RAFFAEL: PERSÖNLICHKEIT UND WERTUNG
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sammenstoppelung konventioneller Figuren in einer Pinturicchio lieblos nachgeahmten Landschaft kam der
Maler nicht hinaus. Die Darstellung von Augustus mit der Sibylle (Siena, Fontegiusta) zeigt trotz ihren übertrieben
hageren Gestalten, daß er sich zuweilen in der Kraft römischer Erzählungskunst versuchte.
Ein ganz unselbständiger Eklektiker, der lange unter Sodomas Einfluß stand, aber schließlich ganz in der
Kunst Pacchiarottos aufging, war Girolamo del Pacchia (1477 bis nach 1555).
Umbrien tritt jetzt durchaus zurück. Der einzige nennenswerte Meister Girolamo Genga aus Urbino wurde
in früherem Zusammenhang gewürdigt.
Der dekorative Ausbau der Hochrenaissance durch Raffael.
Erstaunlich wenig ist uns über Raffaels Persönlichkeit bekannt. Seine Entwicklung, wie die
äußeren Lebensschicksale lassen auf einen schmiegsamen und doch selbständigen und
zielbewußten Charakter schließen. So erklärt sich auch seine angesehene Stellung in Rom.
Sein Freundschaftsverhältnis mit Baldassare Castiglione, Agostino Chigi u. a. hervorragenden
Männern spricht für hohe Bildung und feinstes Wesen; Raffael fügte sich der vornehmsten Ge-
sellschaft als ihresgleichen ein. Er bewohnte in Rom einen eigenen Palast. Sein Ansehen als
Mensch und Künstler war hier so gestiegen, daß sich hohe Besteller von ihm hinhalten oder mit
seinem Namen signierte Schülerwerke übersenden ließen. Er teilte sein Leben zwischen Arbeit
und Genuß; wir dürften kaum fehlgehen, wenn wir ihn uns nicht als Lebemann aber als Lebens-
künstler vorstellen. Nach den strengen Florentiner Jahren und neben der Arbeitslast, die er in
Rom zu bewältigen hatte, mögen äußere Pracht, geistvoller Umgang, Ruhm und Liebesgenuß
die für sein Berufsleben nötige Atmosphäre geschaffen haben. Allem Anschein nach war Raffael
eine faßbare Verkörperung des „Cortegiano“ seines Freundes Castiglione.
In seinen Glanzzeiten, die er zu seinem Glück nicht überleben mußte, bedrohte ihn die gi-
gantische Persönlichkeit Michelangelos; er und seine Anhänger ließen es nicht an gehässigen
Äußerungen über seine Werke fehlen, und manche Diskreditierung verschuldete Raffael da-
durch, daß er die Bestellungen den Schülern überließ und seinen Namen auf minderwertige Atelier-
erzeugnisse setzte. Seit dieser Zeit ist seine künstlerische Einschätzung bis auf den heutigen Tag
großen Schwankungen unterworfen gewesen. Äußerten sich Giovio, Vasari und Lodovico Dolce im
allgemeinen noch durchaus anerkennend, so fühlte sich das 17.Jahrhundert viel mehr zu Correggio
hingezogen, und nur die französische Klassik, Poussin, Felibien und die französische Kunst-
akademie standen für Raffaels Ruhm ein; für sie war er dem Altertum gleichwertig. Dieselbe
Rettung seines Namens knüpfte sich ein Jahrhundert später an die Persönlichkeiten von Mengs
und Winckelmann; den deutschen Frühromantikern war Raffael Gegenstand der Vergötterung.
Positiv blieb seine Beurteilung bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts, einer Zeit, in welcher die
Michelangelo-Biographien zunahmen und der Kultus der eigenwilligen starken Persönlichkeit über-
wog. Und wird heute die neuere Kunst nach den Begriffen: Mensch des Nordens und Mensch des
Südens orientiert, so wird Raffael die Hauptschuld dafür aufgebürdet, daß die südliche Kunst
dem cisalpinen Menschen im Grunde fremd sei (Scheffler).
Dieser Tadel geht von der richtigen Erwägung aus, daß Raffael die formale Seite der ita-
lienischen Renaissance am reinsten vertrat, da er sich weder in unabsehbare naturwissenschaft-
liche Studien einließ, noch zum erschütterten Miterleben aller seelischen Vorgänge zwang. Er
ist der Laienwelt vorab als Madonnenmaler bekannt, und als solcher hat er das bekannteste
Thema bildender Kunst durch seine Auffassung gehoben und ihm durch allgemeinen Liebreiz
der Gestalten die Herzen erobert. Ob umbrisch, florentinisch oder römisch, stets geben sich
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sammenstoppelung konventioneller Figuren in einer Pinturicchio lieblos nachgeahmten Landschaft kam der
Maler nicht hinaus. Die Darstellung von Augustus mit der Sibylle (Siena, Fontegiusta) zeigt trotz ihren übertrieben
hageren Gestalten, daß er sich zuweilen in der Kraft römischer Erzählungskunst versuchte.
