DER MANIERISMUS ALS ÜBERGANG
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bestimmten Gesetzen bewegte Form und der mächtige Gruppenaufbau, die Bedeutsamkeit der
Kontraste und Überschneidungen hielten das künstlerische Schaffen im Banne, ohne daß die
Meister den Bewegungs- und Formenaufwand zu begründen verstanden. So gewaltig Michel-
angelos Vorbild einwirkte, so gefährlich wurde es auch für die darstellenden Künste. Um ihrer
selbst willen, nicht als Ausdruck eines starken Gefühlsinhaltes, drängte die Maler dem Beschauer
jene Lösungen auf, und zur Gewaltsamkeit der Kontraposte und den gewagten Überschneidungen
und Verkürzungen brachten sie noch oft genug eine mit Figuren vollgestopfte Bildfläche ohne
durchgehende Bewegung, eine zersplitterte Umrißwirkung, anfängliche Körperdarstellung und
konventionelle Farbe. Das Individuelle, das sich in naturalistischen Details oder besonderem
Farbenempfinden oder in gewisser Klärung der Bildanordnung äußern mochte, duckte sich
scheu vor dem übermächtigen Ideal Michelangelos. Einseitig aber zielbewußt arbeitete also dieser
in Rom und Florenz tätige Manierismus an der Ausbildung der plastisch räumlichen Kompo-
nente des Barocks; aber so übertrieben die Kontraposte, so pathetisch die Gebärden, so aufdring-
lich die gleichsam herausgehämmerte Einzelform erscheinen mögen, so diente dies alles doch nur
dazu, diesen künstlerischen Ausdrucksmitteln erhöhten Wert zu geben, sie aus der abgeklärten
Ruhe der Klassik zu befreien. Aber diese Arbeit blieb eine halbe, sie krankte an Zwiespalt und
blieb daher Manierismus, solange nicht eine neue entsprechende Auffassung des Themas der
gesteigerten Formensprache Berechtigung gab.
In der zweiten Jahrhunderthälfte mildert sich die Schroffheit des italienischen Manierismus
durch Annäherung an die bisher meist feindselig abgelehnte oberitalienische Malerei. Der Ein-
fluß Parmigianinos, des Schülers Correggios, führte eine bedeutsame Wendung herbei. Hell-
dunkel und Farbe heben die schroffe Einseitigkeit der räumlich plastischen Richtung auf. Aber
erst die persönliche Durchdringung der Stoffe, die Beherrschung verschiedenartiger künstlerischer
Richtungen, die Abkehr vom leer und schal gewordenen Idealismus und das Bekenntnis zu einem
auf den Errungenschaften mittel- und oberitalienischer Malerei aufgebauten Naturalismus, die
Ersetzung des antiken und michelangelischen Ideals durch ein kosmisches, die Wendung vom
einseitig Plastischen zum allgemein Organischen, hauptsächlich aber die innige Verknüpfung,
das Ineinanderübergehen von Diesseits und Jenseits, die Entdeckung der Wunder des Raums
und des Lichts und des Gefühlsmäßigen als treibenden Faktor der Bildgestaltung, all dies erst
bedeutete wieder eine neue in sich geschlossene Kunst; um die Wende des 16. zum 17. Jahr-
hundert geschah die entscheidende Befreiung des Barocks aus seinen Vorstufen und zwar im
Süden wie im Norden. Italien war das Mutterland des Barocks; aber erst im Norden wurde er
sich aller seiner Kräfte bewußt.
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bestimmten Gesetzen bewegte Form und der mächtige Gruppenaufbau, die Bedeutsamkeit der
Kontraste und Überschneidungen hielten das künstlerische Schaffen im Banne, ohne daß die
Meister den Bewegungs- und Formenaufwand zu begründen verstanden. So gewaltig Michel-
angelos Vorbild einwirkte, so gefährlich wurde es auch für die darstellenden Künste. Um ihrer
selbst willen, nicht als Ausdruck eines starken Gefühlsinhaltes, drängte die Maler dem Beschauer
jene Lösungen auf, und zur Gewaltsamkeit der Kontraposte und den gewagten Überschneidungen
und Verkürzungen brachten sie noch oft genug eine mit Figuren vollgestopfte Bildfläche ohne
durchgehende Bewegung, eine zersplitterte Umrißwirkung, anfängliche Körperdarstellung und
konventionelle Farbe. Das Individuelle, das sich in naturalistischen Details oder besonderem
Farbenempfinden oder in gewisser Klärung der Bildanordnung äußern mochte, duckte sich
scheu vor dem übermächtigen Ideal Michelangelos. Einseitig aber zielbewußt arbeitete also dieser
in Rom und Florenz tätige Manierismus an der Ausbildung der plastisch räumlichen Kompo-
nente des Barocks; aber so übertrieben die Kontraposte, so pathetisch die Gebärden, so aufdring-
lich die gleichsam herausgehämmerte Einzelform erscheinen mögen, so diente dies alles doch nur
dazu, diesen künstlerischen Ausdrucksmitteln erhöhten Wert zu geben, sie aus der abgeklärten
Ruhe der Klassik zu befreien. Aber diese Arbeit blieb eine halbe, sie krankte an Zwiespalt und
blieb daher Manierismus, solange nicht eine neue entsprechende Auffassung des Themas der
gesteigerten Formensprache Berechtigung gab.
In der zweiten Jahrhunderthälfte mildert sich die Schroffheit des italienischen Manierismus
durch Annäherung an die bisher meist feindselig abgelehnte oberitalienische Malerei. Der Ein-
fluß Parmigianinos, des Schülers Correggios, führte eine bedeutsame Wendung herbei. Hell-
dunkel und Farbe heben die schroffe Einseitigkeit der räumlich plastischen Richtung auf. Aber
erst die persönliche Durchdringung der Stoffe, die Beherrschung verschiedenartiger künstlerischer
Richtungen, die Abkehr vom leer und schal gewordenen Idealismus und das Bekenntnis zu einem
auf den Errungenschaften mittel- und oberitalienischer Malerei aufgebauten Naturalismus, die
Ersetzung des antiken und michelangelischen Ideals durch ein kosmisches, die Wendung vom
einseitig Plastischen zum allgemein Organischen, hauptsächlich aber die innige Verknüpfung,
das Ineinanderübergehen von Diesseits und Jenseits, die Entdeckung der Wunder des Raums
und des Lichts und des Gefühlsmäßigen als treibenden Faktor der Bildgestaltung, all dies erst
bedeutete wieder eine neue in sich geschlossene Kunst; um die Wende des 16. zum 17. Jahr-
hundert geschah die entscheidende Befreiung des Barocks aus seinen Vorstufen und zwar im
Süden wie im Norden. Italien war das Mutterland des Barocks; aber erst im Norden wurde er
sich aller seiner Kräfte bewußt.
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