LEHRMETHODE.
23
ungefähr auf die Gefammtheit der geometrifchen Mittel, welche alle Bildhauer
anwenden, die ein gegebenes Modell in Stein oder Marmor auszuführen haben,
auf die Punktirung. Rüde, gehorfam und ehrfürchtig vor der äufseren Wahrheit,
nannte refpektvoll »Natura jedes lebende Modell, welches ihm für fünf Francs
täglich fafs, und zügelte fo die Freiheit feiner eigenen Eindrücke. Er gehörte
nicht zu denjenigen Geihern, welche aus einer Summe von Erfahrungen und
Studien zu der höchflen Allgemeinheit und den einfachften technifchen Proze-
duren gelangen. Er verftand es niemals, feine Methode abzukürzen. Bei jeder
neuen Statue fchien er feine Studien mit einer unbehegbaren Zähigkeit von Neuem
anzufangen.« Diefem Verfahren verdankte er es auf der anderen Seite, dafs er
niemals in Einförmigkeit und Manier verfiel und dafs ein jedes feiner Werke
den Stempel einer eigenthümlichen Frifche trägt.
Die Akademiker blickten nicht mit Wohlwollen auf den eifrigen Realihen,
welcher mit der Zeit dem klafhfchen oder vielmehr dem pfeudoklafhfchen Ideal
abtrünnig geworden war. Rüde verfland es auch gar nicht, lieh mit den ein-
ftufsreichen Kunflgröfsen auf guten Fufs zu Hellen und zu Gunften feiner Schüler
Schritte zu thun. Die letzteren hatten daher bei den Preisbewerbungen in der
Ecole des beaux-arts einen fchweren Stand. Aus dem Rudefchen Atelier zu
kommen, war eine fchlechte Empfehlung, und fo gab Rüde in feiner Selbhlohg-
keit feinem Schüler Carpeaux, welcher hch um den römifchen Preis bewerben
wollte, den Rath, zu Duret, feinem eiferftichtigen Nebenbuhler, in's Atelier zu
gehen, um fein Ziel deflo höherer zu erreichen.
Rüde war zu fehr mit den Erinnerungen feiner Jugend verwachfen, als dafs
er nicht fein Leben lang ein eifriger Bonapartift hätte bleiben follen. Unter
Louis Philipp brauchte er kein Hehl von feinen Gehnnungen zu machen, und
ihnen entfprang eine feltfame Schöpfung, welche ihn während der Jahre 1844—
1846 befchäftigte. In dem Dorfe Fixin, zwei Meilen von feiner Geburtshadt
Dijon, lebte ein alter Soldat Napoleons, der Kapitän Noifot, welcher fein Haus
und feinen Garten dem Kultus feines »Schlachtengottes« gewidmet und daraus
eine Art Mufeum zu feinem Andenken gemacht hatte. Es fehlte ihm nur an
einem würdigen Abbilde Napoleons, vor welchem er feine Andacht verrichten
konnte, und dazu hellte hch ihm Rüde in feiner Begeiherung für den grofsen
Kaifer mit vollher Uneigennützigkeit zur Verfügung. Anhatt aber eine monu-
mentale Figur zu fchaffen, die feiner realihifchen Kunhrichtung am behen ent-
fprochen hätte, kam Rüde auf den Gedanken, eine poetifche Idee in der Art
derjenigen, welche er zur Bekrönung des Triumphbogens erdacht hatte, plaftifch
zu gehalten. So enthand »die Auferhehung Napoleons auf dem Felfen von
St. Helena«. Der Kaifer liegt in der Uniform eines Oberhen der Chaheurs auf
dem Felfen, über welchen fein Kopf und feine Füfse hinwegragen, womit der
der Ktinhler andeuten wollte, dafs St. Helena zu klein für diefen Riefen gewefen
ih. Seine Stirn ih mit Eorbeern bekränzt. »Er erhebt hch langfam aus den
Falten des Mantels von Marengo, welcher ihm als Leichentuch dient, und er-
wacht allmählich aus dem Schlafe des Todes, um hch zur Unherblichkeit empor-
zufchwingen. Der Adler liegt mit ausgehreckter Zunge und den einen feiner
Fänge hnken Iahend zu feinen Füfsen. Einer feiner Flügel hängt frei herunter.
23
ungefähr auf die Gefammtheit der geometrifchen Mittel, welche alle Bildhauer
anwenden, die ein gegebenes Modell in Stein oder Marmor auszuführen haben,
auf die Punktirung. Rüde, gehorfam und ehrfürchtig vor der äufseren Wahrheit,
nannte refpektvoll »Natura jedes lebende Modell, welches ihm für fünf Francs
täglich fafs, und zügelte fo die Freiheit feiner eigenen Eindrücke. Er gehörte
nicht zu denjenigen Geihern, welche aus einer Summe von Erfahrungen und
Studien zu der höchflen Allgemeinheit und den einfachften technifchen Proze-
duren gelangen. Er verftand es niemals, feine Methode abzukürzen. Bei jeder
neuen Statue fchien er feine Studien mit einer unbehegbaren Zähigkeit von Neuem
anzufangen.« Diefem Verfahren verdankte er es auf der anderen Seite, dafs er
niemals in Einförmigkeit und Manier verfiel und dafs ein jedes feiner Werke
den Stempel einer eigenthümlichen Frifche trägt.
Die Akademiker blickten nicht mit Wohlwollen auf den eifrigen Realihen,
welcher mit der Zeit dem klafhfchen oder vielmehr dem pfeudoklafhfchen Ideal
abtrünnig geworden war. Rüde verfland es auch gar nicht, lieh mit den ein-
ftufsreichen Kunflgröfsen auf guten Fufs zu Hellen und zu Gunften feiner Schüler
Schritte zu thun. Die letzteren hatten daher bei den Preisbewerbungen in der
Ecole des beaux-arts einen fchweren Stand. Aus dem Rudefchen Atelier zu
kommen, war eine fchlechte Empfehlung, und fo gab Rüde in feiner Selbhlohg-
keit feinem Schüler Carpeaux, welcher hch um den römifchen Preis bewerben
wollte, den Rath, zu Duret, feinem eiferftichtigen Nebenbuhler, in's Atelier zu
gehen, um fein Ziel deflo höherer zu erreichen.
Rüde war zu fehr mit den Erinnerungen feiner Jugend verwachfen, als dafs
er nicht fein Leben lang ein eifriger Bonapartift hätte bleiben follen. Unter
Louis Philipp brauchte er kein Hehl von feinen Gehnnungen zu machen, und
ihnen entfprang eine feltfame Schöpfung, welche ihn während der Jahre 1844—
1846 befchäftigte. In dem Dorfe Fixin, zwei Meilen von feiner Geburtshadt
Dijon, lebte ein alter Soldat Napoleons, der Kapitän Noifot, welcher fein Haus
und feinen Garten dem Kultus feines »Schlachtengottes« gewidmet und daraus
eine Art Mufeum zu feinem Andenken gemacht hatte. Es fehlte ihm nur an
einem würdigen Abbilde Napoleons, vor welchem er feine Andacht verrichten
konnte, und dazu hellte hch ihm Rüde in feiner Begeiherung für den grofsen
Kaifer mit vollher Uneigennützigkeit zur Verfügung. Anhatt aber eine monu-
mentale Figur zu fchaffen, die feiner realihifchen Kunhrichtung am behen ent-
fprochen hätte, kam Rüde auf den Gedanken, eine poetifche Idee in der Art
derjenigen, welche er zur Bekrönung des Triumphbogens erdacht hatte, plaftifch
zu gehalten. So enthand »die Auferhehung Napoleons auf dem Felfen von
St. Helena«. Der Kaifer liegt in der Uniform eines Oberhen der Chaheurs auf
dem Felfen, über welchen fein Kopf und feine Füfse hinwegragen, womit der
der Ktinhler andeuten wollte, dafs St. Helena zu klein für diefen Riefen gewefen
ih. Seine Stirn ih mit Eorbeern bekränzt. »Er erhebt hch langfam aus den
Falten des Mantels von Marengo, welcher ihm als Leichentuch dient, und er-
wacht allmählich aus dem Schlafe des Todes, um hch zur Unherblichkeit empor-
zufchwingen. Der Adler liegt mit ausgehreckter Zunge und den einen feiner
Fänge hnken Iahend zu feinen Füfsen. Einer feiner Flügel hängt frei herunter.