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Der Braune, oder warum ich auszog, einzog und wieder auszog

Eine Pariser Geschichte.

Ein rauchender Ofen, eine knarrende Thüre. zwei zerbrochene
Fensterscheiben und ein hustender Zimmernachbar hatten mich
endlich aus meiner alten Wohnung in Paris vertrieben. Ich
war so eben unter schrecklichem Regenwetter eingczogen. Müde
vom Einpacken meiner zerstreuten irdischen Gütter. ließ ich die
Koffer unausgepackt in meiner neuen Wohnung stehen; und da
der Regen immer heftiger wurde, beschloß ich. den Abend nicht
mehr auszugehen, bestellte mir ein leichtes Souper und fing an.
einen neuen Roman zu lesen. Das Souper war viel verdau-
licher als der Roman, obgleich dieser noch leichter war als das
Souper, und da mich gegen zehn Uhr der Schlaf überkam. legte
ich mich zu Bette und sank bald dem Traumgott in die Arme.

Es mochte ungefähr eine Stunde nach Mitternacht gewesen
sein, als ich durch ein lautes deutsches Zwiegespräch im benach-
barten Zimmer, das von dem meinigen nur durch eine hölzerne
Wand getrennt war. auf eine höchst unangenehme Weise aus !
dem süßesten Schlummer geweckt wurde. Das Zwiegespräch ver-
wandelte sich bald in ein heftiges Zwiegezänk. das mich mit
Angst und Entsetzen erfüllte.

„Klotilde muß sterben!" rief der Eine (daß die Zankenden
nicht dem schönen Geschlechte angehörteu. vernahm ich gleich an
deren Stimme) — „Klotilde muß sterben. und damit Eduard
nichts merkt, muß sie durch Gift sterben. Punktum!"

„Klotilde soll nicht sterben." entgegnete der Andere in hef-
tiger Aufregung. „Ich kann dieses blutdürstige Verfahren nicht
! billigen. Klotilde, ein Muster von Frömmigkeit und Milde,
ein Engel an Liebenswürdigkeit und himmlischer Ergebung darf
nicht das Opfer eines Menschen werden, dessen ganzes Leben
eine Reihe glücklich vollbrachter Schandthaten bildet."

„Sentimentalität! Nichts als Sentimentalität!" rief die erste
Stimme mit einer Kälte, die mein Herzblut erstarren machte.
„Klotilde muß sterben und sie wird sterben. Sie muß an
' Gift sterben und wird an Gift sterben, gerade weil sie ein
1 Muster von Frömmigkeit und Milde, ein Engel an Liebens- j
! Würdigkeit und himmlischer Ergebung ist. Hast dn nicht den
unschuldigen Ferdinand geopfert, als die Reihe an dir war? !
Die Reihe ist jetzt an mir, ich kann also mit Klotilde anfangen,
was ich will. Du kannst mir's nicht wehren."

„Ich kann dir's nicht wehren, das ist wahr." bemerkte die
zweite Stimme; „ob du aber nicht Ursache haben wirst, es bitter
zu bereuen, das ist eine andere Frage."

„Ihr Blut komme über mein Haupt!" entgegnete der Erste
mit einem höhnischen Gelächter.

Tiefes Schweigen herrschte darauf im benachbarten Zimmer.

Man kann sich leicht denken, was ich empfand, als ich die
furchtbare Unterredung hörte. Mein Herz klopfte mir gewaltig
an die Rippen und das Haar sträubte sich mir auf dem Haupte.
Von den verschiedensten Empfindungen bestürmt, von den gräß-
lichsten Phautasiebildern umgaukelt, war ich lange Zeit nicht
fähig, einen Entschluß zu fasten. Endlich aber schämte ich mich
meiner Unentschlossenheit und dachte: „Du kannst eine blutige
That verhüten und du zögerst noch?"

Ich sprang also aus dem Bette, hüllte mich in den Schlaf-
rock. ergriff meinen Degenstock mit der Rechten, nahm das Licht
in die Linke, riegelte leise meine Thüre auf. begab mich an die !
Thüre meiner blutdürstigen Nachbarn und klopfte heftig mit dem
Knopfe meines Degenstockes.

„Qui est lä!“ rief cs aus dem Zimmer.

„Ouvrez !“ rief ich mit aller mir zuGebot stehenden Energie. J

Die Thüre wurde geöffnet und ein blonder Jüngling mit
sehr feinen Gesichtszügen stand vor mir. musterte mich vom
Kopfe bis zu den Füßen und wollte eben nach der Ursache meines
Besuches fragen, als ich mit bewegter Stimme sprach: „Ich
komme, um zu verhüten, daß unschuldiges Blut vergossen werde,
ich komme — —"

Hier unterbrach mich ein anderer braungelockter junger Mann,
den ich beim Eintreten in's Zimmer nicht wahrgenommen und !
der inzwischen auf mich zugetreten war. mit der Frage, ob ich
nicht Platz nehmen wollte, da ich halb nackt wäre und es an
der Thüre stark zöge. Während er auf diese Weise mit mir
sprach, machte er mit den Fingern seiner rechten Hand mehrere
Zeichen, worauf der blonde Jüngling geheimnißvoll lächelte, mich ,
dabei auf eine höchst eigenthümliche Weise betrachtete und mich
dann bat. näher zu treten. Diese Höflichkeit brachte mich erst |
recht auf und ich rief: „An der Thüre will ich stehen bleiben,
und nicht in die Mitte des Zimmers treten. Ich komme, ein
unschuldiges Wesen vor Meuchelmördern zu retten, vor Meuchel- -
Mördern, die — ich schäme mich, es sagen zu müssen — meine
Landsleute sind. Ich fürchte mich nicht, obgleich ihre Zwei seid
gegen Einen. Ich habe Muth und - setzte ich mit Nachdruck
hinzu, indem ich den Stockdegen heftig auf den Boden stieß — j
„ich bin bewaffnet."

„Welchen Meuchelmord meinen Sic?" fragte der Blonde.

„Welchen Meuchelmord?" wiederholte ich mit ironischem !
Lächeln und rief dann mit Donnerstimme: „Klotilde!"

Ich erwartete, daß die Jünglinge vor Schrecken zufammen-
fahren würden; statt aber zusammenzufahren, brachen sie. sobald
ich den verhängnißvollen Namen genannt hatte, in ein schallendes
Gelächter aus. Das schallende Gelächter wurde immer schallender
und dauerte so lange, daß ich nicht umhin konnte, die gußeisernen
Zwerchfelle der jungen Leute zu bewundern. Zugleich bestärkte
mich aber dies Gelächter in meinem Argwohn. „Was hätten sie
nöthig. in ein solch erschütterndes Lachen auszubrechen, wenn sie
nicht schuldig wären?" fragte ich mich. „Gewiß wollen sie meinen j

nur zu gerechten Argwohn irre führen. Es soll ihnen aber
nicht gelingen!"

Und indem ich dies dachte, trat ich zwischen Beide, zog den
Degen halb aus dem Futteral und rief mit so viel Nachdruck,
als mir zu Gebote stand: „Beide seid Ihr Mörder und ehe der
Morgen graut. werdetJhr den Händen der Justiz überliefert sein!"

Mit diesen Worten stieß ich den Degen heftig in die Stock-
scheide, warf einen furchtlosen, fast durchbohrenden Blick auf die
jungen Mörder und schickte mich an, das Zimmer zu verlassen,
als der Braune mich bei der Hand faßte und mich durch's Zim-
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