GIOVANNI SANTI — E. DI PIANDIMELETO — VITI
207
Seiner eigenen Kunst aber fehlt
das frische, persönliche Leben. Seine
Heiligenkonversationen (Fresko in
S. Domenico in Cagli, 1491, und
Tafelbilder in der Galerie von Urbino,
1489, u. a. m.) bringen nur ein üb-
liches Schema, und den Figuren fehlt
Anmut wie packende Charakteristik.
Den jugendlichen weiblichen Ge-
stalten gibt er harte Züge und mit
Vorliebe eine stark vorgewölbte Stirne
(Heimsuchung in Sta. Maria Nuova
in Fano). Die typisch umbrische
Landschaft mit ihren Felsaufbauten,
Hügeln und Tälern entbehren jedes
intimen Reizes (Heiliger Hieronymus
im Vatikan), und alle Einflüsse von
Seiten Melozzos bleiben rein äußer-
lich. In seinen stereotyp sich wieder-
holenden Erdgeschoßhallen mit Auf-
bau wiederholt sich der herbe Ernst
von Lauranas Bauten (Verkündigung,
Biera in Mailand; Heimsuchung in
Fano). Im segnenden Gottvater im
Cherubimkranz und dem Laufschema
der schwebenden Engel auf der Hei-
ligenkonversation in der Galerie von
Urbino berührt er sich mit Perugino
und gerät auch unter dessen Einfluß.
Da Raffaels Werke erst mit 1499
beginnen, ist ein direkter Einfluß des
Vaters auf ihn ausgeschlossen.
Seit 1483 arbeitete in Giovanni
Santis Werkstätte als dessen Famulus
Evangelista di Piandimeleto
(geb. gegen 1458, gest. am 18. 1.1549).
Was Venturi als sein Oeuvre zu-
sammenzustellen suchte —33 Apostel-
figuren in der Domsakristei von
Urbino und acht Musen in der Ga-
lerie Corsini zu Florenz — mag
immerhin als mittelmäßiges Kunstgut
aus dem nächsten Umkreis Santis ge-
196. G. Santi, Madonna. Urbino, Palazzo Ducale. Phot. Aiinari.
wertet werden. Nach dessen Tod führte er die Bottega allein weiter, bis er Timoteo Viti als Mitinhaber gewann;
nach dessen Ableben führte er sie mit Piero Viti zusammen. In die Zeit zwischen 1513 und 1522 fallen (zerstörte)
Gemälde in der Sakramentskapelle des Doms von Urbino. Um 1521 entstanden unter Timoteo Vitis Einfluß das
Fresko und das Altarbild in S. Francesco in Sasso Corvaro. 1499 half er Raffael bei der Prozessionsfahne in
Cittä di Castello, 1500 bei der zerstörten Krönung des heiligen Nikolaus da Tolentino; in ersterem Werk dürfte
sich sein Anteil auf das Landschaftliche beschränken.
Timoteo delle Vite oder Viti (1467— 1523), aus Ferrara, 1491 —95 im Atelier des Francesco Francia
in Bologna; schon hier nimmt er indirekt Fühlung mit Peruginos Kunst, zeigt sie aber im Figürlichen stets in
ihrer Abwandlung durch Francia; den ferrareschen Reichtum an Bewegung und an Landschaftsmotiven (Noli
me tangere in der Confraternita di S. Michele in Cagli; Annunziata mit Johannes dem Täufer und Sebastian in
der Brera in Mailand) beruhigt er in Urbino zur umbrischen Landschaft mit Flußtal und sanften Hängen (Madonna
207
Seiner eigenen Kunst aber fehlt
das frische, persönliche Leben. Seine
Heiligenkonversationen (Fresko in
S. Domenico in Cagli, 1491, und
Tafelbilder in der Galerie von Urbino,
1489, u. a. m.) bringen nur ein üb-
liches Schema, und den Figuren fehlt
Anmut wie packende Charakteristik.
Den jugendlichen weiblichen Ge-
stalten gibt er harte Züge und mit
Vorliebe eine stark vorgewölbte Stirne
(Heimsuchung in Sta. Maria Nuova
in Fano). Die typisch umbrische
Landschaft mit ihren Felsaufbauten,
Hügeln und Tälern entbehren jedes
intimen Reizes (Heiliger Hieronymus
im Vatikan), und alle Einflüsse von
Seiten Melozzos bleiben rein äußer-
lich. In seinen stereotyp sich wieder-
holenden Erdgeschoßhallen mit Auf-
bau wiederholt sich der herbe Ernst
von Lauranas Bauten (Verkündigung,
Biera in Mailand; Heimsuchung in
Fano). Im segnenden Gottvater im
Cherubimkranz und dem Laufschema
der schwebenden Engel auf der Hei-
ligenkonversation in der Galerie von
Urbino berührt er sich mit Perugino
und gerät auch unter dessen Einfluß.
Da Raffaels Werke erst mit 1499
beginnen, ist ein direkter Einfluß des
Vaters auf ihn ausgeschlossen.
Seit 1483 arbeitete in Giovanni
Santis Werkstätte als dessen Famulus
Evangelista di Piandimeleto
(geb. gegen 1458, gest. am 18. 1.1549).
Was Venturi als sein Oeuvre zu-
sammenzustellen suchte —33 Apostel-
figuren in der Domsakristei von
Urbino und acht Musen in der Ga-
lerie Corsini zu Florenz — mag
immerhin als mittelmäßiges Kunstgut
aus dem nächsten Umkreis Santis ge-
196. G. Santi, Madonna. Urbino, Palazzo Ducale. Phot. Aiinari.
wertet werden. Nach dessen Tod führte er die Bottega allein weiter, bis er Timoteo Viti als Mitinhaber gewann;
nach dessen Ableben führte er sie mit Piero Viti zusammen. In die Zeit zwischen 1513 und 1522 fallen (zerstörte)
Gemälde in der Sakramentskapelle des Doms von Urbino. Um 1521 entstanden unter Timoteo Vitis Einfluß das
Fresko und das Altarbild in S. Francesco in Sasso Corvaro. 1499 half er Raffael bei der Prozessionsfahne in
Cittä di Castello, 1500 bei der zerstörten Krönung des heiligen Nikolaus da Tolentino; in ersterem Werk dürfte
sich sein Anteil auf das Landschaftliche beschränken.
Timoteo delle Vite oder Viti (1467— 1523), aus Ferrara, 1491 —95 im Atelier des Francesco Francia
in Bologna; schon hier nimmt er indirekt Fühlung mit Peruginos Kunst, zeigt sie aber im Figürlichen stets in
ihrer Abwandlung durch Francia; den ferrareschen Reichtum an Bewegung und an Landschaftsmotiven (Noli
me tangere in der Confraternita di S. Michele in Cagli; Annunziata mit Johannes dem Täufer und Sebastian in
der Brera in Mailand) beruhigt er in Urbino zur umbrischen Landschaft mit Flußtal und sanften Hängen (Madonna