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Ein Bild aus Rußland.

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Leise betend sinkt

Marina nieder. Dann gestärkt erhebt
Sie sich und bietet ihre Hand dem Grafen:

Fahrt wohl. Wasil — ich hatte Schön'res mir

Noch heut geträumt — es soll nicht sein — fahrt wohl!

Und er. entzündet von des Mädchens Wort.

Versetzt: Der Zwang des Lebens hieß mich schweigen.

Der Tod lös't mir das Siegel von den Lippen.

Eh' wir zusammen dort hinüber geh'n.

Vernimm das eine Wort, das Jahre lang
Ich heimlich in verborg'ner Seele trug:

Ich liebe dich. —

„Ich Hab' Dich längst geliebt!"

Und weinend bricht sie ihm im Arm zusammen.

So stehn sie. Arm in Arm. dem dräu'ndcn Tod'

Jn's Auge blickend. Leise sinkt die Welt _

Mutter und Kind.

Je ärmer die Leute im Gebirge oft sind, desto größern
Werth setzen sie in den Besitz von Kindern. Ich rede hier nicht
von dem fahrenden Volk, den Dörchern und Laningern, die in
ihrem elenden Grotten und im Rückkorb sieche Würmlein mit sich
führen, deren Dasein ihnen und den Armen selbst eine Last ist;
ich meine jene ehrlichen Leute, die in irgend einem Dörflein eine
alte Hütte, ein schmales Aeckerlein, eine Geis oder wenn's hoch
kömmt eine Kuh besitzen, und nebenzu im harten Taglohn ihr
Brod und ein paar Kreuzer für des Kaisers Steuer verdienen.
Es wird jeder Bauer reich, der viele Kinder hat. weil er dann
die theuern Dienstboten in der Wirthschaft ersparen kann; bei
den armen Leuten geht's nun wohl nicht so schnell, doch der Ver-
dienst mehrt sich mit jedem paar Hände, ist auch gleich Anfangs
ein Magen mehr umsonst zu stillen; und wenn der Eltern ab-
gemühte Knochen mürbe werden, sind hinwieder die starken der
Kinder da. die desto ergiebiger schaffen. Man hört auch
äußerst selten, daß solche Leute ein Kind an Fremde abgeben,
selbst wenn sie für den Augenblick dadurch sehr erleichtert würden.
Sie sagen, es ist nur die ersten Jahre etwas übel, später muß
der Bube sich die Suppe selbst verdienen mit Hüthen, und das
Mädel ist gut zur Kindsdirne bei dem nächsten Brüderlein. —
Zur natürlichen Liebe. die solche Eltern für ihre Kinder hegen,
gesellet sich noch die Werthschätzung ihres Besitzes als eines Ka-
pitals. von dem sie steigende Zinsen erwarten. Das klingt nun
freilich sehr eigensüchtig, aber dennoch so menschlich, und bei diesen
Menschen bedarf es auch zäherer Bande als die des Herzens und
Blutes, in ihren Augen sind jene nicht weniger gut und gerecht-
fertiget als diese. Es thun die Kinder darum nicht weniger
für die Eltern und diese nicht für jene.

Da weiß ich von einem armen Weibe in Paffeier, einer
Wittib, die lebte als Böthin dort mit zwei Kindern. Ihr
Mann hatte ein baufälliges, kleines Häuslein in St. Martin
und einen Fleck Wiesgrund am Berg, davon er kaum eine
Geis zu halten vermochte; seines Handwerks war er ein Mau-
rer und brachte sich bei vieler Roth ehrlich und zufrieden

Zusammen hinter ihnen wie ein Traum.

Und Gottes nur und ihrer Liebe denkend
Betreten sie im Geiste schon die Schwelle
Der stillen Ewigkeit.

Da horch ein Schuß!

Und noch ein Schuß, und lauter Jägerruf!

Und Fackelschein, der durch die Ritzen dringt!

Die Thüre füllt. Es ist der Fürst, ihr Vater.

Der seine Tochter sucht. Der Rosse Spur,

Ihr Blut hat ihn geleitet. Jubelnd, schlingt
Er seine Arme um die Todtgeglaubte.

Und willig segnet er den schönen Bund.

Den für den Tod geschloff'nen. für das Leben.

Emanuel Geibel.

durch. Als sein Bube erst fünf Jahre alt ward, vertröstete
er das Weib auf beffere Zeiten, denn nun müffe der Ander!
bald hüten gehen, und dafür bekomme er ■ zu der Kost noch vier
Gulden Lohn und ein würchenes Hemde. — und wäre er dann
wieder um fünf Jahre älter, dann könne er da Handlangern, wo
der Vater maure. und nebenzu das Webern lernen von seinem
Taufpathen. Das waren freilich schöne Pläne, der Maurer-Krust*)
sollte ihre Erfüllung aber nicht erleben. Er that einmal einen
bösen Fall, zersprengte sich etwas „inwendig" wie die Leute sagen,
und starb in wenigen Stunden. Seiner Wittib blieb das ärmliche
Hcimatl, der fünfjährige Ander! und das einjährige Annele nebst
der magern Geis. Nun sann das Weib auf einen nachhaltigen
Erwerb für sich, der ihr nebenbei noch erlaubte, ihres eigenen
Hauswesens und ihrer Kinder zu pflegen. Sic ward also „Eier-
tragerin." das will sagen Böthin, welche an bestimmten Tagen
nach Meran, der „Stadt" der Paffeier wandert, beladen mit
Eiern. Schmalz. Butter und andern Lebensmitteln, welche ihr
die Bauersleute des Thales anvertrauen, und mit denen sie dann
in dem Städtlein hausiren geht. Nach Jahreszeit und Wetter, nach
Weg und Steg darf so eine Eiertragerin nicht fragen. Ob die
Paffer auch die Pfade verschwemmt und die halben Brücken
vertragen hat. ob es fußhohen Schnee geworfen oder vom Him-
mel gießt, daß alle Lahnen abgehen. — sie muß um zwei
Uhr Morgens aufbrechen und die vier guten Wegstunden rüstig
herausschreiten, damit sie den Kundschaften den erwarteten Be-
darf rechtzeitig in die Küche liefere.

Als Tragerlohn und Nutzen von der Handelschaft be-
kömmt sie von den Bauern zwei Kreuzer vom Pfunde; die
Meraner Hausfrauen reichen ihr nebenzu ein Glas Wein zur
Herzstärkung und ein Paar! Vintschgerbrod.**) Damit mag
sie heimwandern und etwa des Abends sich einen Löffel voll
warme Suppe kochen. Ihr reichlichster Gewinn besteht darin,
wenn sie bisweilen den geistlichen Herren ein Bücherpacketlein

*) Kruste — Christian.

**) Zwiebackartige Brod scheiben, deren zwei immer zusammen-
gebacken sind, im Vintschgau und Etschlande üblich.
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