Sinn war aufs Ideale gerichtet, das zur formellen Grundlage die
Natur haben mufste im Sinne der klaffifchen Plahik des Alterthums als Vorbild
für einen gefunden Realismus. Rauch war gegen die Möglichkeit einer Ueber-
flutung aus fremdem Gebiet der fchützende Damm, hinter welchem fleh feine
Schule in gleichem Sinne ausbreitete. Es genügt Rietfchel zu nennen, der ohne
Rauch's Einhufs, wie er unmittelbar in der Werkhatt und dann in einem fah
dreifsigjährigen Briefwechfelzu Tage trat, fraglos ein Anderer geworden wäre, fchwer-
lich feinen Lefhng, und jedenfalls feinen Luther und feine Pieta anders gefchaffen
hätte, wie he jetzt in die Gefchichte der zeitgenöfhfchen Plahik eingereiht hehen.
Wenn der romantifche Hauch der Zeit auch nicht fpurlos an Rauch vorüber -
hrich, fo traf er fein Schaffen doch nur äufserlich. Es ih nur jene anmuthige
Statuettengruppe zu nennen: Jungfrau Lorenz von Tangermünde, welche der
Sage nach durch einen Hirfch aus Waldesirre gerettet und nach Haufe getragen
worden. Aber eben nur der Stoff verräth den romantifchen Zug der Zeit, wie
auch in dem Denkmal der Polenfürhen Mieczyslaw und Boleslaw für den Dom zu
Pofen nur der Gegenhand des Denkmals an hch romantifchen Anklang ver-
nehmen läfst. Es galt, den ritterlichen Vorkämpfern des Chrihenthums in Polen
ein Denkmal zu errichten. Das fogenannte Nazarener- und das Ritterthum waren
die beiden Hauptpole, um welche hch die neudeutfeh-romantifche Kunh drehte.
Aber he waren ohne alle Anziehungskraft für Rauch, und fo hand er der ihm
gehellten Aufgabe fo lange apathifch gegenüber, bis er hinlängliche hihorifche
Handhabe fand, um den Stoff zu erfahen als realihifch ausgeprägte Porträt-
plahik. So ih denn das übrigens mit gröfstem Fleifs und ausgezeichneter Technik
gearbeitete ritterliche Kohüm des Mittelalters das einzige, was überhaupt an die
Romantik jener Tage erinnert. Die Aufladung und Charakterihik aber in Gehe
und Gewandungsweife ih hier, wie bei der Jungfrau von Tangermünde, getragen
und behimmt durch den Geih der klaffifchen Kunhanfchauung (f. Abbild. S. 6p).
Auch die wenigen Skizzen genrehafter Gattung, welche in diefer Zeit von
Rauch entworfen wurden, ein Mädchen, ihr Haar flechtend, ein Knabe mit dem
Hund, zeigen keinen Zug modernen Charakters. Vollauf aber durfte Rauch feiner
bis dahin wenig befriedigten, auf das Ideale im klaffifchen Sinn gerichteten Sehn-
fucht nun endlich Genüge leihen in jenen Viktorien, welche König Ludwig für
die Walhalla behellte, fowie auch in den weiteren, fich zum Theil unmittelbar an
diefe anknüpfenden Arbeiten idealen Stils. Die hihorifche Porträtplahik, welche
bisher vorzugsweife Rauch's Kraft in Anfpruch genommen hatte, trat im vierten
Decennium unferes Jahrhunderts vor den idealen Aufgaben zurück. Aufser den
unvermeidlichen Bühen und einigen Profilbildern — es waren deren zufammen in
diefem Zeitabfchnitte etwa dreifsig, darunter mehrere Bühen für die Walhalla —
hatte Rauch nur ein Marmorhandbild des Feldmarfchalls Grafen Gneifenau und
 
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