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26

Thürmers Töchterlein.


Am nächsten Tage war Herr Hieronimus schon so perplex,
daß er, dreimal um das Rathhaus ging, bis er den Eingang
fand; als er oben war, hielt er j des Bürgermeisters Zimmer
für die Kanzlei, und berührte denselben beim raschen Eintreten
so unsanft, daß er mit äußerst langer Rase und ergiebigem
Verweise abziehen mußte. In der Kanzlei ging dafür sein
Jammer erst recht los. Er zerraufte sich die Haare und schlug
sich, wie damals wegen der Frau Sibilla, sehr oft vor die
Stirne, und das zwar wechselweise in allen vier Ecken der Stube,
bald verzweiflungsvoll gegen die Wand gekehrt, bald das Gesicht
zur Decke gewendet. Ueberall sah er das Gespenst des Spions
hinter sich, vor sich, neben sich, so daß er in beständige Flucht
gericth, welche nur dadurch eine plötzliche Unterbrechung erlitt,
daß er eine ganze Reihe Akten umstieß, im Versuche, ihren
Sturz zu hindern, den Tisch mit zum Fall brachte, und, selbst
darniedergerisicn, unter großem Gepolter förmlich begraben
wurde — worauf von ihm nichts me Hk zu sehen war als die
Beine und sein zerrauftes Haupt.

In diesem Augenblicke ging die Thüre auf und auf der
Schwelle stand der Bürgermeister und ein Rathsherr. Der
Erstere aber sagte: „Herr Aktuarius Hieronimus Wurzel gerirt
sich in neuester Zeit sehr zweideutig. Sollten sich dergleichen
Anfälle repetiren, so dürfte einem wohlweisen Rath obliegen,
ein anderes Individuum zu erwählen, so sich auch in politicis
ruhiger verhält, sintemalen es nicht ganz zweifelhaft erscheint,
es dürste sothanem Aktuario Hieronimo Wurzel darüber der
Verstand verkehrt worden sein. Für jetzt möchte es nicht scha-
den, den Doktor Theophrastus Hortius rufen zu lasten, um ihn
einiger ärztlicher Vorsorge zu unterwerfen, und zu einem Parere
zuk gelangen, ob man sich fortan auf den Aktuarium Hieronimum
Wurzel verlassen könne oder nicht."

Mit einem Rufe des Entsetzens arbeitete sich der unglück-
selige Herr Hieronimus unter seinen Akten empor, um seinen
Verstand zu vindiciren, aber die Herren waren schon fort.

„Mein Amt soll ich verlieren," rief er auffahrend, „und
den Theophrastus Hortius wollen sie mir über den Hals
schicken?!" Er rannte zwiefach verzweifelt auf und nieder. „Das
mir, ha Entsetzen, ha Frevel, ha unerhörte Kühnheit!" Aber
cs kam doch so. In Kurzem ging die Thüre wieder auf und
herein trat majestätisch und mit sehr drohenden Augenbrauen
Doktor Theophrastus Hortius.

„Bleibt mir vom Leib, verfluchter Blutdoktor!" fuhr Herr
Hieronimus ihn an und sprang an das andere Ende des Zimmers.

„Ha, da ist kein Zweifel," sprach Jener, „hier ist vollkom-
mene Jnsania!" Zugleich stürmte er auf ihn los. Herr Hiero-
nimus blieb aber nicht stehen, sondern machte linksum und
schoß die Kanzlei entlang, hinter ihm drein Doktor Theophrastus
Horftus, der vor Blutbegierde noch weit toller war als Jener
vor Angst und das Aderlaffen weit nöthiger gehabt hätte, als
Herr Hieronimus. „Rur fünfzig Unzen" war das erste Feld-
geschrei gewesen. Aber mit jeder neuen Verfolgung war es
um zehn gestiegen, und da es zwölf Uhr schlug, hätte Herr
Hieronimus nicht genug Blut im Leibe gehabt, um dm gelehr-

ten Vampyr zu befriedigen, der mit einer langen rothen Binde
und seinem Instrumente hinter ihm hertobte und ihn alle Zeit an
den Rockschößen zurückriß, so oft er zur Thüre hinaus wollte.
Jetzt wurde es Herm Hieronimus hell im Kopf, ein Gedanke
durchzuckte ihn. In aller Eile ergriff er die alte, rothgefrans'te
Hellebarde, welche seit langen Zeiten hinter den Kästen in der
Ecke stand und schrie: „Ha du verfluchter Blutabzapser, jetzt bist
du in meiner Hand!" Dabei fuhr er auf den Doktor Theophrastus
Hortius los, „Insania, insania perfecta, zu Hülfe!" ries der.
Herr Hieronimus ließ sich aber nicht schrecken, sondern jagte
ihn sechsmal um die Kanzlei herum und fuchtelte so hinter ihm
her, daß ihm die rothe Aderlaßbinde an der Hellebarde hängen
blieb. Schon war Jener über alle Stühle und Tische ge-
sprungen, als die Thüre wieder aufging und der Bürgermeister
und mehrere Rathsherrn sichtbar wurden. Doktor Theophrastus
Hortius stürzte sogleich hinaus, indem er einige wohlweise Herren
bei Seite schleuderte; Herr Hieronimus aber rannte ihm nach
und verfolgte ihn durch viele Zimmer, Säle und Gänge bis
über die Treppe hinab mit so großer Wuth, daß er dem ent-
setzten Doktor noch einen kleinen Stich in den Rücken versetzte,
als es ihm endlich gelang, das Freie zu gewinnen.

8.

„Trag's Esien wieder hinab zur Bas', ich komm' hin!"
sagte Hinneriz zur Tochter, die er um die Mittagsstunde aus der
Treppe im Thurme erwartet hatte. „Ich habe ein Geschäft in
der Stadt!" setzte er bei.

„Da will ich aber gleich wieder herauf," gab Elsbeth
zurück, „es muß ja doch nachschlagen, Vater —*

„Ist schon gesorgt," fiel Hinneriz ein und schritt hinab.
Elsbeth folgte. Aber es kam ihr sonderbar vor. Ehe sie in
den Thurm getreten, hatte sie den einzigen Mann gesehen, der
oben sein sollte, des alten Merians Freund. Als sie sich vom |
Vater getrennt, ließ es sie nicht mehr ruhig. Sie dachte was,
aber sie wagte kaum, es zu denken. In aller Eile trug sie das
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Thürmers Töchterlein"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Muttenthaler, Anton
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Paar <Motiv>
Blume <Motiv>
Karikatur
Buch <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 4.1846, Nr. 76, S. 26
 
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