Ein ganz unselbständiger Eklektiker, der lange unter Sodomas Einfluß stand, aber schließlich ganz in der
Kunst Pacchiarottos aufging, war Girolamo del Pacchia (1477 bis nach 1555).
Umbrien tritt jetzt durchaus zurück. Der einzige nennenswerte Meister Girolamo Genga aus Urbino wurde
in früherem Zusammenhang gewürdigt.
Der dekorative Ausbau der Hochrenaissance durch Raffael.
Erstaunlich wenig ist uns über Raffaels Persönlichkeit bekannt. Seine Entwicklung, wie die
äußeren Lebensschicksale lassen auf einen schmiegsamen und doch selbständigen und
zielbewußten Charakter schließen. So erklärt sich auch seine angesehene Stellung in Rom.
Sein Freundschaftsverhältnis mit Baldassare Castiglione, Agostino Chigi u. a. hervorragenden
Männern spricht für hohe Bildung und feinstes Wesen; Raffael fügte sich der vornehmsten Ge-
sellschaft als ihresgleichen ein. Er bewohnte in Rom einen eigenen Palast. Sein Ansehen als
Mensch und Künstler war hier so gestiegen, daß sich hohe Besteller von ihm hinhalten oder mit
seinem Namen signierte Schülerwerke übersenden ließen. Er teilte sein Leben zwischen Arbeit
und Genuß; wir dürften kaum fehlgehen, wenn wir ihn uns nicht als Lebemann aber als Lebens-
künstler vorstellen. Nach den strengen Florentiner Jahren und neben der Arbeitslast, die er in
Rom zu bewältigen hatte, mögen äußere Pracht, geistvoller Umgang, Ruhm und Liebesgenuß
die für sein Berufsleben nötige Atmosphäre geschaffen haben. Allem Anschein nach war Raffael
eine faßbare Verkörperung des „Cortegiano“ seines Freundes Castiglione.
In seinen Glanzzeiten, die er zu seinem Glück nicht überleben mußte, bedrohte ihn die gi-
gantische Persönlichkeit Michelangelos; er und seine Anhänger ließen es nicht an gehässigen
Äußerungen über seine Werke fehlen, und manche Diskreditierung verschuldete Raffael da-
durch, daß er die Bestellungen den Schülern überließ und seinen Namen auf minderwertige Atelier-
erzeugnisse setzte. Seit dieser Zeit ist seine künstlerische Einschätzung bis auf den heutigen Tag
großen Schwankungen unterworfen gewesen. Äußerten sich Giovio, Vasari und Lodovico Dolce im
allgemeinen noch durchaus anerkennend, so fühlte sich das 17.Jahrhundert viel mehr zu Correggio
hingezogen, und nur die französische Klassik, Poussin, Felibien und die französische Kunst-
akademie standen für Raffaels Ruhm ein; für sie war er dem Altertum gleichwertig. Dieselbe
Rettung seines Namens knüpfte sich ein Jahrhundert später an die Persönlichkeiten von Mengs
und Winckelmann; den deutschen Frühromantikern war Raffael Gegenstand der Vergötterung.
Positiv blieb seine Beurteilung bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts, einer Zeit, in welcher die
Michelangelo-Biographien zunahmen und der Kultus der eigenwilligen starken Persönlichkeit über-
wog. Und wird heute die neuere Kunst nach den Begriffen: Mensch des Nordens und Mensch des
Südens orientiert, so wird Raffael die Hauptschuld dafür aufgebürdet, daß die südliche Kunst
dem cisalpinen Menschen im Grunde fremd sei (Scheffler).
Dieser Tadel geht von der richtigen Erwägung aus, daß Raffael die formale Seite der ita-
lienischen Renaissance am reinsten vertrat, da er sich weder in unabsehbare naturwissenschaft-
liche Studien einließ, noch zum erschütterten Miterleben aller seelischen Vorgänge zwang. Er
ist der Laienwelt vorab als Madonnenmaler bekannt, und als solcher hat er das bekannteste
Thema bildender Kunst durch seine Auffassung gehoben und ihm durch allgemeinen Liebreiz
der Gestalten die Herzen erobert. Ob umbrisch, florentinisch oder römisch, stets geben sich