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170

Der Schneider von Ulm.

Handgemenge wurde. Joseph hakte nämlich wiederholt verge-
bens versucht, den ungelehrigen Gegnern einen Begriff beizu-
bringen von seiner Kunst zu fliegen. Er wurde unter Hohn
und Spott überschrieen.

Ta gingen ihm der Athem und die Geduld gleichzeitig aus.
Er griff wüthend nach seiner vollen Kanne und schüttete ihren
ganzen braunen Inhalt blitzschnell dem ärgsten Schreier ins Geficht.

„Wenn du mich nicht verstehen willst, so gieß' ich dir's mit
dem Nürnberger Trichter an deinen harten Maserkopf."

Diese Worte waren noch kaum heraus und die kecke That
vollbracht, da fuhren die alliirtcn Schneider wie schwärmende
Bienen in die Höhe, und eh' man richtig drei zählen konnte,
hingen Alle in einem schwarzen Knäuel an dem Mittelpunkt ih-
res Hasses. Das vielköpfige Ungethüm wälzte sich der Thüre zu,
und im nächsten Augenblicke lag Einer draußen, den wir Alle
kenne». Allein wir wollen seinen Namen verschweigen, und es
machen wie die Nacht, welche seine Niederlage schonend verhüllte.

Er stand bereits wieder auf den langen Beinen, als die
Jungfer Schwester mit einer qualmenden Oellampe erschien, um
ihn in das Schlafgemach zu führe», wo er sich weicher betten
konnte, als hier auf dem ungefegten Pflaster.

Der Schlaf und Annamarie wußten das verkannte und miß-
handelte Genie leicht zu trösten. Und wurde nun auch des so-
! genannten tollen Schneiders luftiges Vorhaben allmählich die
Zielscheibe aller guten und schlechten Witze zu Ulin, er ließ sich
an Verfolgung seines abenrheuerlichen Planes nicht irre machen,
und seine Flügel wuchsen von Tag zu Tag sichtlich der Vollen-
. düng entgegen.

3.

,,Ihm schwellt die Drust der kühne Muth,
Hoch über Alpenschlünden,

Hoch über breiter Meere Fluch
Die neue Welt zu finden."

Von einem Unbekannten.

Die Flügel waren fertig und dadurch unser Schneider flügge
geworden. Der Schlosser hatte ein wahres Meisterstück gelie-
fert. Denn obgleich jeder derselben über sieben Fuß läng, und
ausgespannt am Schultertheile fast vier Fuß breit war, so wa-
ren sie doch nicht schwer zu nennen. Sie wurden an den Schul-
tern und Armen festgeschnallt. Da, wo die Hand des ausge-
streckten Armes zu liegen kam, war der Vereinigungspunkt der
dünnen Eisenschienen, welche sich eng an einander legten, wenn
man die Hand zusammenzog. Oeffnete man diese wieder, so
ging auch das Gerippe wie ein Regenschirm auseinander, und
die Flügel waren ausgespannt.

Es war demnach Alles in Ordnung, und es fehlte gar
nichts mehr, als durch einen öffentlichen Flug zu beweisen, daß
die neue Erfindung mehr als ein lächerliches Hirngespinnst sei.

Als Joseph und Annamarie eben sich die Köpfe zerbrachen,
wie dieses anzufangen wäre, drang die frohe Neuigkeit von dem
bevorstehenden Besuche des Königs von Würtemberz, welche be-
reits die ganze Stadt in freudige Bewegung setzte, auch in ibr
stilles Dachkämmerlein.

Ulm war erst im vorigen Jahre würtembergisch geworden,
und König Friedrich geruhte nun voll landesväterlicher Huld, in
allerhöchstcigener Person sich seinen guten Ulmern zu zeigen, die
ob dieser hohe» Ehre voll Stolz und Freude außer sich an nichts mehr
dachten, als wie sie den königlichen Gast auf's würdigste in ih-
ren Mauern empfangen und unterhalten wollten.

Das war der rechte Augenblick, wie er nicht erwünschter
hätte kommen können. Joseph, ermuthigt durch den Zuspruch
der treuen Annamarie, faßte sich ein Herz, zog seinen Blauen
an und ging auf das Rathhaus. Er ließ sich beim Herrn Bür-
germeister melden, und wurde schon nach anderthalb Stunden
vorgelaffe». Indessen hatte er Zeit genug gehabt, reiflich dar-
über nachzudenken, wie er sein Anliegen am besten an den Mann
bringen könnte. Er setzte sich eine ganze Rede zusammen, und
war überzeugt, daß in diesen Hallen niemals eine feurigere ge-
sprochen worden sei, als er vorzutragen gedachte. Allein da er
jetzt vor dem gestrengen Herrn Bürgermeister selbst stand, setzte
sich ihm der dumme Respekt gerade auf die Kehle, und unter
Stottern und Stammeln that er in abgebrochenen Worten ge-
horsame Meldung von seiner Erfindung, und daß er zu Ehren
des Herrn Königs von Würtemberz und der getreuen Stadt
Ulm seinen ersten feierlichen Probeflug vom hohen Münster-
thurm aus zu machen erbötig sei.

Der Kerl ist verrückt, dachte sich der Bürgermeister. Weil
ihm jedoch der sonderbare Bittsteller als ein eben so gutmüthi-
ger wie komischer Narr erschien, so ließ er sich zum Spaß in
ein förnrliches Gespräch mit dem adlernasigen Burschen ein, um
dessen Tollheit gründlich zu genießen.

Diese freundliche Herablassung gab dem armen Joseph all
seinen Muth wieder, und er brachte nun wirklich die ausge-
dachte Rede in so überzeugendem Tone vor, daß die lächelnde
Miene des Bürgermeisters allmählich ein nachdenkliches Ausse-
i hen gewann.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Schneider von Ulm"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Stauber, Carl
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Gerechtigkeit <Motiv>
Schneider
Nachdenklichkeit
Bürgermeister
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Justitia <Fiktive Gestalt>

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 3.1846, Nr. 70, S. 170
 
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