Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Braune, oder warum ich auszog, einzog und wieder auszog.

Geliebten anfange, der die Ursache ihres Selbstmordes ist,
weiß ich wahrhaftig noch nicht."

„ Er muß auch sterben!" unterbrach ich mit lebhafter Mordlust.

„Das versteht sich von selbst," sagte der Braune. „Es
handelt sich nur um das Wie?"

„Durch Kohleudampf!" erwiderte ich eifrig.

„Schon oft dagewesen!" bemerkte der Braune mit halb-
verächtlichem Achselzucken über meine Armuth an Erfindung.

„Durch Ehloroform!" rief ich hastig.

„Schon zweimal da gewesen!" entgegnete der Neuntödter.

„Durch vergiftete Oblaten!" rief ich etwas verdrießlich.

„Ist bereits in unserm ersten Romane vorgekommen," be-
merkte Jener mit eisiger Kälte; „außerdem," fügte er nach einer
kleinen Pause hinzu," würde es eine lächerliche Dürftigkeit der
Phantasie verrathen, die Geliebte und den Geliebten an einer
und derselben Todesart, an Vergiftung nämlich, sterben zu lassen."

„Sinn zuni Teufel!" fuhr ich, indem ich den Tegenstvck
zornig ans den Boden stieß, heraus: „Lassen Sie ihn an
einer Gräte, die ihm im Halse stecken bleibt, darauf gehen!"

„So übel nicht! So übel nicht!" rief der Braune schmunzelnd
und fuhr dann für sich fort: „Ausflug auf das Land — Forel-
lcnteich — frische Forellen — Ländliches Mahl — Die Gräte
in der Kehle und er ist geliefert. — Die Idee zwar nicht sehr
originell, aber in diesem Falle von guter Wirkung. Gut! Ich
danke Ihnen. Er soll auch noch heute Nacht darauf gehen."

Mit diesem Versprechen schüttelte er mir die Hand. Der
Blonde aber blickte auf mich mit unverhehltem Unwillen. Ich
wünschte Beiden eine gute Nacht und begab mich in mein Zimmer.

Während ich mich unruhig von einer Seite des Bettes
auf die andere wälzte, um den Schlaf zu suchen, hörte ich
die kritzelnde Feder meines mörderischen Zimmernachbars
wüthend auf dem Papiere arbeiten. Endlich schlief ich ein.

Als ich am nächsten Morgen beim Frühstücke saß, klopfte
es an meiner Thüre und herein trat der Braune, mir einen
guten Morgen wünschend.

„Ist er geliefert?" fragte ich lachend.

„ Er ist hingegangen,wo kein Tag mehr scheinet," antwortete er.

„Mit der Gräte im Halse?" fragte ich.

„Nein !" erwiderte der Braune. „Ich muß um Verzeihung
bitten, daß ich von Ihrem freundlichen Rathe keinen Gebrauch
gemacht. Ich hatte mir's überlegt. Die Gräte sagte mir nicht
recht zu. Ich habe ihn auf dem Lande, wohin er mit einer
größern Gesellschaft einen Ausflug gemacht, auf eine eigen-
chümliche und wie ich glaube noch nie beschriebene Weise
umkvmnien lassen."

„Ich bin sehr neugierig, was Sie mit ihm angefangen,"
bemerkte ich.

„Ich habe ihn von einem Bienenschwarm todtstechen
lassen," sagte der Braune.

„Das ist in der That sehr pikant!" rief ich.

„Zwei Stunden kämpfte der Ungliickselige gegen die kleinen
beflügelten Mörder," sagte der Braune mit sichtbarem Behagen.
„Niemand vermag ihm zu helfen, Niemand seine entsetzlichen
Dualen zu verkürzen. Die Beschreibung seines Todeskampfes
lullt fast einen Druckbogen. Das wird das Publikum packen!"



„Ich zweifle nicht im Geringsten daran," erwiderte ich
und sagte ihm die süßesten Schmeicheleien in Bezug auf seine
mordlustige Phantasie. Er nahm meine Komplimente mit
sichtbarem Vergnügen auf. —

Aber das Interesse, das ich für die poetischen Kinder
meiner Nachbarn bekundete, war mein Unglück. Der Braune
ließ mir keine Ruhe mehr. Es verging kaum eine Stunde,
ohne daß er mir eine Todesnachricht brachte. Bald hatte er
ein Kind in einem Bache ertrinken und die Mutter desselben
ans Verzweiflung über den bittern Verlust freiwillig den Tod
in den Wellen suchen lassen; bald hatte er mir zu berichten,
daß so eben der Hauptheld eines neuen Romanes von seiner
eigenen Tochter erdolcht worden. Kaum hatte er mir erzählt,
daß der Liebhaber in einem Duell umgekommen, so benach-
richtigte er mich, daß in dem so eben beendigten siebenten
Kapitel eineFeuersbrunst ausgebrochen, die eine Masse interessan-
ter Personen dahingerafft. So oft meine Thüre aufging, wußte
ich, daß der Braune eintreten und mir eine Todesnachricht
bringen würde. Auch meine Nachtruhe war dahin. Denn
sobald ich einschlief, wurde ich von den fürchterlichsten Er-
scheinungen gequält. Die Geister der von meinem poetischen
Nachbar Erschlagenen beunruhigten meine Phantasie. Ich träumte
nur von erwürgten Vätern, von verbrannten Töchtern, von
ertrunkenen Müttern, von guillotinirten Jntriguanten und von
selbstmörderischen Liebhabern; und sobald ich erwachte, tönten
mir die alten Streitigkeiten über neue Mördthaten vom benach-
barten Zimmer aus ins Ohr. Das wurde mir am Ende doch
zu arg und ich beschloß, so schnell wie möglich auszuziehen.

Eines Morgens, nach einer moderduftigen Traumnacht,
packte ich in aller Eile meinen Koffer. Ich hatte noch lange
nicht meine Siebensachen in lederne Sicherheit gebracht, als
der Braune eintrat. Er war ganz erstaunt, mich ans diese
Weise beschäftigt zu sehen und fragte nach der Ursache.

„Ein Todesfall!" erwiderte ich seufzend.

Statt mir irgend eineTheilnahme zu zeigen, fragteer mit einer
unbeschreiblichen Kälte: „Ist der Todesfall merkwürdiger Art?"

„Höchst merkwürdiger Art," antwortete ich, indem ich
einige Paar alte Handschuhe als Füllsel in einen gähnenden
Winkel meines Koffers stopfte.

„Bitte, erzählen Sie," drängte der Braune.

„Sobald ich zurückkomme!" entgegnete ich, und steckte
ein Dutzend schmutziger Vatermörder in den unersättlichen
Rachen meines Koffers.

Der Braune empfahl sich. Einige Stunden darauf war
ich in einer neuen Wohnung. Den Braunen und seinen
blonden Freund habe ich seit jener Zeit nicht wieder gesehen.
Seit jener Zeit habe ich aber die feste Ueberzeugung gewonnen,
daß ein rauchender Ofen, eine knarrende Thüre, zwei zerbrochene
Fensterscheiben und ein hustender Nachbar mit drei rauchen-
den Oefen, sechs knarrenden Thüren, einem Dutzend zerbro-
chener Fensterscheiben und unzähligen hustenden Nachbarn
mnltiplizirt nicht halb so schlimm seien als ein poetischer
Nachbar, dessen Muse unermüdlich arbeitet, um auf die spitz-
findigste Weise die Kirchhöfe zu bevölkern.
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen