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Ein Brief Theobalds re.

kam, weiß ich noch nicht. Ein altes Weib und zwei Handlungs-
diener packten mich. Glücklicherweise waren die Jungen noch mit
j den Stepfein und Apfelsinen zu ausschließlich beschäftigt, und da
! ich so glatt geworden war wie ein Aal, so entwand ich mich
den Wüthenden. Der Censor mag's verantworten, sagte ich zu
ihnen, ich kann nicht dafür. Der Weg über die Linden war
mir verlegt. Es blieb mir nichts übrig, als die Linden auf
, der linken Seite entlang zu laufen. Schemel, Körbe, Tannen-
holz und dergleichen flog hinter mir drein; ich war glücklicher-
weise wieder unkenntlich geworden, gewann das Thor, und lief
j spornstreichs die Mauer entlang durch den Untcrbaum; und da
! nur der Himmel in dieser öden Thorgegend einen löchrigen Regen-
guß sandte, so wurde ich von meinen letzten Verfolgern befreit.
Es war ein wahres Fortün, daß ich auf dieser ganzen Thur
' keinem Schandarmen begegnet bin. Auf dieser letzten Abtheilung
; meines Wettlaufs lief ich nur einen alten Obersten in der
: Armeeuniform um; was von den Plebejern gefallen ist, zählt
in der Tragödie bekanntlich nicht mit. Einige Pferde machte
ich scheu; sie gingen durch. Was daraus geworden ist, weiß
ich nicht. Als mich meine Wirthin sah, ließ sie vor Schreck
den Fleischtopf in's Feuer fallen. Daß ich nach dieser hor-
renden Anstrengung sechs und dreißig Stunden an Zeit ge-
schlafen habe, wirst Du für keine Ostentazion halten.

Ich erwachte; meine Ressoluzion war gefaßt. Ich hatte
i inich rüdikühlisirt, hier hieß es sterben. Ich schliff meinen Dolch,

I ich wollte mich zu den Füßen der Diwina erstechen. Ich ließ
mir durch den Nachtwächter das Haus aufschließen, denn ich
hatte im Schornstein erfahren, daß sie erst spät in dieser Nacht j
- von einem Balle zurück kommen würde. Eine miserable Be-
dientenseele entdeckte mich. Ich wurde untersucht, und der Dolch
ward gefunden. Man erhob ein Halloh und sprach von Raub
und Mord. Mein Remonstriren half mir nichts, ich wurde
Zennfazonn nach der Stadtvogtei abgeführt. Ein hübscher
Ort mit einer schönen Gesellschaft. Ich trat ein und rief
in der Extase meine vom Censor gestrichene Proklamation aus:
Jeder der nicht anerkennt, daß Jenny Lind die größte un-
vergleichlichste Sängerin ist, daß ihre convoalirte Tonlage eine
Engelstimme ist, der ist ein Hundsfott, u. s. w. Einige Bursche
machten schlechte Witze auf meine Herausforderung, und da
ich weder Pistolen noch Degen bei mir hatte, so nahm ich
die Fäuste. Ich war in ein Wespennest hineingerathen, und
wenn nicht der Schließer auf den Rimör herbeigekommen,
so würde ich der Diwina eine Hekatombe erwürgt haben, und
wenn ich diese hätte mit meinem Leichnam bedecken müssen.
— O ich hätte ein Lion werden können ohne so viele Trüb-
sale erdulden zu müssen, und bin es doch nicht geworden!

Am andern Morgen ließ mich der Präsident holen, der mir
eine sehr humane und väterliche Vorlesung hielt. Ich wurde
entlaffen, nachdem ich mein Parohl donnör gegeben, mir weder
ein Leid anzuthun, noch der Künstlerin irgend wo und wie in

Der prasselnde Scheiterhaufen meines Enthusiasmus wurde
zu einer mild erwärmenden Glut. Im Anfang war ich fast
so unglücklich wie der Sais'sche Jüngling, und verstimmt
wie die hiesigen Bergmannsmusikantenhofkapellen.

