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74 Die Geschichte vo

müssen mehr oder minder alle in Erfüllung gehen; aber
freilich wer da meint, er dürfe nur wünschen, und die ge-
bratenen Tauben fliegen ihm von selbst in den Mund, der
soll nicht sagen, daß ihn das Sprichwort belogen habe, denn
der betrügt sich nur selbst. Der Traumpeter war auch ein
solcher, der mehr wünschte als handelte, mehr träumte als
klar dachte; im Kirchcnbuche hieß er Peter Paul Müller,
aber Traumpeter nannte ihn die ganze Stadt, sowie ihn
sein erster Schullehrer treffend benannt hatte; denn schon aus
der Schule unterschied er sich von den andern Knaben aus
mancherlei Art. Keine zwei Stunden konnte er im Schul-
zimmer sitzen ohne einzuschlafen, und er mochte schlafen oder
wachen, so träumte er; die Folge davon war, daß er nur sehr
wenig lernte. Sobald er übrigens so geläufig lesen konnte,
daß er das Gelesene verstand, las er fast eben so viel als er
träumte; wo er immer ein Geschichtenbuch auftreiben konnte,
haschte er mit aller Gier darnach, und legte es nicht eher
bei Seite, als bis er zu Ende gelesen hatte, worauf er mit
geschlossenen Augen die ganze Erzählung selbst zu durchleben
versuchte. Märchen waren seine Lieblingslektüre, und wenn
fich eine schillernde Schlange in eine schöne Prinzeffin oder
ein biffiger Eber in einen gewaltigen Fürsten verwandelte, da
wähnte er immer, es müsse mit ihm einstmals auch eine große
Wandlung Vorgehen, und es stecke in ihm mindestens ein ge-
fetzter Graf oder Prinz, und er freute sich dabei auf den Tag,
an welchem irgend ein guter Geist ihn befreien würde. Bon
jener Stunde an sollte der Vater keine Kleider mehr machen
dürfen, sondern in goldgestickten ordenreichen Gewändern ein-
hergehen und am Hofe ein Hofamt bekleiden, und nichts thun
so wie die andern großen Herren, und die Mutter sollte nicht
mehr kochen und waschen dürfen, sondern in Sammt und
Seide gekleidet sein, und Bediente und Mägde haben, die alle
Arbeit verrichten. An sich selbst dachte er bei solchen Träu-
mereien am allerwenigsten, denn er war von Grund der Seele
ein guter Junge, und er wollte nur reich und mächtig sein,
um Andere zu beglücken.

Als der Knabe aus der Schule gekommen war, nahm
ihn sein Vater zu sich in die Lehre und wollte ihn zu einem
tüchtigen Kleiderkünstler, was er selbst zu sein glaubte, heran-
bilden ; aber der Junge konnte seine alten Gewohnheiten
nicht lasten, und verdarb durch seine Träumereien so viel beim
Nähen, daß sein Vater bald zur Einsicht gelangte, daß Peter
viel zu dumm sei, um die Schneiderei jemals zu erlernen.

Er schickte ihn deshalb in die lateinische Schule, um ihn
studiren zu laffen. Hier war er nicht der einzige, der in
phantasüschen Träumen Erholung suchte; denn die trockne Er-
lernung todter Formeln hatte manchen lebhafter begabteren
Knaben aus Eckel zum Träumer gemacht. Peters Wünsche
waren aber von jetzt an auf ein bescheideneres Ziel gerichtet.
Seine ärmlichen geflickten Kleider, verglichen mit denen seiner
meisten Schulgenoffen, machten ihm manchen herben Schmerz,
und wenn die Andern von den angenehmen Verhältnisien ihrer
wohlangesehenen Familien sprachen und von den reizenden
Büchern und den andern schönen Dingen, die sie nicht selten
von Vater, Oheim oder Pathen zum Geschenk erhielten, da
hielt er sich für sehr unglücklich, und es beschlich ihn gar oft
der Wunsch recht reich zu sein, und er träumte viel von
gefundenen Schätzen und von dem Glücke, das er damit um

m Traumpeter.

sich verbreiten mochte; für sich wollte er nur wenig brauchen,
nur eine schöne reichhaltige Bibliothek wollte er sich anschaf-
und dann lesen nach Herzenslust.

Hinter seines Vaters Häuschen, das an der Stadtmauer
lag, war ein kleiner Garten ; dort fand man ihn manchmal
in der Dämmerung lange Bohnenstangen in die Erde stoßen,
und unter seltsamen Beschwörungssprüchen, die er in den
Spieß'schen Ritter- und Gespenstergeschichten aufgeklaubt hatte,
nach Schätzen suchen. Ein jeder Widerstand, den die Stange
im Boden fand, erfüllte ihn mit ängstlicher Freude; aber die
Enttäuschung folgte nur zu bald, so daß ihm gar oft vor
Aerger die Thränen über die Wangen rollten.

In der Schule machte er so geringe Fortschritte, daß
er am Ende des Studienjahres in allen Gegenständen mit
Auszeichnung der Letzte wurde, und den guten Rath erhielt,
freiwillig auszutteten. Sein Vater gab ihn hierauf einem
Spezereikrämer in die Lehre, und er mußte nun Düten machen
und Zucker und Kaffee abwiegen und hatte am Tage keine
Zeit übrig zum Lesen, und in sein Schlafftübchen bekam der
arme Schlucker ein Lichtstümpchen mit, das kaum eine halbe
Stunde lang brannte. Sein Prinzipal war ein gesttenger
Herr, und Peter gezwungen, manches Nützliche zu lernen. Er
wurde in die Rechenkunst, die ihm bis jetzt ein geheimniß-
volles Nebelland gewesen war, eingeweiht, und gewann Liebe
zu ihr; Regel de tri und Jnteressenrechnung wurden ihm
sogar zum Zeitvertreib, denn sein Herr hatte ihm begreiflich
gemacht, daß man diese Rechnungen kennen müsse, um reich
zu werden und zu bleiben. Und Millionär zu sein war jetzt
sein einziger Wunsch. —

Einen besonderen Reiz für ihn hatte die Verfertigung
der Düten, wozu hauptsächlich Lotterielisten verwendet wurden;
und wenn ihm früher Zahlen verhaßt waren, so hatten sie
jetzt, zumal in den räthselhaften Zusammenstellungen, eine fast
magnetische Anziehung für ihn. Bald nahmen auch seine
Träume diese Richtung an, und er schlief mit Nummern ein
und wachte mit ihnen auf, und bald sah er mit gespannter
Erwartung den Ziehungen entgegen, obwohl er noch niemals
Geld zum Setzen gehabt hatte. Kamen nun in einer Reihe
von Ziehungen nicht eine einzige jener Zahlen, die er ge-
träumt hatte, so beachtete er dieses nicht; hingegen erzählte er
aller Welt davon, wenn von fünf oder sechs geträumten
Nummern wirklich einmal die eine oder die andere gezogen
wurde, und er hielt sich dann für doppelt unglücklich, weil
er nicht setzen konnte. Doch auch diese Stunde kam bald genug
heran, zur Zeit nämlich, als er freigesprochen wurde und von
nun an einen kleinen Gehalt bezog. Fast seine ganze Ein-
nahme wanderte in die Lotto-Collekten, die er bei jeder Zieh-
ung wechselte, in der Meinung, er gewinne nur deßhalb nicht,
weil er die chm günsttge Collekle noch nicht ausfindig gemacht
habe. An den Ankauf von Büchern, einstmals seine einzige
Sehnsucht, wollte er erst gehen, wenn er einmal ein Terno
gewonnen haben würde.

Nur eine Art von Büchern ließ er sich schon jetzt nicht
entgehen, es waren jene sinnlosen Büchlein, die aus den
Träumen der Menschen Ziffern herausfinden, welche im shm-
pathettschcn Zusammenhänge stehen sollen mit jenen, welche
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