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Thürmerö Töchterlein.

Aber Herr Hieronimus mußte sich die unangenehme, nun
sichere Entdeckung, daß er nicht mehr ledig sei, gefallen lassen.
Er rief also muthig: „Gerade recht kommt Ihr mir, Ihr Herren,
sonst war' ich zu Doktor Theophrastus Hortius in's Thal hinab.
Meine Sibille liegt auf den Tod krank!" Er hatte aber noch nicht
vollendet, so kam Doktor Theophrastus Hortius durch den Rath-
thurmbogen, und zwar sehr eilig, da er seinen Namen gehört hatte.

„Hic est Doktor Theophrastus Hortius!" rief er, „was
steht zu Befehl?"

Herr Hieronimus war in ein böses Gani gegangen. Er
durfte keinen der vier Herren beleidigen, bat also nur, einer
derselben möge sich heraufbemüben. Ein vierstimmiges „Ich stehe
zu Diensten" erfolgte, worauf vr. Columbanus, der in St. Onu-
pbri Haus Bescheid wußte, sich sogleich auf den Weg machte. Aber
die andern Drei ließen das nicht so geschehen. Sie eilten ihm nach,
holten ihn ein, und nun begann unter den finstern Bögen ein
gewaltiger Streit um den Eingang, resp. die Uebernahme der Kran-
ken. Herr Hieronimus hatte gut drängen und flehen, es half
Alles nichts. Zemehr er den Zustand der Frau Sibilla schilderte,
desto mehr schleuderten die Herren Thesen, Hypothesen und Con-
jekturen aufeinander los und schworen auf ihre Heilmittel.

„Vonaosectio et scarificatio!" rief Dr. Theophrastus
Hortius. „Das Blut muß heraus und kostete eS den letzten
Tropfen! Was nützt das Blut im Leibe der Menschen, wenn
es den Tod herbeiführt? Man lasse ihr auf beiden Armen zur
Ader, achtzig llnzen, dazu zwei und dreißig Schröpsköpfe auf
den Rücken! Es hilft, und wenn nicht, noch achtzig Unzen!
Hinaus mit dem verfluchten Blut, Blut ist der Fluch der Mensch-
beit. Man lasse Jedermann zweimal im Monat zur Ader und
jedem Kinde gleich nach der Geburt, damit sich der Körper so-
gleich an das Aderlässen gewöhne!"

Mit wütbendem Geschrei bekämpften die anderen drei Herren
die Blutbegierde ibres Collegen. „Eheu, imbecilitas imbecili-
tatum!" höhnte Dr. Columbanus. „Blut ist der Quell des
Lebens! Hier hilft nur das Besicans. Pflaster ist das Universal-
mittel! Emplaslrum Eantbaridum auf den Rücken, Hydrargyri
auf die Brust, Ichtyocollae telae auf den Hals, gummosum auf
die Arme, Linapis auf die Beine und die Fersen und auf den
Kopf. Pflaster auf den ganzen Leib, ohne Pflaster keine Rettung!"

Jetzt wurde die Pflaster-Ekstase von der Purgirwutb des
vr. PölzeliuS überboten. „Eben insana!" rief er, „was Blut,

' waS Pflaster! Im Purgiren ist der Triumph der Medizin! Sen-
nesblätter, Rhabarber — der Mensch nehme nichts als sauere
Milch und täglich acht Löffel meines Elirirs und es wird ibm
nichts fehlen!"

Jetzt fuhr erst vr. Sttomerius dazwischen. „Venacsectio,"
donnerte er mit tiefem Basse, „Narrheit, Vesioantia Tollheit,
Eurgantia Barbarei, Raserei! In aqua vis est et in sul-
pbure! Man setze sie in ein kaltes Bad und zünde ihr Schwe-
fel unter der Nase an! Ich allein kann sie retten."