Ich inußte meiner Activität ein neues Feld zu gewin-
nen suchen, denn das alte war mir verspalirt. — Ich konnte .
keine Oper mehr hören. Alles hätte mich an sie erinnert.
Ich stürzte mich in die Kontraste, aus dem verschleierten Ge-
sang in das unverschleierte Ballet, die Melodie losgelößt
von dem Wust der Harmonie. Ich war unschlüssig, für.,,
welche der weiblichen Huldinnen ich mich entscheiden sollte,
da erschien Fanny Cerrito. Ich ging nebenbei in die Con-
certe und hörte gelehrte Musik zu meiner Ausbildung. Doch
das nahm natürlich ein Ende, als Terpsichore, (NB. die
Göttin des Tanzes) vom Olymp herunterstieg.

Laß mich hier einen Momann abbrechen und das Wort
an Dich adressiren, geliebte Kuhsine. Ich will dazu beitragen,
Deinen Geschmack zu kultiviren und Dich für das Eßtheetische,
was das Erhabene und Schöne in der Kunst ist, empfänglich
machen. Ich schicke Dir hierbei eine Tschakotosche Klavier-
schule, die neuesten Potpourris aus Donizettis Opern, einige
Polkas und Supiers. Ihr habt ans dem Boden ein altes
Klavier, laßt es neu beziehen, und mit Hülfe des Kantors !
und eigener Applikation wirst du schon etwas lernen. Es .
sind lauter liebliche, süße, idyllische, kanipanellische, tarantel- .
lische, thranzendente, diwüne, magnifieke, züperbe Melodien,
die Einen im Ohr sitzen bleiben, wie die Kletten im Rock.
Kosten zehn Thaler im Ladenpreise. Rabatt wirst Du nicht
verlangen. — Schick mir bald das Geld, sie sind noch nicht
bezahlt. — Im Uebrigen .hoffe ich auf Deine Merzi's für
diese delicate Attenzion zur Elewazion Deines Gu. — Man
redet hier auch viel von Meyerbeer; aber der — ich würde
Mani sagen, wenn er nicht königlich preußischer Generalmusik-
direktor wäre, — ist mir zu gelehrt, zu profunde, wie man
besser sagt. Wenn er eine schöne Melodie hat, so legt er gleich
eine Menge gelehrter Kombinazionen darum. Den Rataplan
laß ich mir gefallen, aber da machen sie ein Aufheben von dem >
vierten Act aus den Hugenotten, und unter uns gesagt, der ist,
meiner Opingonn nach, gerade der schwächste, es geht nicht
einmal, tat ta, tat ta, taita ta oder titi dommtata titi domm-
tata immer nur rumm! ra re. — Uebrigens ist der Hof von
der Musik anschantirt, und Frau von Paalzow hat uns darin
instruirt, was einem loyalen Unterthan dezent ist; ich will deß-
halb nicht frühvohl sein und ihn admiriren, aber singen oder
spielen kann ich ihn nicht. Ein so guter Unterthan und dennoch
zensirt! Und da hat ein Professor einen großen Artikel über die
Hugenotten geschrieben! aber ich habe es nicht verstanden.
Uebrigens prenneh Garde vor den Zeitungsschreibern und Pro-
fessoren in Berlin, die suchen Einem bald Eins anzuhängen.
Solch ein Kerl hat mich einmal wegen der Entologie der
Fremdwörter in ein ungeheures Ambra versetzt, ich habe ihm
aber geantwortet, ich mache dergleichen Faxen mit Pistolen ab.

den Weg zu treten. Diese war indessen über jenes Evennemann,
von dem man in der Stadt allerlei gefaselt hat, unwohl ge-
worden, weßhalb sie längere Zeit nicht auftreten konnte. Dieser
Umstand trug dazu bei, mir mein Gelübde zu erleichtern.

worauf er zu examiniren aufhörte. Wenn Du nach Berlin
kommst, und hier sicher bist, daß kein solcher boshafter, ver-
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