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2H Gutes

Als nun der Schneider mit ausgespannten Armen und
einem feinen künstlerstolzeu Lächeln das faltenreiche Ehrenkleid
vor ihm ansbreitete nud die Sonne spielen ließ auf der spie-
gelglatten Appretur desselben, da lachte der Martin mit dem
ganzen Gesichte, und wandte sich, um mit beiden Armen zu-
gleich hineinzufahren, in die verklärende Hülle, durch die er
sich als die Zierde aller Hausknechte in Glurns und Mals,
ja sogar bis Nauders auf- und bis Meran abwärts zu be-
trachten vollkommen berechtiget war.

Doch siehe da: seine Arme konnten nirgends unterschlüpfen,
er fand keine Oeffnung, und sagte endlich: „Habt Ihr mir etwa
die Armlöcher zugenäht, daß ich nirgends durchkomme?"

Ter Schneider dagegen fragte nicht ohne einige Ueber-
raschung: „Armlöcher? — Mit Erlaubniß, ich habe nie ge-
hört, daß man Armlöcher macht, wo keine Aermel sind,"

„Ja, — was? — Hat mein Mantel denn keine Aermel?"
„Nein er hat keine," entgegnete dem Berblüffteu der Meister
mit vielem Gleichmnth. Desto ungeberdiger schrie der andere!
„L du verwunschener Geisbock, warum hast du keine Aermel
gemacht? Da möchte einer doch gleich vor Galt und Aerger
aus allen neun Häuten fahren!"

„Das Zeug reichte nicht dazu — und weil Ihr nicht ex-
presse Aermel begehrt habt, machte ich eben keine, was auch die
neueste Mode ist."

„Wie, — nicht genug Tuch hättest du gehabt? — Lüg',
Schneider lüg'! Die Hälfte davon hast du in die Hölle fallen
lassen, sechs Aermel könnte der Mantel haben, wenn du mich
nicht über's Ohr gebaut und sechs Hosen für deine Buben
daraus gepfuscht hättest!"

Bei diesen ehrenrührigen Reden stellte sich das Meisterlein
aber auch auf die Beine und schüttelte mit großem Jngrimme
solche Zumuthungeu von sich ab, und nach langen, erläuternden
Herzergießungeu forderte erden ergrimmten Hausknecht heraus,
ihm zu beweisen, daß mau aus dem eingehändigten Zeuge
einen Mantel mit Aermel hätte machen können,

„Recht muß sein, —- das Gericht soll entscheiden", schloß er,
„und wir werden sehen wer den Kürzern zieht." —

„Ja, das werden wir sehen. Ich will meinen Mantel mit
allen zwei Aermeln oder gar keinen", trotzte der Rößl-Martiu,

In der Tbat stund am nächsten Gerichtstag der Letztere
vor dem Bureaugitter des Herrn Landrichters, legte ihm den
Mantel in einem Kissenüberzug mitten hin auf die Akten und
sprach dazu: „Gnaden Herr Richter, ich thät halt schön bitten,
daß Sie mir sagen, ob mein Mantel nicht zwei Aermel haben
muß, wie sich's gehört, und ob der Schneider-Paukraz nicht
den Prozeß verspielt?"

Darüber getraute sich aber bei all' seiner Gelehrsamkeit der
Beamte dennoch kein Urtheil ex abrupto abzugebeu, nahm
indessen hergebrachter Maßen den Rößl-Martin und aus dessen
ausdrücklichen Wunsch auch seinen Mantel zu Protokoll und ver-
sprach die Streitsache zu ihrer gehörigen Entscheidung zu bringen
sofort ward auch der Meister Pankraz vorgeladen und seine

Recht,

Angaben eines Breiteren zu Papier gebracht, darauf wiederum
der Martin verhört, und nach ihm noch einmal der Schneider, bis
es endlich hieß, man müffe bei dem in praxi niemals vor- J
gekommenen Falle Sachverständige zu Rathe ziehen.

Vergeblich hatte bisher der Rößl-Martiu in allen Winkeln
gelauert, ob er nicht an einem der Pankrazischeu Sprößlinge
die Aermel- seines Mantels in Gestalt eines Hösleins oder
Wämslcius erspähen könne; vergeblich selbst den Lehrbuben
mit einer Halben Wein bestochen, bezügliche Audentungeu über
die Fehlschnitte seines Meisters zu geben In dieser Beziehung
ging Paukratins im ganzen Wortsinn fleckenlos aus dem
Kampfe hervor.

„Recht muß fein," sprach dieser würdige Glurnser Bürger,
„aber mit zehn Ellen Tuch macht mau keinen Toppelrad-Man-
tel mit Aermeln," — Die zwei vorgerufenen Schueidermeister
nickten ihm stummen Beifall, und meinten, „Gnaden Herr-
Richter verstehen es vielleicht besser, aber wir müsicu erklären,
dieses Kunststück ginge über unsere Begriffe,"

Somit wäre Pankraz gerechtfertiget gewesen, aber der Haus-
knecht ließ es dabei nicht bewenden. Er begehrte neue Kom-
missionen, neue Schiedsmänner, — Sieben Schneider, das
ganze Zunftkollegium im Gerichtsbezirk, wurden aufgeboten,
mit ihrem Werkzeuge im Richthause zu erscheinen, man ver-
sperrte sie in's Archiv, gab ihnen das Oorpas delicti, und
nun sollten sie judicireu wie's um die Aermel desselben stehe.
Nach reiflichem Erwägen zertrennten sie den Mantel, und
maßen nun Stück um Stück, — Da fehlte — eine ganze Elle
von den zehen! Triumph, der Hausknecht und die Justizia
siegen, der Schneider und die Welt gehen zu Grunde! — Doch
halt; Rekurse, Einwürfe, Revisionen! —Noch zwei Meister
von Nauders, ferne her, werden berufen. Sie besehen mit
scharfen Brillen den zertrennten Mantel, — die sieben Weisen
vor ihnen haben die Nähte-Umschläge auszubügeln vergeffen,
— es geschieht, man mißt abermals, und es fehlt kaum eine
drittel Elle. — Wo ist der Schneider, der aus einem Drittel
Tuch ein Paar Aermel macht? — Pankraz ist nun abermals
glorios gerechtfertiget.

Unterdessen war der Winter vorüber und Martin immer
ohne Mantel umhergegangeu. Nun konnte er desto leichter
appelliren, Advocaten wurden angenommen, der Mantel nach
Innsbruck geschickt, und wir zweifeln nicht, daß er nach Wien
reisen wird, um Gungels Urtheilsspruch unterlegt zu werden
An dreißig Gulden hat das Prachtstück gekostet, die Prozeß-
kosten haben die Hunderte schon überstiegen, — zwei Bintsch-
gauer Winter hindurch fror der Rößl-Martin ohne Mantel; —
doch, — sei's drum, — „gutes Recht muß sein", sagen die
Glurnser, — und so erwartet er gesrorneu Leibes den Aus-
sprach der höchsten Instanzen bis auf den heutigen Tag.

I. F. Leutner.
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