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28

Thürmers Töchterlein.

hörte er äußerst grimmig seinen Namen nennen und zwar vom
Bürgermeister, der seiner bedurfte. Herr Hieronimus hatte aber
keine Lust zu einigem weiteren Aufenthalt, sondern arbeitete
sich hinter dem Gedränge an den Wandschrank. Mit einem
zitternden Griffe hatte er die Sorgen brechenden Schlüffel in
seiner Gewalt, und wollte eben hinaus, als der Bürgermeister
ihn erkannte. „Seid Ihr einmal da, Herr Aktuarius?" don-
nerte er ihn an. „Auf der Stelle holt Ihr das große Register
und findet Euch damit ein, so Ihr nicht wollt, daß man Euch
Eueren sonderlich verwirrten Kopf zurecht sehe!"

„Auf der Stelle, auf der Stelle, gestrenger Herr Bürger-
meister!" rief Herr Hieronimus und zwängte sich hinaus. Wer
aber nicht mit dem Register kam, war Herr Hieronimus. Viel-
mehr rannte er die Treppe des Rathhauses hinunter, schlich
um die Kirche herum an den Thurm — drin war er im
nächsten Augenblick, und stieg in größter Eile im Finstern, bis
er, nach häufigem Anstoßen seiner Stirne und einigen ergie-
bigen Prellungen am rechten Arme und der linken Schulter
auf die obere Thüre losklopfte und den alten Hinneriz um
Hülfe und Rettung anflchte. Derselbe sah zwar im Wachs-
thum der Eolonie nicht die Befriedigung seiner heißesten Wünsche,
aber der Flüchtling war ihm zu verzweifelt, als daß er es
über sich bringen konnte, ihm einen Zufluchtsort zu versagen,
wie bang ihm auch selbst dabei wurde.

10.

Gustav Adolph war in München eingezogen. Daß ein so
tapferes Volk, wie die Münchener Bürger, knirschten, da sie sich
i unrerwerfen mußten, ist wohl begreistich. Ihr Unmuth milderte
' sich freilich um Vieles, weil der Schwedenkönig hier seiner
Rache Einhalt that und München vom Feuertode lossprach,
sonst sich auch fast gütig erzeigte und wohl gar an manchem
heiligen Orte cinfand, wo die Menge anderen Glauben hatte,
als er, aber große Pracht und Würde, auch treffliche Musica
zu finden und zu hören war. Seines Lebens froh wurde aber
Keiner, und war sonst groß die Milde Gustavi, die 140 Kanonen
hatte er sich alsbald zu Eigen gemacht, die 300,000 Dukaten
in der Donnerbüchse auch nicht verschmäht, und da ihm die
Stadt die geforderte Brandschatzung nicht zum dritten Theil
erlegte, zwei und vierzig Geiseln verlangt, unter welchen alle
Die waren, so Herr Hieronimus als Schwedenfrcsser bezeichnet.

Eines Morgens dröhnte heftiger Trommelwirbel durch die
Stadt. Dasielbe geschah kurz vor Mittag.

„Bist du da?" ftagte Hinneri; die Tochter Elsbeth, welche
ihm soeben wieder sein Mahl gebracht hatte, und zwar, wie
seit Längerem, mehr als ftüher, weil sich der Vater über gar
großen Appetit beklagt hatte, wobei ihm aber nur seine Gesell-
schaft auf dem Thurme im Sinne gelegen. „Was gibt es denn
unten, daß sie so ttommcln?"

„Ei, Vater," entgegnete Elsbeth, „das gilt dem Herrn
Aktuarius beim wohlweisen, inneren Rath. Der ist verschwun-
den, heißt's, und wenn er sich jetzt nicht stellt binnen einer
Stund', so verliert er sein Amt. Das Schlimmste ist dies

wohl für den armen Herrn Hieronimus, der mich stets so
freundlich gegrüßt hat; aber Die im Rath sind selber in rechter
Verlegenheit, denn der Schwedenkönig will ihn sehen, und jetzt
wiffen sie nicht, woher nehmen, weil er gar nirgends zu
finden ist."

Dies Alles hörte Herr Hieronimus, im Kasten versteckt,
gar wohl. Grauen und Verzweiflung überfielen ihn in unbe-
schreiblichem Grade. Denn ließ er sich sehen, war er ein Mann
des Todes — ließ er sich nicht sehen, verlor er sein Amt. In
namenloser Verzweiflung verharrte er gleichwohl, denn theuerer,
als sein Amt, war ihm ja doch sein Leben. Der Thürmer
schien so wenig Antheil zu nehmen, daß Elsbeth in um so
größeres Bedauern ausbrach und den armen Herrn Hieronimus
so lobte, wie er in seinen süßesten Liebesttäumen nie erwartet
hätte. Er war von der schmerzlichsten Wonne durchdrungen,
aber er wagte gleichwohl nicht, sich zu regen. Da führte der
Himmel selbst die Entdeckung herbei. Herrn Hieronimum über-
fiel nämlich plötzlich ein großer Reiz zum Nießen, und im be-
meldten Kasten gellte es alsbald äußerst hefttg und zwar dreimal.

„Ja, was ist denn das, wer ist denn im Kasten?" rief Els-
beth ; aber die Worte waren ihr kaum von den Lippen, als
Herr Hieronimus, ein viertesmal nießend, die Kastenthüre auf-
drückte und in Lebensgröße vor ihr stand.

„Ihr seid da?" ries Elsbeth, in ein herzliches Lachen un-
willkührlich ausbrechen wollend, das sie aber in der Erinnerung
an seine traurige Lage sogleich bändigte.

„Ja, himmlische Maid," rief er, „ich bin da und der Himmel
hat mir einen Blick in Euer Herz gestattet. Ihr liebt mich, eilt
hinab zu den wohlweisen Herren, und fleht, daß sie mir mein Amt
lassen, ich käme gewiß wieder, sie sollten nur Geduld haben,
bis der verfluchte — bis — bis der Schwedenkönig wieder
abgezogen; dann aber käm' ich gleich, und wenn Ihr mir die
Liebesprob' erfüllt, so schwör' ich Euch Treue, bitte Eueren
Vater um sein Wort, und sobald das Trauerjahr zu Ende ist,
seid Ihr —"

„Gewiß nicht die Braut des Herrn Hieronimus Wurzel!"
rief es und herein stürzte Heinrich, kühn, wie zu alle» Zeilen,
auch jetzt Alles aus das Spiel setzend. In Kurzem war Herr
Hieronimus und der Thürmer über Heinrichs und Elsbeth
Liebe aufgeklärt.

„Und Ihr wagt es, lockerer Geselle, meine Tochter zu lie-
ben?" donnerte Hinneriz.

„Traun, eine große Kühnheit!" ries Herr Hieronimus. Aber
im höchsten Grimme stürzte dafür Heinrich auf Herrn Hieroni-
mus los, der sich hinausflüchtete. Vergeblich rief Hinneriz:
„Bleibt, bleibt, man sieht Euch, Ihr richtet Euch und mich zu
Grunde!" Die Gitterschwelle war längst überschritten, der
Aktuarius rannte aus Leibeskräften am Geländer herum, Hein-
rich hinter ihm her unter gräßlicher Drohung, ihn über den
Thurm hinabzuwerfen.

(Schluß folgt.)
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