Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
178

Der Schneider von Ulm.

seines hohen Fluges sein. Schneider! ich frage euch, können
wir unfern Joseph an seinem Ehrentage vom Rathhause bis
zum Münster wie einen Schneider laufen lassen? Nein! das
können Schneider nicht! Im Triumphzuge wollen wir uns
ihm anschließen, und indem wir ihn zu verherrlichen scheinen,
mehr uns selbst verherrlichen!"

Ein donnerndes Bravo unter dem Klirren aller Krüge und
Gläser war daS freudige Echo dieser Rede des hochherzigsten
Schneiders. Es wurde auf der Stelle eine Deputation an Jo-
seph erwählt, und zu deren Vorstände natürlich der ehrenwerthe
Redner. Ohne Säumen traten die Männer deS Vertrauens
ihre ehrenvolle Sendung an.

Wer vermöchte den Jubel zu beschreiben, der die Herberge
erschütterte, als schon nach einer halben Stunde die Thür sich
öffnete und Joseph mit seiner Annamarie am Arme, umgeben
von der Freude strahlenden Deputation, lächelnd eintrat!

Das Händedrücken, Küssen und Zutrinken wollte gar kein
Ende nehmen! Und welch eine ganz andere Zuhörerschaft
fand heute Joseph, als an jenem Abend, an welchen wir lie-
ber gar nicht mehr erinnern wollen.

Der junge Adler — so nannte ihn nämlich jetzt die Schmei-
chelei seiner Kollegen — der magistratisch konzesfionirte Adler
schwamm in Vergnügen, und konnte trotz dem Zupfen der Anna-
marie in der Freude seines Herzens nicht umhin, einen Thaler
um den andern zum allgemeinen Besten springen zu lassen.

Nachdem tausenderlei geftagt und geantwortet und der Festzug
verabredet war, wurde auf eine zweite feurige Rede des bekann-
ten hochherzigen Schneiders hin einmüthig der Beschluß gefaßt,
eine neue prächtige Standarte machen zu lassen und beim Stadt-
ralh und dem König mit der allergehorsamsten Bitte einzukom-
men, es möchte Allerhöchstenorts genehmigt werden, daß sie für
ewige Zeiten einen geflügelten Löwen in ihr Wappen setzten.

Dieses Gesuch wurde nun zwar nicht bewilliget,' jedoch der ehr-
samen Schneiderzunft zu Ulm durch ein allerhöchstes Reskript aller-
gnädigst eröffnet, daß ihr nichts in den Weg gelegt werden würde,
falls sie „einen geflügelten Bock" auf ihre Standarte nähen wolle.

Diese Abänderung war durchaus keine Stichelei auf die
Schneider, sondern fie geschah lediglich aus diplomatischen Rück-
sichten für Venedig, das bekanntlich seit urdenklichen Zeiten
einen Löwen mit Flügeln im Wappen führt.

Die Ulmer Schneider waren so klug, dieses einzusehen, und
dachten sich, ein Bock mit Flügeln werde kein geringeres Auf-
sehen machen als so ein närrischer Löwe, und schritten wohl-
gemuth an'S Werk.

5.

.Ein König zieht er seine Bahn,

Der Ländermust'rung haltet,

Dem sich ler halben Gme Plan
Als Riesenkart' entfaltet.

Mög' er kein zweiter ZkaruS
Die bitt're Salzfluth trinken.

Und herrlicher als Dadalus
Zur Erde niedersinken!"

Der große Tag brach an. Um 5 Uhr Morgens zogen die
Trommler und Trompeter der Garnison durch die Straßen, und

schlugen und bliesen die Reveille. Von den Dächern der Häu-
ser wehten kleine und große Flaggen mit den Landessarben,
schwarz, roth und gelb. Laubgewinde, Teppiche und Fähnlein
schmückten alle Thüren und Fenster, und durch die Straßen
wogte die gaffende Menge.

Ganz Ulm war auf den Beinen und von nah' und ferne
waren zahllose Schaaren zu Wagen und zu Fuß herbeige-
strömt, um den König und den Schneider zu sehen.

Der Hauptstrom der Neugierigen bewegte sich endlos durch
jenes Thor hinaus, vor welchem ein ungeheurer Triumphbogen,
zu welchem wohl ein hundert Tannen und Eichen ihren Schmuck
hergeliehen hatten, errichtet war. Auf einer Riesentafel, von
Blumenketten getragen, prangte mit fast ellenlangen Buchsta-
ben das Wort:

„Willkommen!"
und darunter der altschwäbische Spruch:

„Hie alleweg guet Würtemberg."

Da blitzte es auf dem Michaelsberge und einige Sekunden
später verkündigte der langersehnte Kanonendonner laut die
Freudenbotschaft von des Königs Ankunft.

„Er kommt! Er ist da!" erscholl es von tausend und
tausend Lippen; Alle machten nun Halt; Jeder suchte so nah
als möglich an den Weg sich zu drängen und wie auf einen
Zauberschlag war die Straße ftei und eine dichte Menschen-
gaffe hatte sich gebildet, so weil das Auge sah.

Wirbelnde Staubwolken wälzten sich näher und näher. Die
vielzungige Menge verstummte und schmetternder Trompeten-
klang und der Huffchlag trabender Rosse wurde vernehmbar,
und daher sprengten auf schnaubenden Rossen eine Schwadron
würtembergischer Reiter mit Lanzen und lustigen Fähnlein.
Ihnen folgte ein prächtiger, über und über goldener Staats-
wagen, von sechs stolzen, schäumenden Rappen gezogen, und
in diesem zwischen weichen, rothsammtenen Kiffen und Polstern
saß der König.

Das endlose „Vivat hoch!" das Gerassel der nachfolgenden
Chaisen, und der hundertfältige Hufschlag der den Zug beschlies-
senden Reiterei gaben, in eines verschmolzen, einen Luft und
Herz erschütternden Lärmen, der wie ein Lauffeuer dem Thor
entgegen lief.

Kanonendonner draußen auf dem Berge, Kaiiouendoniier
drinnen auf den Wällen und das Geläute aller Glocken der
Stadt setzten dem sausenden und brausenden Tonchaos die
Krone auf.

Am Triumphbogen, wo die Spaliere der Infanterie ihren
Anfang nahmen, hielt der Bürgermeister, umgeben von dem
hochlöblichen Collegium der Stadträthe eine Rede an den Kö-
nig, die sehr schön gewesen sein soll; allein durch die Ungunst
der Verhältnisse nicht auf die Nachwelt gekommen ist, weßhalb
fie hier leider nicht mitgetheilt werden kann. Uebergehen wir
auch die übrigen Huldigungen, unter welchen der Vormittag
vorüberging, welcher ganz dem Könige geweiht war. Der
Nachmittag hingegen gehörte dem Schneider.

Kaum hatten die Leute den Löffel auf den Tisch gelegt, so
strömten sie schaarenweise zum Rathhaus und aus den Münster-
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen