Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
187

Der Schnei

ein schmaler Stehplatz angebracht war. Das Gerüst befand
sich ans einer vorspringenden Bastei, wo eine der tiefsten
Stellen der Ulmer Donau ist. Die luftige Treppe bildete
eine endlose schwankende Leiter.

Lautes Jauchzen und Schreien verkündigte die unfreiwil-
lige Ankunft des Schneiders. Welche Veränderung in so
kurzer Zeit! Der, welcher vor einer Stunde wie ein gefeierter
Held mitten im Triumphzuge einherging, wankte nun, von
Stadtdienern und Soldaten eskortirt, wie ein armer Sünder
zum Richtplatz. Und wahrlich, das Schaffot kann diesem
keinen größeren Schrecken einjagen, als der bebende Schneider
beim Anblicke des Gerüstes empfand, das ihn an den alttesta-
mentarischen Galgen erinnerte, an welchem der liebenswürdigen
Königin Esther frommer Vater Mardochäus baumeln sollte.
Es wurden Thränen gelacht, als der verzagte Schneider die
Leiter besteigen sollte, und nicht wollte. Nur das freundliche
Zureden des Vorstandes des Schiffergilde, der ihm die Ret-
tungsboote zeigte, welche bereit standen für den Fall, daß er
das jenseitige Ufer nicht erreichte, vermochte ihn endlich dazu,
die verhängnißvolle Höhe zu erklettern. So schweren Herzens
steigt kein Verdammter zur Hölle hinab, als der gute Joseph
hier gegen Himmel stieg. Die verwünschte Leiter ivankte aber
auch, daß selbst einem Mnthigern der Athem kürzer geworden
wäre. Als er ganz erschöpft oben angelangt war, schlang
er sogleich beide Arme um die eine Tanne, als wäre diese
seine geliebte Annamarie gewesen.

„Fliegen! fliegen!" schrieen tausend und tausend unge-
duldige Zuschauer im fürchterlichen Chore zusammen; doch
umsonst — der Schneider und der Tannenbaum schienen
ein Stück Holz zu sein.

Man mußte eine neue Maßregel erdenken, den saumse-
ligen Lustcandidaten zum Experimentiren zu veranlassen.

Zwei Stadtdiener kletterten. niit Stricken versehen, zuni
Delinquenten hinauf. Sie werden ihn doch nicht allen Ernstes
hängen wollen? Rein! oben angekommen, binden sich die
beiden gegenseitig fest an das Gerüste an, damit sie vom
Schneider nicht mitgenommen würden. Nun Schneider, armer
Schneider! nimm dich zusammen und rühre wacker die Flügel,
auf daß der Ruhm dir nicht gänzlich untreu werde, und du
doch wenigstens das jenseitige Ufer erreichest?

„Fertig!" kommandirt der Roltmeister unten, da nehmen
die Handlanger der Gerechtigkeit oben den mit den Flügeln
balancirenden Adler kräftig bei den Federn, und auf des
Rottmeisters: „Stoßt ab!" fliegt der Schneider vom Ge-
rüste. — Ueber die Donau? — Ja senkrecht wie ein Wetz-
stein in den Fluß, daß er mit den Zehen fast den tiefen
Grund erreichte, und selbst die Spitzen der Flügel unter dem
Wasser verschwanden.

Ein unauslöschliches Gelächter mar das Ende des Schau-
spiels, als der triefende Schneider von den Schiffern an das
Land gebracht wurde. Ein Glück für ihn, daß er das Mei-
sterrecht auf Erden nun besaß, in der Luft hätte er es
nimmermehr verdient. Den Lachern und Spöttern aber er-
widerte er dazumal, wie noch so manches Jahr: „Wer war
dümmer von uns? — Ja. ich hatte einen verrückten Einfall ;
doch ihr — ihr zahltet mir tausend Gulden dafür!"

er von Ulm.

Und mit diesen Worten kehrte er, wie ein nasser Pudel
das Wasser vom Leibe sich schüttelnd, in's bewußte Dach-
kämmerlein zurück, um sich in Annamarie's Armen zu trösten,
die bald darauf Frau Schneidermeisterin wurde.

Die Zuschauer aber, die an diesem denkwürdigen Tage
den König und den Schneider gesehen, verließen in der heitersten
Laune den Schauplatz, der noch zu dieser Stunde „die Adler-
bastei" heißt, so wie auch jeder Euch das Sprüchlein sagen kann:

„Der Schneider von Ulm hat 's Fliega probiart,

Da hat'n der Denrel in d'Donau 'neig'füahrt."

vr. A Ringler.

Das längst geahnte Hinderniß.

„Ist mir's doch den ganzen Tag g'wesen als ob ich a
Steinerl im Stiefel hält'."

24
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Schneider von Ulm" "Das längst geahnte Hinderniß"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Stauber, Carl
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Stiefel
Mann <Motiv>
Schere
Hindernis
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 3.1846, Nr. 72, S. 187
 
Annotationen