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Dohme, Robert
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (4,1): Kunst und Künstler der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1886

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Valentin, Veit: Cornelius, Overbeck, Schnorr, Veit, Führich, 1, Jugendzeit in Rom
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https://doi.org/10.11588/diglit.36323#0380
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DAS ARIOSTZIMMER. BEURTHEILUNG.

So war aus den wichtigften Momenten der Haupthandlung, aus den ent-
fcheidenden Ereigniffen der beiden hervorragendlten Helden, aus dem Kreise be-
deutungsvoller Einzelfiguren ein neues beziehungsvolles, in feinem Zufammenhange
klares Ganzes gefchaffen worden, welches Avohl als Repräfentation des Arioft-
fchen Gedichtes gelten darf, wenn es auch nicht alle Seiten, befonders aber nicht
den dem Dichter eigentümlichen Charakter der Behandlungsweife zum Ausdruck
bringt. Da nun aber der Maler, der nicht blos Illuflrator fein will, das Recht der
Umdichtung hat, da ihm die Uebertragung der Dichtung in die bildende Kunft
fogar vielfach die Pfhcht der Umdichtung aufzwingt, fo wird man die Anwendung
jenes Rechtes und die Erfüllung diefer Pflicht dem Maler nicht zum Vorwurf machen
dürfen: beides mufs vielmehr als ein Vorzug hervorgehoben werden, welcher be-
weift, wie fehl* der Künfller einerleits von einer all fein Denken und Empfinden er-
füllenden Ueberzeugung durchdrungen und wie er fleh andererfeits der Grenzen
feiner Kunfl und der durch diefe bedingten Aufgabe derfelben bewufst war.
Eine weitere Frage ift die: wie ift es dem Maler gelungen diefe feine Neu-
dichtung zur Darftellung zu bringen? Als Meifler zeigt er fleh in den bewegten
Schlachtfcenen, die ihm auch fpäterhin trefflich gelingen. Mit packender Eebens-
wahrheit weifs er die entfeheidenden Momente hervorzuheben und die Spannung
auf den Ausgang lebendig zu erhalten. Nicht ebenfogut ift es ihm gelungen,
den thatfächlichen Ausgang dennoch als zweifellos durchempfinden zu laffen.
In dem trefflichen Sechskampf auf der Infel Lipadufa läfst fleh nicht fofort er-
kennen, dafs den chrifllichen Rittern der Sieg verbleiben mufs. Brandimarte
liegt erfchlagen am Boden; Olivier, mit dem einen Fufs unter dem Pferde, ver-
theidigt fleh mühfam und ohne Ausficht auf Erfolg durch feine eigne Kraft
gegen den heftig andringenden Sobrin. Roland, hoch zu Rofs, fchmettert aller-
dings eben den auf dem zufammenbrechenden Pferde finkenden Gradafs mit ge-
waltigem Streich nieder; aber hinter ihm fchwingt noch unverfehrt Agramant
die Waffe. Erft die Ueberlegung, dafs der fiegreiche Chriftenheld Niemand
anders als der gewaltige Roland ift, erfüllt uns mit der Hoffnung, dafs er nicht
nur dem gefährdeten Freunde zu Hilfe kommen, fondern auch Agramant befiegen
und tödten werde. Das Bild felbft aber fagt uns dies nicht, und doch hätte es
uns über den Ausgang nicht im Zweifel laffen dürfen. Wie vorzüglich ift da-
gegen die Kampfeswuth, die felbft die Thiere ergreift, die Sorge der Bedrängten,
die Erftarrung des Todes ausgedrückt, vor allem aber: wie vortrefflich fügen fleh
die Gehalten in den ungünftigen Raum eines fchräg laufenden Streifens, der
unten breiter als oben ift! Diefe Meifterfchaft des in den gegebenen Raum
Komponirens findet fleh weiterhin bei den Einzelhguren, am fchönften wohl
bei der zum Kampf mit zehn Rittern muthig ausreitenden Marflfa und der in
Eiebesfehnfucht vor fleh hinträumenden, ihr Rofs zum Bache führenden Brada-
mante. In beiden Fällen war die Schwierigkeit noch weit gröfser als bei dem
Sechskampf, und trotzdem erfcheinen zwanglos und als müfste es gerade fo fein
die beiden Figuren vollftändig, und das am Nebenwerk Fehlende ergänzt fleh
fo felbftverftändlich, dafs es eher ein Reiz als ein Mangel ift. Anders freilich
verhält es fleh mit der Kompofition, wenn mehrere Figuren zufammentreten,
ohne durch eine deutliche Handlung verbunden zu fein. Hier fallen fle in Einzel-
 
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