Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Eisenstadt, Mussia; Watteau, Antoine [Ill.]
Watteaus Fêtes galantes und ihre Ursprünge — Berlin: Verlag von Bruno Cassirer, 1930

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.68078#0127
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Es wurde schon gesagt, daß die idyllische Sonderform und der
idyllische Sonderinhalt der pastoralen Kunst — ganz gleich, ob man
das Wort in der formal-alexandrinischen, formal-italienischen oder
mehr inhaltbetonten deutschen Bedeutung nimmt — den Wesenscharak-
ter der „fetes galantes“ nicht umschreiben; denn dieser entsteht erst
durch eine noch zu beschreibende Modernisierung und durch Verzichte
auf die typischen idyllisch pastoralen Requisiten. Der Grundcharakter
der „fetes galantes“ besteht gerade im Aufgeben der äußeren An-
zeichen. Man wird an ihnen also das zu erfassen suchen, was nach
dieser Wandlung an pastoralen Zügen übrig bleibt. Deshalb fragen wir
nun nach den Bedeutungselementen der pastoralen Form.
6. Die pastorale „Zeitkrankheit“
Die französische Hirtendichtung hat von der zensurausteilenden
Literaturforschung allgemein ein schlechtes Prädikat erhalten. Seit
Beginn des 17. Jahrhunderts, der pastoralen „Verfallszeit“, pflegt der
Dichter seine arkadischen Poesien durch einige vorausgeschickte „re-
flexions, remarques, discours, dissertations sur la nature de l’eglogue“
vor den unvermeidlichen Angriffen seiner bukolischen Kollegen zu
schützen; daraus wäre eine umfangreiche Pastoralästhetik in Einzel-
versuchen zusammenstellbar, die sich aber rasch auf zwei Hauptrich-
tungen zusammenfassen ließe: in der einen hofft der Dichter-Theo-
retiker, Theokrit und Vergil „richtig“ nachgeahmt zu haben; in der
anderen (hauptsächlich nach dem Erscheinen der „Astree“ und bis zur
Zeit des Geßner-Einflusses in Frankreich) erklärt er, Theokrit nicht
nachahmen zu wollen, zitiert dagegen meist Vergil als Vorbild und Be-
rechtigungsinstanz der allegorischen konventionellen Hirtenfiktion185).
1799 schreibt La Harpe, der durch seine Zeitabhängigkeit und durch-
schnittliche Intelligenz die Anschauung des gebildeten Publikums bes-
ser repräsentiert als die großen Kritiker der Aufklärung: „II n’y a point
de poesie plus decreditee parmi nous, ni qui soit plus etrangere ä nos
moeurs et ä notre goüt. Ce n’est pas la faute du genre ... c’est que
notre maniere de vivre est trop loin de la nature champetre et que
les modeles de la vie pastorale et la douceur dont eile est susceptible
n’ont jamais ete sous nos yeux.“186) In ähnlichem Sinne gibt Sulzer
(1786/87) folgende Definition der Hirtendichtung: „Ihr allgemeiner
Charakter ist darin zu suchen, daß der Inhalt und der Vortrag mit den
Sitten und dem Charakter eines glücklichen Hirtenvolkes überein-
stimme.“

101
 
Annotationen