Die Worte Wasser und Schwefel wurden mit gräulichem
Hohngelächter erwiedert, vr. SttomeriuS aber drang in die Thüre,

schleuderte den vr. PölzeliuS zurück, zwängte die anderen zwei
Herren zu beiden Seiten an die Wand und stürmte die Treppe
hinauf. Tie Besiegten erneuerten jedoch, dem vr. Sttomerius
folgend, den Kampf an der Thüre oben, wobei Ein und der
Andere gelegentlich mehrere Sttifen hcrunterpolterte; zuletzt ttug
indessen vr. Sttomerius den Sieg davon, indem er, Herrn
Hieronimus den Schlüssel entteißend, schnell aufspcrrte, und der
erste in der Wohnung war, könnt' er auch nicht verhindern, daß
die Anderen nachkamen, aus dem einfachen Gnmde, weil sie die
Thüre eindrückten. Da lag nun Frau Sibille Wurzel gelb und
steif wie eine Wachssigur.

„Ich glaube gar, sie ist tobt!" jammerte Herr Hieronimus.
„Wahrhaftig, sie ist todt!"

„Wie könnt Ihr das behaupten", sprach vr. Sttomerius,
„ehe der Arzt gesprochen hat?" Er hatte schon die Hand am Puls.

„Todt" — sagte er dann — „mindestens scheintodt. Man
setze sie für alle Fälle in ein kaltes Bad und zünde ihr eine
Messerspitze Schwefel unter der Nase an. Wacht sie auf, so lasse
man mich holen. Meine Deserviten pro consultaliono bettagen
zwei Gulden. Guten Morgen." Worauf er sich beabschiedete.

vr. PölzeliuS sah ihm spöttisch nach.

„Todt" — sagte er — „vielleicht scheintodt. Man öAne
ihr mit einem Löffel den Mund und gieße ihr dies ein." Er
zog eine Glasflasche aus der Tasche. „Kommt sie darauf nicht
zu sich, so dürft Ihr annehnien, daß sie wirklich todt sei, kommt
sie aber zu sich, so weiß man, wo ich wohne. Meine Deserviten
pro consullatione machen zwei Gulden. Das Eliririum einen
halben Gulden. Guten Morgen." Fort ging er.

vr. Theophrastus Hortius hatte den Puls schon ergriffm,
während er dem Abgehenden über die Schulter mit verachtenden
Blicken nachschaute.

„Todt," — sprach er dann — „ja sie dürste todt sein.
Sollte sie aber nicht todt sein, so hilft nur die Aderlässe und
gehörige Schröpfung. Man lasse ihr 80 Unzen zur Ader und
setze ihr zweiunddreißig Schröpfköpfe. Kömmt sie zu sich, holt
man mich. Meine Deserviten pro consullatione bettagen zwei
Gulden. Guten Morgen." Er empfahl sich.

vr. ColunibanuS war der Letzte. Mit unbeschreiblicher Ver-
achtung sah hinwieder er seinem Collegen nach und fühlte den Puls.

{,<Sie ist nicht todt," sagte er feierlich.

„Nicht — ?" rief Hctt Hieronimus.

„Nein," entgegnet« Jener, ein großes Stück Pflaster her-
vorziehend und es der Frau Sibille bis hoch an das Kinn über
den Hals legend. „Dies Pflaster bringt Euere Frau wieder
gänzlich zum Leben. Bringt aber dies Pflaster Euere Frau
nicht zum Leben, so ist sie todt, und zwar nur deßhalb, weil
man ihr das Pflaster zu spät aufgelegt hat. Man weiß übri-
gens, wo ich wohne. Meine Deserviten pro consullatione be-
ttagen zwei Gulden, Emplastrum achtzehn Kreuzer. Guten
Morgen." Damit ging er von dannen.

Herr Hieronimus aber stand wie vernichtet. „Acht Gulden
acht und vierzig Kreuzer," rief er — „sie brächte mich um's
Leben, wenn sie das wüßte; — o heiliger Onuphrius, sie wird
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