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Die Geschichte vom

aus dem Glücksrade gezogen werden. Ein Jahr ging vorüber,
ohne daß Peter einen Heller gewonnen hatte; doch blieb seine
Hoffnung aus Gewinn unerschüttert. Ost glaubte er dem Ge-
winne nahe gewesen zu sein und eigenem Unverstand Schuld
geben zu müssen, wenn die von ihm gesetzten Nummern um-
gekehrt kamen, oder wenn er zum Beispiele drei Ziffern setzte,
und die Ziehung brachte zufälligerweise die drei nächstfolgen-
den. Für den ersten Moment dadurch außer Faffung gebracht,
war,am neuen Ziehungstage Verlust und das Gelübde des
Stimmersetzens, das er im ersten Unmuthe oft gethan hatte,
längst ivieder vergessen, und beim Nachdenken kam er iminer
zu dein nänllichen Resultate, daß seine 4 Stummer» eben so
gut kommen können, als andere, und er kam nicht zur Ein-
sicht, daß dieselbe Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit für viele
tausend Zusammenstellungen sich ergäbe. Die Nächte, welche -
den Ziehungstagen vorausgingen, gab er sich den süßesten
Träumereien hin, und er betrachtete seinen Gewinn für so
sicher, daß er sich die Verwendung desselben bis auf die-klein-
sten Summen ausdachte. Jedoch sollte der erste Gewinn nicht
mehr als die Grundlage seines künftigen Glückes sein, und
hauptsächlich zum Ankauf von Loosen in ausländischen Lot-
terien verwendet werden, in denen er mehr gewinnen zu können
glaubte. Auf die Weise kam er nun nicht dazu, und doch
entging es ihm nicht; denn als seine Eltern kurz nach einander
von der Erde schieden und er etliche tausend Gulden erbte,
da stand es fest bei ihm, sein Glück außer der Zahlenlotterie,
die er von nun an im größern Maßstabe betreiben wollte, !
auch bei einem ausländischen Classenlotto zu versuchen, und
unter die Thränen des Schmerzes um die geliebten Heim-
gegangenen mischten sich jene der Freude, die er bei der Ue-
bernahine der Erbschaft empfand. Seinen Prinzipal verließ
er und nahm sich eine eigene Wohnung; ohne Beschäftigung
wurde er allmählich aller Arbeiten entwöhnt. Hatte er üb-
rigens früher nur Kreuzerweis ins Lotto gesetzt, so ging es
j jetzt in die vielen Gulden, und je mehr er dabei von seinem
Vermögen zusetzte, um so mehr wollte er gewinnen. Aber
wer niemals etwas gewann, das war der Traumpeter: denn
das kann man doch wohl keinen Gewinn nennen, daß er 30
oder 40 fl. setzte und dafür manchmal ein Ambo von 9 oder
18 fl. machte. Ein solcher scheinbarer Gewinn hatte noch
überdieß die schlimme Folge für ihn, daß er dadurch zu neuen
vergrößerten Sätzen erniuthigt wurde. —

Da er gar keine Erwerbsquellen hatte, so mußte sein
kleines Vermögen auf diese Weise zusehends geringer werden,
und es blieb ihm nicht verborgen, als seine Erbschaft auf das
Viertheil zusammengeschmolzen war. Er sah es kommen, daß
er, wenn das Glück ihn nicht in Bälde begünstigte, arm wie
ein Bettler sein würde, — und hatte er bis jetzt geklagt,
daß seine Eltern tobt seien und an seinem zukünfttgen Glücke
nicht mehr Theil nehmen können, so war es nunmehr bei-
nahe schon eine Beruhigung für ihn, sie von diesem zweifel-
haften Kampfe mit dem Spielgotte frei zu wissen. Aber noch
verzweifelte er nicht, und setzte bedeutende Summen in die
Frankfurter und Hamburger Lotterien. Seinen fünfundzwan-
zigjähttgen Geburtstag hielt er für einen Tag von aus-
nehmend guter Vorbedeutung; an ihm wollte er den letzten
Hauptschlag vollführen, er wollte das Spielglück erzwingen.

In der Nacht vorher hatte er alle möglichen Träume j
gehabt, und seine Traumbücher gaben ihm am Morgen die ;

Traumpeter.

dazu gehörigen Ziffern; er setzte in alle Collekten der Stadt,
Vieles aus vielen Zetteln, Alles was er hatte, bis auf seine
Möbeln und Kleider, die er verpfändete. Gewann er nicht,
so war er bei seinen geringen Kenntnissen und seiner Arbeits-
scheu ein Mensch, der der Gemeinde zur Last fallen oder ver-
hungern mußte. Seinen Geburtstag und die darauf folgende
Nacht verbrachte er in verzehrender Aufregung. Er schloß
sich in sein Zimmer ein, und fastete und betete auf den Knieen
liegend mit glühender Inbrunst, und der Refrain aller seiner
Gebete war: und wenn du mich nicht reich machen willst,
guter Gott, so gib mir doch mindestens das wieder, was ich
einstmals mein genannt, nur das, und ich will nicht mehr
setzen und besser werden. — Die heftige Aufregung zog ihm
ein Fieber zu, aber er blieb auf seinen Knieen liegen die
ganze lange Nacht und den Morgen bis zur Stunde, die ihm
Glück oder Unglück bringen sollte. — Es klingelte. — Er
erschrack heftig und sprang auf. Der Postbote brachte Briefe
von Frankfurt und Hamburg. Sie enthielten die Nachricht,
daß er nichts gewonnen habe, nebst einigen mit Glückwünschen
verbundenen Anerbiemngen für die nächsten dortigen Zieh-
ungen. Mit gläsernem Auge überlas er die Zeilen, und
keine äußere Bewegung zeigte, wie heftig sein Inneres er-
schüttert wurde. Seine Kniee waren vom langen Knieen
wund geworden, aber er schien nichts davon zu fühlen, denn
er warf sich wieder darauf und betete wieder und that Ge-
lübde für die Gotteshäuser und für die Armen und für sein
eigenes Leben. Und abermals klingelte es und ein Knabe
trat herein, den ihm ein Collekteur mit den Stummer» zuge-
schickt hatte. Bebend am ganzen Körper entriß er dem Kna-
ben die Tafel, worauf sie verzeichnet standen, überlief sie
mit den Augen, besann sich und überlief sie wieder und wieder,
und stürzte sich endlich, einen unartikulirten gellenden Schrei
ausstoßend, zuni Fenster hinaus.

Seine Wohnung war im zweiten Stockwerke, und der
Fall auf das harte Steinpflaster hätte ihm leicht den er-
wünschten Tod bringen können. Bewußtlos lag er auf der
Sttaße, die mit seinem Blute bespritzt war, und im Nu hatte
sich eine große Menschenmenge um ihn versammelt; auch ein
Arzt kam bald hinzu, der ihn in sein Zimmer tragen ließ.
Als er aber dort nichts fand, als ein Bett, einen Tisch und
einen Stuhl, und Stiemanden, der ihn hätte pflegen können,
ließ er ihn, nachdem er durch einen Aderlaß ihn ins Leben
zurückgerufen hatte, ins Krankenhaus bringen.

Peter hatte außer einigen äußerlichen Wunden beide
Beine gebrochen, und redete irre. Der Beinbruch wurde in
einigen Monaten geheilt, aber aus dem Krankenhaus wurde
er unmittelbar ins Irrenhaus gebracht. — Wer noch vor
wenigen Jahren dort vorüberging, konnte hinter einem ver-
gitterten Fenster einen Graukopf benierken, der die Vorüber-
gehenden freundlich zu sich wintte, und wenn man hinzuttat,
kleine Zettelchen herabwarf, die mit Ziffern beschrieben waren.
Das war der Traumpeter oder vielmehr Peter Paul Müller,
wie nunmehr außer dem Kirchenbuche auch sein Grabstein
besagt.

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